Optimierungs-Spiel von Sophia Wagner für 2 bis 4 Spieler ab 12 Jahren. Spieldauer: 70 bis 180 Minuten. Verlag: Edition Spielwiese/Pegasus. Preis: etwa 50 Franken.
In einer Steampunk-Welt, in der Inseln in der Luft schweben, müssen die Spieler ein blühendes Handelsimperium errichten.
Kleine Scheiben erwerben und an lukrativen Postionen in freie Plätze der Ringe eines neuartigen Aktionsrades einsetzen. Jede Scheibe berechtigt dazu, bestimmte Aktionen auszuführen. In Fabriken werden Waren produziert und mit diesen die Politik in sechs Wertungen beeinflusst.
Durch das neuartige sogenannte «Wheel-Building» werden mögliche Aktionen durch das Drehen von Ringen auf einem Rad ausgelöst. Schöne Grafik.
Tüftler, Optimierer und Grübler, die Freude an komplexen wirtschaftlichen Systemen haben und die es nicht so wichtig finden, mitzubekommen, was die Mitspieler so machen.
Noria, so klärt Wikipedia auf, steht für eine in Syrien gebräuchliche Form des Wasserschöpfrads. Da erstaunt es nicht, dass sich im Brettspiel «Noria» alles im wahrsten Sinne des Wortes um Räder dreht. Dem Spiel liegt eine geniale, neue Idee zugrunde, nämlich das «Wheel-Building». Bisher gab es ja das «Deck-Building» aus Spielen wie «Dominion» (und in abgewandelter Form das «Bag-Building» oder das «Dice-Building»). Dabei verwalten die Spieler einen eigenen Kartenstapel und versuchen mit dem Beifügen von neuen Karten ihr Deck auf Stärke und Effizienz zu trimmen. Beim «Wheel-Building» von «Noria» verwalten die Spieler drei Räder. In leere Plätze dieser Räder können bunte Aktions-Plättchen eingefügt werden.
Die Spieler starten mit drei kleinen runden Plättchen, den «Scheiben», im Verlauf der Partie stecken sie neue Scheiben dazu. Durch das Drehen der Räder ist immer wieder eine andere Kombination von Aktionen möglich.
Vor der diesjährigen Spielmesse in Essen im Oktober war «Noria» eines der am meist gehypten Spiele. In den «Hotness»-Listen von Internet-Portalen erklomm es Spitzenplätze. Das lag zum einen an diesem neuen Mechanismus, auf den alle gespannt waren, zum anderen an atemberaubenden Grafik-Auszügen, die schon früh veröffentlicht wurden; aber wohl auch am Umstand, dass eine Frau als Autorin für ein komplexes Spiel verantwortlich zeichnet. Das ist leider noch immer sehr aussergewöhnlich. Obwohl auch viele Frauen gerne spielen, ist die Autoren-, Verlags- und Kritikerszene bisher überwiegend mit Männern besetzt – mit Ausnahme des Bereichs der Kinderspiele.
«Noria» ist das erste veröffentlichte Spiel von Sophia Wagner. Sie gewann 2015 das Spieleautorenstipendium von «Spiel des Jahres» in Göttingen. Dieses Stipendium wird jedes Jahr vergeben, um Nachwuchsautoren Einblicke in unterschiedliche Bereiche der Spieleindustrie zu geben. Die Autorin schloss 2014 ihr Magisterstudium als Geowissenschaftlerin ab und widmete sich danach dem Erfinden von Spielen.
Die Voraussetzungen sind also schon einmal so, dass man das Spiel «Noria» unbedingt ins Herz schliessen und lieben möchte, bevor man es überhaupt ausprobiert hat.
Es spielt in einer Steampunk-Welt, in der fliegende Inseln entdeckt, Flugschiffe gekauft, Fabriken errichtet und Waren produziert werden. Das Spiel ist hoch komplex und richtet sich nur an Leute, die bereits sehr viel Erfahrung mit Brettspielen mitbringen und bereit sind, mehrere Stunden in ein einziges Spiel zu investieren – zumindest in der ersten Partie.
Die Spielregel ist dann allerdings ziemlich umständlich geschrieben und schwer verständlich. Die Funktionsweise der Räder ist nicht intuitiv, wirkt konstruiert und erschliesst sich nur mit Schwierigkeiten. Die ersten Partien gleichen einem Waten durch Sumpf und ziehen sich wie Kaugummi. Es ist zunächst das übliche Erwerben von Krempel und umständliche Umtauschen von Krempel in besseren Krempel. Viel guten Krempel braucht man, um eigene Spielfiguren, die Politiker darstellen, in vier Wertungs-Leisten möglichst hoch zu treiben. Die Wertung am Ende des Spiels ist dann überraschend schlank: Nur sechs Dinge werden gewertet und es gibt keine Siegpunkte-Orgie. Während der Partie ist man allerdings schon sehr stark mit sich selber und der Optimierung seines Rades beschäftigt, so dass es einen nicht gross interessiert, was die Mitspieler so treiben und ob sie alles wirklich korrekt machen. «Noria» ist ein Spiel der Gattung «Multiplayer Solitaire».
Aufgrund der Politik-Leisten ergeben sich allerdings schon sehr interessante psychologische Konstellationen, die zu Interaktionen führen, allerdings eher destruktiver Natur. In der Politik-Phase kann man nämlich den Gegnern ihre Wertungen versauen. Recht früh in einer Partie werden dadurch sehr einschneidende, unwiederbringliche Entscheidungen definiert. Sprechen sich zwei Spieler ab, können sie problemlos einen dritten aus der Wertung werfen. Wenn die eigene Produktions-Maschine dann endlich wie geschmiert läuft, sind die Positionen in der Politik dadurch leider zu oft schon fix und gewähren keinen grossen strategischen Entscheidungsspielraum mehr. Dann kann man nur noch die eigene Maschine bis zum Ende durchpauken.
Die redaktionelle Arbeit überzeugt leider in vielen Punkten nicht ganz. Es gibt eine Reihe kleiner Unzulänglichkeiten, die einzeln für sich genommen zwar vielleicht vernachlässigbar sind, in der Summe dann aber doch zu einem eher negativen Eindruck führen: Das Material ist extrem fummelig und kleinteilig. Die Icons sind für Zwergenaugen gemacht und die Begriffs- und Materialbezeichnungen recht umständlich. Es fehlen Übersichtskärtchen zum Phasenablauf und den wichtigsten Regeln. Man hätte zusätzliche Infos wie zum Beispiel die Wissens-Vermehrung zum Schluss eines Zuges, die leicht vergessen geht, auch auf den Spielplan drucken können. Am Schlimmsten wiegt aber, dass die Räder nicht richtig funktionieren. Immer wieder verschwinden kleine Scheiben beim Drehen ins Nirwana. Der Rad-Mechanismus ist zwar interessant, für ein interaktives, soziales Spiel am Tisch dann aber doch suboptimal. Digital umgesetzt auf einem Tablet würde das wohl funktionieren. In der realen Welt mit real existierenden Menschen ist es problematisch, eben auch, weil es nicht intuitiv und so klein ist, dass die Mitspieler gar nicht sehen, was ich eigentlich treibe.
So genial die Idee des «Wheel Buildings» theoretisch auch sein mag, in diesem Spiel überzeugt das neuartige Konzept leider noch nicht. «Noria» wirkt redaktionell unfertig. Vielleicht hätte man doch etwas mehr Zeit in die Entwicklung des Spiels investieren sollen, um den einen oder anderen Holperstein noch auszubügeln.
Ja, im Prinzip schon, es wird dadurch nicht besser, dauert aber wesentlich kürzer.
Als Jurymitglied ist Tom Felber verpflichtet, sämtliche relevanten neuen Spiele mehrfach auszuprobieren. Dazu benötigt er natürlich auch immer wieder neue Mitspieler. Wer Lust hat, mitzuspielen, kann sich über spieleabende@bluewin.ch für seinen Newsletter anmelden. Die Spiele-Testrunden finden jeweils in Zürich statt.