Vor Urzeiten war das. Anfangs der 2000er oder so. Ich bin damals ĂŒber einen Blog gestolpert, der einzig ein Thema hatte:
Darin listete der Blogger schlichte Fotos seines tĂ€glichen Essens, ungeachtet ob dieses fein oder grusig, anschaulich oder unschön war. Es war ein log, im wahrsten Sinne der englischen Definition des Wortes â Tagebuchnotizen in einer Chronologie. Datum, Ort, Foto, ev. ein Kommentar. Etwa:
- Monday, 12 May 2003
- full English breakfast; cappuccino
- Bridge Café, West Hampstead
- decent
Und dazu ein Foto des betreffenden Tellers:
Ich war vom schlichten, eher minimalistischen Ansatz doch ziemlich angetan und nahm mir vor, auch mal so was in Angriff zu nehmen. Als My Space mir eine vorgefertigte Infrastruktur zur VerfĂŒgung stellte, machte ich erste Gehversuche. Und dann schliesslich auf Facebook (ich war ein SpĂ€tzĂŒnder â erst seit 2010 dabei) machte ich ernst: Unter dem Titel «This Week, I Have Mostly Been Eating ...», benannt nach den «Jesse's Diets»-Sketches der Kult-Comedy-Show «The Fast Show», legte ich eine Bildergalerie an.
«836 items» beinhaltet die Galerie inzwischen. Und stets ist das Prinzip dasselbe wie beim Vorbild geblieben: «Folgendes esse (oder koche) ich gerade.» Klar, inzwischen gucke ich husch auf die Ăsthetik, aber von Food-Styling und Ă€hnlichem Unsinn ist es meilenweit entfernt. Letztendlich will ich immer noch essen, nicht bloggen.
Seither sind acht Jahre vergangen und das Posten seines Essens auf Social Media lÀngst zu einem MassenphÀnomen verkommen. Es gab deswegen auch Stimmen, die meinten, man solle das gefÀlligst sein lassen. Stories von Restaurants, die ihren GÀsten verbieten, ihr Food zu fotografieren, machten die Runde. Ebenso die Ferndiagnose von Psychologen, wonach Menschen, die ihr Essen fotografierten, vermutlich psychische Probleme hÀtten (die habe ich auch ohne, danke).
Aber hey, meine Freunde versicherten mir stets, sie freuten sich ĂŒber meine Food-Fotos in ihrem Facebook-Feed. Ist doch nett!
Derweil wurde das Konzept des Food-Posts immer mehr professionalisiert. Die Berufsgattung «Influencer» hielt in der Food-Welt Einzug und die dazugehörigen Instagram-Accounts erreichten Millionen Follower. LĂ€ngst ging es nicht mehr darum, sein Essen seinen Kumpels zu zeigen, sondern Nahrung musste aufgehĂŒbscht â wie bei Hochglanz-KochbĂŒchern der Fall â und professionell abgelichtet sein.
Dabei zeichneten sich alsbald zwei Tendenzen ab: Einerseits wĂ€re da die #nomnomnom-Ăsthetik mit ihren Bildern von FĂ€den ziehender, SchmelzkĂ€se ĂŒberbordender Pizzen oder ĂŒberbeladenen Glace-Kreationen, die vor Schoko-Karamell nur so triefen. Andererseits die #cleaneating-Bewegung, mit ihren putzigen Bildern veganer Buddha-Bowls mit nachlĂ€ssig-aber-akribisch-genau-rundherum-verstreuten KrĂ€uterblĂŒten.
Beide Tendenzen haben etwas gemeinsam: Um die Freude am Essen geht es nur marginal. Es geht darum, Lifestyle zu verkaufen. Der total ĂŒberladene «loaded» Glace-Coupe sieht besser aus als er wirklich schmeckt. Vom Superfood-Porridge mit grafisch hĂŒbsch drapierten Blaubeeren ganz zu schweigen.
Beispiel gefĂ€llig? Ich kann mich gleich selbst an der Nase nehmen. BeweisstĂŒck âčaâș:
Avocado mit Ei aus dem Ofen. Sieht hĂŒbsch aus, nicht? I hate to spoil it for you, aber es ist leider nicht besonders fein. Bis das Eiweiss im Ofen nicht mehr schlabberig wird, ist das Eigelb lĂ€ngst steinhart. Und heisse Avocado ist auch nicht besser als rohe. AvocadostĂŒcke mit einem Spiegelei drauf wĂ€re viel leckerer.
Und deswegen denke ich, ist es so weit:
Weil? Nun, weil Mami eben Recht hatte, als sie sagte: «Hör auf, mit deinem Essen zu spielen und iss' endlich, bevor's kalt wird.»
Und weil: Dein Essen ist kein Model. Dein Essen ist Nahrung, Genuss, Kultur.
Und: Nobody cares. Niemand mehr interessiert sich fĂŒr dein Raclette, fĂŒr deine Grilladen, fĂŒr deine Brownies. Denn Clean Eating Alice und die Hemsley-Schwestern und Konsorten haben es ein fĂŒr alle mal versaut fĂŒr uns mit ihren perfekt ausgeleuchteten Tellern und ihren noch perfekteren Lifestyles.
Wisst ihr, die meisten Fotos meiner Pasta-Gerichte sind gar nicht so amĂ€chelig. DafĂŒr schmeckt der Food.
Und â am wichtigsten â es beeintrĂ€chtigt den Genuss. TatsĂ€chlich: Am Ende eilt uns die Wissenschaft zu Hilfe und bestĂ€tigt meine These, dass es beim Food-Instagrammen gar nicht um Food-Genuss geht. Das Abfotografieren von Essen kann nĂ€mlich dazu fĂŒhren, dass das betreffende Essen uns weniger schmeckt.
Einer Studie der American Psychological Association zufolge, hilft das Fotografieren zwar, sich an visuelle Details zu erinnern, gleichzeitig aber vermindert es die FĂ€higkeit, sich an andere Sinnesinhalte zu erinnern. Konkret heisst das: Man erinnert sich tendenziell weniger an die GesprĂ€che, die man mit der Tischbegleitung fĂŒhrte; man erinnert sich weniger an das Ambiente des Restaurants; und man erinnert sich nicht mehr, wie das Gericht schmeckte.
Selbst als passiver Konsument von Food-Posts tritt ein Ă€hnlicher Effekt ein. Ein Instagram-Post kann sehr wohl eine Vorfreude auf das bevorstehende Essen auslösen. Wenn wir aber zu viel Zeit damit verbringen, Essen wiederholt zu betrachten, wie dies durch die AllgegenwĂ€rtigkeit von Food-Posts durchaus passieren kann, fĂŒhrt dies zu einer VorsĂ€ttigung â das heisst, du hast das Essen schon ein wenig satt, bevor du es ĂŒberhaupt isst.
Rant fertig!