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Wie ist das möglich? Wir können es an einem Beispiel aus der Schweiz erklären. Mal angenommen, ein kanadischer Kultur-Schriftsteller wird mit dem Auftrag in unser Land entsandt, ein Essay über die Bedeutung des Eishockeys in der Schweiz zu schreiben.
Er kommt aus einem Land, in dem Eishockey als Nationalsport in der Verfassung festgeschrieben ist und wo selbst die Spiele der Junioren-Ligen in ausverkauften Stadien ausgetragen werden.
Er fliegt nach Zürich und macht sich zuerst ein Bild in einer unserer Profiligen. Er quält sich am Freitagabend im stockenden Berufsverkehr mit dem Mietwagen durch die Stadt Zürich nach Küsnacht um dort die GCK Lions zu sehen. Kaum 200 Menschen verlieren sich in der kleinen Arena. Oha. Profi-Eishockey hat in der grössten Stadt des Landes keine Bedeutung. Am nächsten Tag fährt der Mann weiter nach Bern um einem Spitzenspiel der Elite-Junioren zwischen dem SC Bern und den SCL Tigers beizuwohnen. Im grössten Hockeytempel Europas verlieren sich nicht einmal 200 Zuschauer.
Alles klar: Eishockey ist in der Schweiz ein «Randsport» hat keinerlei Bedeutung.
Sein Arbeitgeber traut dem Bericht jedoch nicht und schickt einen Berufskollegen mit dem gleichen Auftrag in unser Land. Der fliegt nach Mailand. Er macht sich in Lugano beim Spiel gegen Ambri ein Bild von unserem Hockey – und ist restlos begeistert. Diese Leidenschaft gebe es nicht einmal in Kanada.
Und am nächsten Tag weilt er in Bern. Der HC Davos ist zu Gast. Bern rockt. So viele Zuschauer! So gutes Hockey! Dieser Schriftsteller feiert Bern als neue Hockey-Welthauptstadt. Eishockey ist in der Schweiz mindestens so ein populär wie in Kanada.
Was nun? Beide haben gewissenhaft ihre Arbeit getan und sind zu gegenteiligen Schlüssen gelangt.
Und jetzt wieder zu Rio. Die Zuschauer machen einzelne Wettkämpfe zu rauschenden Partys. Volleyball, Fussball, Beachvolleyball zum Beispiel. Und wenn Brasilianer im Einsatz sind, auch bei anderen Sportarten. Die Begeisterung für den Sport ist hier riesig, die Leidenschaft feurig, der Chauvinismus heftig – aber nie böse. Wir haben in Rio bisher die stimmungsvollsten Spiele der Neuzeit erlebt. Wenn wir am richtigen Ort waren.
Aber an Sportarten, zu denen die Brasilianer keine Beziehung haben, sind sie nicht interessiert. Wir dürfen behauptet, Rio seien die fadesten Spiele aller Zeiten gewesen – wenn wir an den zu dieser Behauptung passenden Wettkämpfen waren.
Was nun? In Rio ist ganz einfach der Unterschied zwischen einzelnen Sportarten so gross wie noch nie seit der totalen Kommerzialisierung der Spiele, die 1984 in Los Angeles begonnen hat.
Die Stimmung ist in einzelnen Arenen tatsächlich trostloser als bei den fadesten Wettkämpfen in Sidney, Athen, Peking oder London. Aber sie ist in einzelnen Stadien grossartiger, wilder, chauvinistischer als je zuvor. Olympischer Karneval. Für die Nordamerikaner und Europäer ungewohnt.
Was in Rio fehlt, ist die durchschnittliche Sportbegeisterung, die in der ersten Welt, in Nordamerika, Europa, Asien oder Australien wie ein Teppich die Spiele trägt und für durchwegs gut besetzt Stadien sorgt.
Aber das ist nur logisch. Der Alltag in Rio ist für sehr viele Menschen rau. Die Wege in die Stadien sind lang und mühselig. Niemand kann erwarten, dass sich Menschen für den Kanu-Slalom im olympischen Wildwasser-Zentrum interessieren, die zu Hause nicht mal fliessendes Wasser haben. Wer denn doch genug Geld hat, um ein Ticket zu kaufen, geht dorthin, wo die Post abgeht.
Also ist die richtige Schlussfolgerung: Rio hat uns nicht durchschnittliche Spiele gebracht. Es sind Spiele der Extreme in viele Bereichen. Spiele in einer Stadt mit Elendsvierteln, aber auch mit den schönsten Stränden der Erde. Leere Stadien, aber auch Wettkämpfe, die von den leidenschaftlichen Fans zu einem Sport-Karneval gemacht werden.
Und nicht zu vergessen: die Spiele, die geprägt werden vom charismatischsten Athleten aller Zeiten. Von Usain Bolt. Er hat auch über 200 Meter gewonnen. Nie zuvor haben die Spiele einen Athleten gesehen, der in diesem Ausmass beides hat: eine überwältigende sportliche Überlegenheit und ein schauspielerisches Talent, gewürzt mit prickelnder Exotik. Er steht auf Augenhöhe mit Muhamad Ali und eine Stufe über Michael Phelps.
Gerade deshalb gehen die Spiele von Rio weder als die stimmungsvollsten noch als die lausten, weder als die besten noch als die chaotischsten in die Geschichte ein. Sondern als die aussergewöhnlichsten, faszinierendsten, gegensätzlichsten der Neuzeit.