Es war ein wunderschöner Abend in einer Gartenbeiz. Am Nebentisch sass eine Kleinstfamilie – Mutter, Vater, Teenie-Brut. Pardon, Teenie-Tochter. Es war ihr anzusehen, dass sie jeden Quadratzentimeter ihres Gesichts und ihrer Frisur so hergerichtet hatte, dass ein Selfie jederzeit drinlag. Sie schaute böse. Die Eltern schauten müde und unglücklich.
Nein, das sagte es nicht. Aber es war der Subtext dessen, was es wirklich sagte: «Mami, echt, YouTuber – kännsch nöd?! Die sind imfall EXTREM wichtig. Die verdienen viel Geld und kriegen alles geschenkt. Hier zum Beispiel, die Dagi Bee ...» Es zückte entschlossen sein Phone. Eine weitere Locke der Mutter färbte sich grau.
Am Fernsehen lief in einer People-Sendung ein Beitrag über die Dagi oder die Bibi, ich kann sie ja nie unterscheiden, sie haben immer gerade blonde Haare, machen Lidstrich-Demonstrationen, halten Produkte in die Kamera und verhashtagen alles auf Instagram. Egal, der Beitrag lief also und darin waren Tausende von Kindern zu sehen, die der Bibidagi zukreischten und kurz davor waren, in Ohnmacht zu sinken.
Der «Tages-Anzeiger» brachte einen Beitrag über irgendeine Sylwina, die angeblich ein Insta-Star ist, und ich sah auf Sylwinas Account mit Schrecken: Die Frau und ich waren schon gleichzeitig am gleichen Ort gewesen. Ich privat. Sie mit Profifotograf. Meine Insta-Bilder kriegten höchstens 43 Herzchen. Ihre mindestens 1500. Ich machte Feierabend, sie machte Geschäfte, nahm Einfluss, war ein Influencer.
Was wohl das Verfallsdatum für all die klonartigen Influencerinnen ist? 27? 31? Heissen sie danach anders? «Werbeträgerin», «Werbegesicht», «Werbeikone»? So wie einst Verona Pooth geborene Feldbusch die «Werbeikone mit dem ‹Blubb›» für Rahm-Spinat von Iglo war? Ah, sorry, das ist wahrscheinlich schon 785 Jahre her. Da hatte noch niemand Influence und Instagram. Jetzt hingegen! Wow! Und alles selbstgemacht! Mit Fleiss, Talent und geraden Haaren. Und jedes festgehaltene Produkt haben sie enorm genau getestet. Haben sie natürlich nicht. Weiss man ja. So wie Verona den Spinat vielleicht gar nie gegessen hat.
Kommt da was zurück, wenn man auf dem Selfie eines Insta-Stars vorkommt? Ja? Vielleicht? Nein? In Amerika wird aktuell eine Milliarde Dollar in die Instagram-Influencer reingepumpt. Da darf man ja wohl mal fragen.
Die amerikanische Mediakix-Agentur, die sich um Influencer-Forschung kümmert, hat nun mit zwei Fake-Accounts versucht, Insta-Influence zu gewinnen. Sie nahmen zwei Frauen mit geraden blonden Haaren, die eine wanderte, die andere war einfach ein California-Girl. Der Account des «Wanderingggirl» wurde mit reinen Agenturfotografien von schönen Landschaften bestückt, das «calibeachgirl310» liess sich ein paar Mal ablichten, fertig waren die schönen Bilder.
Ein paar Tage lang kaufte Mediakix Follower, 1000 Stück für 3 bis 8 Dollar, bis das Volumen gross genug war, um sich damit auf Influencer-Plattformen für Werbeaufträge und Sponsoring zu bewerben. Damit die Bilder auch Kommentare hatten, kaufte die Agentur «Fake Engagement». Ein Kommentar kostete 12 Cent, 1000 Likes 4 bis 9 Dollar. Und siehe da: Die lukrativen Aufträge prasselten nur so rein.
Es kann also sein, dass der Resonanzraum hinter den Bildern vollkommen leer ist. Dass das ganze Unternehmen so hohl ist wie es aussieht.
Allerdings widersprechen dem die kreischenden Bibidagi-Kinder. Die jetzt eine Zukunftsvision gefunden haben, welche noch deutlich unter jener der «Germany's Next Topmodel»-Kandidatinnen liegt. Die wollen wenigstens noch was: Die Welt sehen, an Schauen laufen, «Editorials shooten», sich hoch arbeiten, ähm ... Und die Influencer? Auf dem Bett liegen und einen neuen Glitzer-Lockenstab in die Kamera halten? Please!