Am Ende der Saison 2010/11 hiess der Champions-League-Final wie schon zwei Jahre zuvor FC Barcelona gegen Manchester United. Beide Male setzten sich die Katalanen durch. Zwölf Jahre später duellieren sich die beiden Teams um den Einzug in die Achtelfinals – in der Europa League. Es verdeutlicht den Absturz der beiden Klubs, welche die Champions League bereits mehrfach gewonnen haben.
Aber in dieser Saison sind beide Teams wieder auf dem Weg nach oben. Barcelona führt die spanische Liga mit acht Punkten Vorsprung auf Real Madrid an, Manchester United steht auf Platz drei der Premier League und könnte sich mit einer Siegesserie in den Titelkampf befördern. Eng verbunden mit den neuerlichen Erfolgen sind die beiden Trainer Xavi und Erik ten Hag. Wie haben sie es geschafft, die kriselnden Topklubs wieder auf Vordermann zu bringen?
Sowohl Xavi in Barcelona als auch ten Hag in Manchester hatten bei ihrer Ankunft einige Spieler im Kader, die keinen Platz in ihren Plänen hatten. Xavi, der im November 2021 bei Barça übernahm, mistete ordentlich aus. Unter anderem liess er Coutinho, Miralem Pjanic und Memphis Depay gehen, obwohl der Klub für einige Spieler hohe Millionensummen bezahlt hatte. Doch der Coach wusste schnell, auf wen er setzen würde und wer weg muss. Ausserdem führte er sofort einen strengeren Strafenkatalog im Vergleich zu seinen Vorgängern ein. Als Erster verstiess dagegen – wenig überraschend – Ousmane Dembélé, der verspätet zum Training erschien.
Ten Hag bewies nach seinem Amtsantritt im Sommer 2022 ebenfalls schnell, dass er sich nicht vor grossen Namen scheut. Als dem Niederländer das Verhalten und die Leistung von Cristiano Ronaldo nicht gefiel, setzte er ihn auf die Bank. Nach dem Interview mit Piers Morgan, in dem sich der Portugiese überaus kritisch über Manchester United und den Trainer äusserte, wurde der Vertrag mit Ronaldo aufgelöst. Und auch Captain Harry Maguire kam nur noch zu Teileinsätzen. Wie Xavi hatte ten Hag einen klaren Plan für die Zukunft und wer in dieser eine Rolle spielt und wer nicht.
Bei den potenziellen Neuzugängen hatten die beiden Trainer ebenfalls klare Vorstellungen. Und ihre Chefs scheuten sich nicht vor grossen Investitionen, um die Wunschspieler von Xavi und ten Hag zu verpflichten. Obwohl der FC Barcelona dafür einige finanzielle Hebel in Bewegung setzen musste, investierte der Klub seit der Rückkehr seiner Vereinslegende als Trainer über 210 Millionen Euro.
So sollten die besten Voraussetzungen dafür geschafft werden, damit Xavi den Klub zurück zum Erfolg bringen kann. Mit Ferran Torres, Raphinha, Jules Koundé und Robert Lewandowski wurden mehrere Spieler für je über 45 Milionen Euro verpflichtet. Dazu kamen Profis wie Andreas Christensen, Marcos Alonso oder Franck Kessié, die ablösefrei unter Vertrag genommen werden konnten. Die Transfers halfen dem Trainer dabei, das Team um das junge Mittelfeld-Duo aus Pedri und Gavi nach seinen Vorstellungen aufzubauen.
Manchester United toppte Barça mit Ausgaben von gut 240 Millionen Euro alleine im letzten Sommer noch. Für gut 150 Millionen durfte ten Hag von seinem Ex-Klub Ajax Amsterdam sowohl Antony als auch Lisandro Martinez mitnehmen. Dazu wurde Casemiro für rund 70 Millionen von Real Madrid losgeeist. Vor allem Martinez und Casemiro gehören zu den absoluten Leistungsträgern in dieser Saison. Im Sommer soll weiter am Kader der Zukunft gearbeitet werden, unter anderem soll Frenkie de Jong vom heutigen Gegner in Manchester dann ein Thema sein.
Barça setzt weiterhin auf viel Ballbesitz und ein starkes Passspiel. Aber im Vergleich zu seinen Vorgängern Ronald Koeman und Ernesto Valverde setzt Xavi stärker auf Pässe in die Tiefe und lässt die Gegenspieler früher attackieren. Im Mittelfeld will der 43-Jährige durch das Quartett aus Pedri, Gavi, Sergio Busquets und Frenkie de Jong Überlegenheit generieren. Gemäss «The Coaches' Voice» sei Xavi «besessen davon, den Kampf im Mittelfeld zu gewinnen». Davon profitiert auch Robert Lewandowski, der in 26 Spielen bereits 23 Tore erzielte. Eine ebenfalls wichtige Rolle spielt in der Offensive Ousmane Dembélé, der auf dem rechten Flügel für Unruhe sorgt und öfters 1-gegen-1-Situationen suchen soll – mehr zu ihm beim nächsten Punkt.
Nicht zuletzt legte Xavi von Beginn weg einen Fokus auf eine stabilere Defensive. In der laufenden Saison kassierte Barcelona in 21 Ligaspielen nur 7 Gegentore. Das liegt einerseits am starken Goalie Marc-André ter Stegen, der gemäss dem erwarteten Wert von fbref.com 4,4 Tore mehr hätte kassieren sollen. Andererseits brillieren die Verteidiger um Koundé und Ronald Araujo mit ihren Zweikampfwerten und damit, dass sie so wenig Torschüsse zulassen wie kein anderes Team. Allgemein lässt niemand in der spanischen Liga so wenig Ballkontakte im und am eigenen Strafraum zu wie Barcelona.
Auch bei Manchester United hat sich unter Erik ten Hag viel verändert. Mit Casemiro haben die «Red Devils» einen echten Sechser, der das Spiel des Gegners entscheidend stören und auch einmal zerstören kann. So ist es gegen ManUnited deutlich schwieriger geworden, durch die Mitte des Felds für Gefahr zu sorgen. Das macht es dann auch für die Verteidigung einfacher, da die Angriffe berechenbarer werden. Die Statistik zeigt, dass das Team im Vergleich zur letzten Saison zwar in weniger Zweikämpfe geht, diese aber deutlich erfolgreicher bestreitet. So konnten auch Fehler abgestellt werden, die in der Vergangenheit oftmals zu unnötigen Gegentoren geführt haben.
Anders als Barça setzen die Engländer nicht auf ein deutliches Mehr an Ballbesitz. Dennoch haben neben Casemiro auch die beiden anderen zentralen Mittelfeldspieler, Christian Eriksen und Bruno Fernandes, wichtige Rollen. Wie «The Coaches' Voice» beschreibt, ist einer der Hauptgründe für die verbesserte Offensive von Manchester United die Fähigkeit von Eriksen und Fernandes, sowohl als Achter als auch als Zehner agieren und sich während des Spiels immer wieder abwechseln zu können.
Essenziell ist in der Offensive auch Marcus Rashford, der in wettbewerbsübergreifend 34 Spielen 21 Tore erzielte. Der 25-jährige Engländer kam einige Male als Mittelstürmer zum Einsatz, spielt aber vor allem seit der Ankunft von Wout Weghorst hauptsächlich auf dem linken Flügel. Da kann Rashford seine Schnelligkeit am besten ausspielen. Dabei profitiert er auch vom niederländischen Stürmer, der in allen acht Pflichtspielen nach seinem Wechsel in der Startelf stand und durch den sich vor allem auch das Spiel gegen den Ball verbesserte. Rashford erzielte in diesen Spielen fünf Tore und bereitete zwei weitere vor.
Beide gelten als gute Motivatoren und werden von den Spielern für ihren Umgang geschätzt. Sowohl Xavi als auch ten Hag wissen, was zu tun ist, um das Beste aus ihren Spielern herauszuholen. Bei beiden Teams gibt es mehrere Beispiele, welche dies eindrücklich zeigen.
Das Paradebeispiel bei den Katalanen ist Ousmane Dembélé. Der Franzose konnte sich seit seinem Wechsel im Jahr 2017 nie wirklich durchsetzen. Im letzten Jahr schien er gar kurz vor einem Abgang, da sein Vertrag nach der Saison 2021/22 ausgelaufen wäre. Xavi wollte den Flügelspieler aber halten und überzeugte Dembélé davon, zu verlängern. In dieser Saison spielt er so stark wie lange nicht, hat in 26 Spielen bereits 15 Torbeteiligungen gesammelt und ist ein Fixpunkt in der Offensive.
Beeindruckend ist auch, wie Xavi Frenkie de Jong, um den sich im Sommer viele Gerüchte rankten, den Rücken stärkte und ihn zu einem der Leistungsträger gemacht hat. Vor dem Spiel gegen Manchester United sagte der 133-fache Nationalspieler: «Er hat mir klar gesagt, dass er beim Verein bleiben will und so gab es für mich keine Zweifel. Er ist unser Spieler und ich bin sehr glücklich mit seiner Leistung und seinen Führungsqualitäten.»
Ten Hag bewies ähnliche Qualitäten bei Rashford, der bereits als ewiges Talent verschrien wurde und aktuell im Alter von 25 Jahren wohl den besten Fussball seiner Karriere spielt. Xavi bezeichnete Rashford als «einen der gefährlichsten Spieler in Europa» und lobte sein Gegenüber dafür als «grossartigen Trainer». Auch Jadon Sancho, der eine schwierige erste Saison beim englischen Rekordmeister hinter sich hat, blüht unter dem neuen Trainer regelrecht auf, wobei er von einer Verletzung etwas ausgebremst wurde. Zudem zeigte sich die Defensive unter ten Hag deutlich verbessert, was auch am viel gescholtenen Luke Shaw liegt, der eine starke Saison spielt.
Wie bereits eingangs erwähnt, erwartet man diese Paarung nicht in einer Zwischenrunde der Europa League. Dabei war natürlich auch Lospech involviert, Barça und Manchester United sind in dieser Runde wohl am stärksten einzuschätzen. Für Fussballfans ist das aber ein richtiger Leckerbissen, da nicht nur zwei Topteams mit einer Menge Weltklasse-Spielern, sondern auch zwei unterschiedliche Spielweisen aufeinanderprallen. Auf der einen Seite der Ballbesitz-orientierte Stil von Barcelona, demgegenüber steht mit Manchester United ein Team, das auch gerne ohne den Ball agiert, um dann mit schnellen Vorstössen für Gefahr zu sorgen.
Ein klarer Favorit ist nicht auszumachen. Die Buchmacher sehen Barcelona zwar vorne, aber beide Klubs befinden sich in Topform. Seit Wiederbeginn nach der WM verlor Manchester United in 15 Spielen einzig gegen Arsenal und spielte zweimal Unentschieden, während Barcelona von zwölf Spielen elf gewann und kein einziges verlor. So darf beim Duell des Tabellenführers der spanischen Liga mit dem Dritten der Premier League getrost gesagt werden, dass auch ein Hauch von Champions League mitschwingt.