«Irgendwie fühlt es sich an wie ein Direktflug. Von Bern nach Wien. Ohne Pause. Drei Monate ist mein Abschied nun her, aber ich habe das Gefühl, als wäre ich noch gar nicht weg gewesen. Und Zeit für mich selbst habe ich mir auch nicht wirklich genommen.
Immer wieder war ich in Bern. Immer wieder mit dem Bau eines Hauses beschäftigt. Und zwischendurch produzierte ich mit meinen Freunden Helga Schneider, Halunken Häni und Beat Schlatter einen Song. Das Singen, meine alte Passion, das war gut für die Ablenkung. Ich hoffe nur, die Leute nehmen uns nicht allzu ernst – weil wir uns selbst auch nicht allzu ernst nahmen.
Ich habe ein Jahr der Achterbahnfahrt hinter mir. Als ich am 13. Januar meinen Vertrag bei YB verlängerte, war die Stimmung im Verein gut. Wir hatten den schwierigen Herbst mit der Trainerentlassung von Uli Forte und dem Europa-Aus verarbeitet. Der FCB zahlte uns doch noch etwas für Renato Steffen. Wir konnten Yoric Ravet von GC verpflichten. Das Gefühl stimmte.
Im März kam Urs Siegenthaler in den Verein. Ich spürte vom ersten Tag an: Da ändert sich etwas. YB wollte eine Sportkapazität im Verwaltungsrat. Auch ich präsentierte Namen, Berner, ehemalige Spieler zum Beispiel.
Als wir uns zum ersten Mal sahen, sagte er: ‹Siegenthaler, Grüezi Herr Bickel.› Wir kennen uns seit 25 Jahren und sind seit 20 Jahren per Du. Mein Bauchgefühl liess mich nicht im Stich. Aber das konnte ich damals noch nicht wissen. Denn ich habe nie auch nur einen einzigen Satz gehört, der meine Zweifel bestätigt hätte.
Der Vertrag mit meinem Nachfolger Paul Meier wurde lange im Voraus unterschrieben. Anscheinend hätte ich erst im Oktober entlassen werden sollen. Doch plötzlich kam Unsicherheit auf, dass alles an die Öffentlichkeit kommen könnte. Dann aber gab Siegenthaler sein legendäres Interview im St. Jakob-Park mit der Muttenzerkurve im Hintergrund. Und alles wurde wieder anders.
Die Geschichte hat etwas sehr Gutes. Nämlich, dass Christoph Spycher mein Nachfolger wurde. Das ist das Beste, das YB passieren konnte. ‹Wuschu› hat einige Male mit mir gesprochen seither. Er wird mit YB einen guten Weg gehen.
Im Sommer habe ich in Ihrer Zeitung den Satz gesagt, dass sich das Versagen bei YB im Unterbewusstsein eingenistet habe. Ist es ein Fluch? Vielleicht. Überwinden kann man ihn, indem man Erfolge erlebt. Die Meistertitel beim FC Zürich waren nur möglich, weil das Team zuvor den Cup gewann. Wer weiss, vielleicht erlebt Bern 2017 einen Cup-Triumph. Der könnte dem ganzen Verein enorm viel bringen.
Ich habe keine Angst, den lang ersehnten Titel zu verpassen. Ich freue mich noch heute über jedes gute YB-Resultat. Weil ich mich mit dem Verein identifiziere. Und ich liebe die Stadt. Darum hat mich der Abschied grausam getroffen. Und jetzt bin ich schon wieder im Geschäft. Verrückt, wie schnell es gegangen ist.
Ich weiss nicht mehr, wie Rapid Wien auf mich gekommen ist. Zum ersten Mal Kontakt hatten wir vor vier Jahren. Sie riefen mich an, als ich gerade eben zu YB gekommen war. ‹Schade um den Zeitpunkt›, dachte ich, ‹das hätte durchaus spannend sein können›. Nun klappt es doch noch. Und ich bin fasziniert von Stadt und Verein.
Als die Liste der möglichen Kandidaten noch drei Personen umfasste, durfte ich einen Test-Fragebogen ausfüllen. 50 Fragen habe ich beantwortet. Es ging immer darum, fünf Begriffe zu ordnen nach Wichtigkeit für mich selbst. Wobei es immer ähnliche Begriffe sind, manchmal fünf positive, manchmal fünf negative.
Als sie mir die Auswertung zeigten, konnte ich es fast nicht glauben. Es war, als würden sie mich seit 30 Jahren kennen. Selbst meine Eltern waren ziemlich überrascht. Beispielsweise stand da, wie man mit mir am besten kommuniziert. Oder dass ich schon ziemlich stur und abweisend oder arrogant reagieren kann, wenn man mich nicht in Entscheidungen einbezieht oder etwas zu wenig ausdiskutiert.
Drei Tage nach dem Test bin ich zum letzten Gespräch nach Wien geflogen. Danach ist alles schnell gegangen. Ich hätte gleich beginnen können. Aber zuerst musste ich meine Vertragsmodalitäten mit YB regeln. Ich habe mich natürlich auch intensiv mit Adi Hütter ausgetauscht und mit Marcel Koller unterhalten.
Als österreichischer Nationaltrainer kennt er den Fussball rund um Wien perfekt. Er hat mir Rapid wärmstens empfohlen. Die Stadt lebt den Verein. 2008 war Rapid zuletzt Meister. Nun lechzen die Fans nach einem nächsten Erfolg. Man hat mir erzählt, es wären sofort eine halbe Million Menschen auf der Strasse bei einem Titel.
Die ersten 1500 Vereinsmitglieder dürfen bei der Weihnachtsfeier dabei sein. Um das zu erleben, haben viele sogar draussen vor dem Eingang übernachtet. Nach 10 Minuten waren alle Tickets weg.
Der Blick von der Schweiz auf den österreichischen Fussball ist immer noch geprägt vom Denken des kleinen Nachbars. Dabei sind die Vereine, was Marketing und Werbung angeht, gut aufgestellt. Weiter gar als die Schweizer Vereine.
Dafür ist der Sport etwas weniger professionell aufgestellt als in der Schweiz. Ob Altach oder Rapid Wien – Unterschiede gibt es kaum. Die Spieler kommen direkt von zu Hause zur Besammlung, einfach irgendwie angezogen. Im Training fehlen manchmal Überzieher oder Hütchen, fast wie bei einem 2.-Liga-Unihockeyverein.
Als ich vorgestellt wurde, kam natürlich sofort die Frage, wann denn endlich der Titel komme. Ich habe aus meinen Fehlern bei YB gelernt, mich etwas cleverer verhalten und nicht gleich den Pokal versprochen.
Es gibt auch andere Ziele, um erfolgreich zu sein. Momentan stehen wir auf Rang 5. Unter die Top 3 zu kommen, wäre super. Am 9. Januar nehme ich meinen neuen Job offiziell auf. Das Schönste ist: Ich spüre, die Leute freuen sich auf mich.»
(Aufgezeichnet: Etienne Wuillemin)