Die meisten Leute sehen die Herausforderung beim Spielen darin, ihre Intelligenz zu benutzen und den Spielverlauf mit ihren eigenen Entscheidungen ein bisschen zu beeinflussen. Ich erlebe aber auch immer wieder Leute, denen Brett- und Kartenspiele wie Arbeit vorkommen und die lieber in der Freizeit ihre Gehirnzellen überhaupt nicht anstrengen wollen, weil sie ja «den ganzen Tag schon gearbeitet haben». Doch auch solche Leute kann man mit den passenden Spielen in eine Spielgruppe integrieren. Man muss einfach Titel auswählen, bei denen man getrost das Hirn zu Hause lassen kann:
Haaalt!! Noch nicht wegzappen! Eigentlich möchte ich damit etwas gaaaaanz anderes erzählen: Auch die Produzenten von Kinofilmen und TV-Serien haben nämlich den Brettspiel-Boom mitbekommen, der zurzeit die USA heimsucht. Es gibt tatsächlich immer mehr Szenen in wichtigen Produktionen, bei denen man zuschaut, wie Protagonisten beiläufig miteinander ein Brettspiel spielen. Ehrlich, das ist wirklich so. Achtet mal drauf!
Das diesbezüglich traumatischste und schockierendste Erlebnis hatte ich im Film «Gone Girl» von David Fincher. Ziemlich am Anfang des Films, unmittelbar nach der ersten Bettszene, bei Minute 6 plus 40 Sekunden, spielt Ben Affleck in einer Bar mit seiner Filmschwester am Tresen zu zweit eine Partie «Spiel des Lebens».
Wtf??? Ich bin mir als kritischer und alerter Kinogägner zwar von den meist hochgelobten und angeblich raffinierten David-Fincher-Filmen ja gewohnt, dass ihre Drehbuch-Lücken, Logik-Allergien und irrationalen Wendungen die Intelligenz von mitdenkenden Menschen hochgradig beleidigen. Auch «Gone Girl» funktioniert ja kriminalistisch nur mit der Ausgangslage einer saudummen Polizei, die noch nie etwas von der Auswertung von DNA-Spuren, Videoüberwachungsmaterial und Handydaten gehört hat. Aber diese Barszene schlägt alles: Zwei erwachsene Menschen (einer davon angeblich ein Spiele-Geek, der ja sogar in einer späteren Szene ein «Dominion» in seinem Schuppen stehen hat), haben in einer Bar nichts Besseres zu tun, als zusammen das blödeste und langweiligste Kinderspiel ever zu spielen? Und sind nicht einmal besoffen dabei? Gott sei mir gnädig! Ich wäre im Kinosaal fast am Popcorn erstickt.
Das im tiefsten Mittelalter der Spieleentwicklung im Jahre 1960 zum ersten Mal veröffentlichte «Spiel des Lebens» ist die Anti-These zu allen guten, modernen Brettspielen. Man hat praktisch keine Entscheidungsmöglichkeiten (nur ob man an die Uni will oder nicht), dreht an einem Rad und führt dann roboterhaft aus, was das Spiel einem vorschreibt. Es gibt praktisch keine Interaktion und der Ausgang ist reines Glück.
Für kleine Kinder und Spiele-Anfänger mag das interessant sein, für Leute, die in ihrem Leben schon drei andere Brettspiele gespielt haben (wie du, ich und zum Beispiel der Ben-Affleck-Charakter in «Gone Girl») ist es aber vollkommen reizlos.
PS: Jaja, und mir ist natürlich schon klar, dass die Szene in «Gone Girl» ein total durchdachter, origineller und hochphilosophischer Fingerzeig auf die Situation der Affleck-Figur in der Filmhandlung sein soll.
Glücksspiel von Reuben Klamer für 2 bis 6 Spieler ab 8 Jahren; etwa 45 Minuten; Verlag: Hasbro; etwa 40 Franken.
Dieses Kartenspiel ist im Moment unter Teenagern, Jugendlichen und Twenty-Somethings mega in und wird extrem gehyped. Es ist nichts anderes als eine mit vielen weiteren Zutaten angereicherte Uno- oder Tschau-Sepp-Variante. Man muss möglichst schnell seine Karten loswerden.
Wie üblich gibt es Spezialkarten, durch die man weitere Karten spielen darf, aussetzen muss oder Angriffe abwehren kann. Im Gegensatz zum biederen Tschau-Sepp heisst eine Karte aber «Fuck-you»-Karte. Man darf sie nur ablegen, wenn man genau zehn Karten auf der Hand hat. Ereigniskarten machen das Spiel zudem völlig unberechenbar:
Man sieht: «Frantic» ist letztlich völlig zufällig. Planung ist unmöglich, Jeder Gedanke an eine sinnvolle Taktik ist verschwendet. Es herrscht Chaos pur und man ist der Willkür der Mitspieler komplett ausgeliefert.
Und bevor mich nun ein paar Leser lynchen wollen: Das sind keine Argumente gegen das Spiel. Ich verstehe durchaus, dass sowas in geeigneter Runde bei entsprechender Stimmung Spass macht. Das Hirn kann aber trotzdem zu Hause bleiben.
Kartenspiel von Fabian Engeler, Pascal Frick, Stefan Weisskopf und Pierre Lippuner für 2 bis 8 Spieler ab 12 Jahren. 30 Minuten bis ewig. Verlag: Rule Factory/Game Factory; etwa 22 Franken.
Und nochmals: Nicht, dass ihr mich falsch versteht: Das Spiel «Dweebies» ist ein superlustiges Kinderspiel und hat sich bei uns in reinen Erwachsenenrunden zu einem sehr beliebten «Absacker» gemausert. Es ist aber einfach so, dass es auch bei diesem Spiel völlig egal ist, ob man taktische Überlegungen anstellt oder nicht.
Es gibt durchaus ein paar Taktiken, mit denen man sein Spiel optimieren kann, wie zum Beispiel: Sich gespielte Karten merken und gewisse Karten auf der Hand zurückbehalten. Nur ist es aber so, dass diese gut gemeinten schlauen Absichten trotzdem einen völlig marginalen Einfluss auf das Resultat haben. Man ist dem Spiel ausgeliefert und hat entweder Pech oder Glück. Und weil man eben nichts dabei denken muss, kann man es stundenlang machen.
Das Kartenspiel kommt in einer schönen Blechdose mit insgesamt 54 Karten, auf denen lustige Dweebies zu sehen sind. Dweebies sind kartoffel-ähnliche Wesen, die keinen Hals, aber ein freundliches Gesicht mit einem breiten Maul sowie Arme und Beine haben. Es gibt sie in den verschiedensten Erscheinungsformen: als Indianer, Rockmusiker, Schotten, Astronauten, Piraten, Superhelden, Cheerleader, Bücherratten oder Robin Hood.
Die Karten werden orthogonal zueinander (also waagrecht und senkrecht) in eine Auslage in die Tischmitte gespielt. Immer wenn es jemandem gelingt, am Ende und am Anfang einer Reihe einen identischen Dweebie zu platzieren, erhält er alle Karten der Reihe. Wer zuletzt am meisten Karten hat, gewinnt.
Kartenspiel von Tim Roediger für 2 bis 6 Spieler ab 6 Jahren; etwa 20 Minuten. Verlag: Gamefactory; etwa 15 Franken.
Bei diesem Kartenspielklassiker scheiden sich die Geister, ob man tatsächlich das Hirn zu Hause lassen kann oder nicht. Ich habe schon stundenlange analytische Diskussionen darüber miterlebt. Ein Mitspieler hat dann einfach einen Feldversuch gemacht und einen Abend lang jede Karte blind gespielt, ohne sie vorher anzuschauen. Das Resultat war tatsächlich so, dass er auf die Länge genauso erfolgreich und erfolglos wie alle anderen Konkurrenten war, die vor dem Ausspielen jeweils schlau nachdachten. Das Problem ist aber natürlich, dass er bei dieser Versuchsanlage auch die durchaus intellektuellen psychologischen Einschätzfähigkeiten der Konkurrenten sabotierte. Der Wille zur Schadenfreude hilft übrigens, das Spiel zu mögen.
Jeder Mitspieler hat einen identischen Kartensatz mit Werten von 1 bis 15. Zudem gibt es noch einen Stapel mit Wertungskarten: Zehn Erdmännchen sind Pluspunkte wert, Geierkarten bringen Minuspunkte ein. Dieser Stapel wird gemischt und nacheinander jeweils eine Karte davon aufgedeckt. Alle Spieler müssen dann jeweils eine verdeckte Karte aus ihrer Hand dazu legen.
Nach dem Aufdecken bekommt jener Spieler, der die höchste Karte gelegt hat, das Erdmännchen oder den Geier. Sind zwei oder mehr Karten allerdings gleich hoch, neutralisieren sie sich und die nächst niedrigere Karte muss die Belohnung nehmen. Wenn alle Erdmännchen und Geier ihren Besitzer haben, also jeder Spieler seine 15 Handkarten abgespielt hat, werden die Punkte der gewonnenen Karten gezählt.
Kartenspiel von Alex Randolph für 2 bis 5 Spieler ab 8 Jahren; etwa 20 Minuten; Verlag: Amigo; Preis: etwa 15 Franken.
2016 stand dieses Spiel auf Amazon monatelang auf dem ersten Platz der meistverkauften Spiele in den USA. Dabei wurde «Pie Face» bereits 1968 zum ersten Mal veröffentlicht, geriet dann aber in Vergessenheit, bis in der Vorweihnachtszeit 2014 ein Video auf Facebook über 30 Millionen Mal geteilt wurde: Es zeigt den Barbier-Salon-Besitzer Martin O'Brien aus dem schottischen Wishaw, wie er mit seinem Enkel «Pie Face» zockt und dabei Schlagrahm mitten ins Gesicht abbekommt. Die amerikanische Entertainerin Ellen DeGeneres benutzte das Spiel später sogar in ihrer TV-Show, um Prominente wie Ashton Kutcher, Ben Affleck (mein Gott, schon wieder) oder Aaron Paul klebrig zu machen.
Vom Prinzip her ist es eigentlich nichts weiter als ein russisches Roulette, bei dem der Verlierer einen nassen Schwamm, Schlagrahm oder sonst etwas Schleimiges ins Gesicht bekommt. Jeder Spieler muss der Reihe nach sein Gesicht durch eine Aussparung in einem «Klatschrahmen» auf eine Kinnablage stecken. Zuvor wird die «Wurfhand» auf einem Katapult präpariert. Dann wird an einem Glücksrad gedreht, und die Griffe am Klatschrahmen werden um so viele Klicks weiterbewegt, wie die Zahl auf dem Glücksrad zeigt. Ein Zufallsmechanismus löst die Schleuder aus und alle bekommen einen Lachanfall.
«Pie Face» ist zwar für Kinder gedacht, verdankt seine Popularität aber nicht zuletzt auch dem Umstand, dass es von Erwachsenen häufig zum Trinkspiel umfunktioniert wird.
Action-Spiel für 2 oder mehr Spieler ab 5 Jahren; etwa 5 Minuten. Verlag: Hasbro. Preis: etwa 30 Franken.