Als Verschwörungstheorie bezeichnen wir den Versuch, eine Entwicklung durch das zielgerichtete, konspirative, illegale oder eben verschwörerische Wirken von Personen zu erklären. Mit dem Phänomen der Verschwörungstheorien beschäftigt sich sogar die Wissenschaft. In unserem Fall geht es um den SC Bern, das politisch mächtigste, wirtschaftlich und sportlich erfolgreichste Hockeyunternehmen im Land.
Servettes Topskorer Tanner Richard hat es nach der verheerenden 0:7-Niederlage in Bern wieder mal auf den Punkt gebracht: «Man kennt ja den SCB-Bonus …» Er meinte damit: die Schiedsrichter stecken natürlich mit dem SCB unter einer Decke und haben Servette benachteiligt. Das weiss man ja. Oder?
Verschwörungstheorien sind beliebt. Nicht nur im Sport. Das Attentat auf US-Präsident John F. Kennedy war eine Verschwörung des FBI, der Mafia, den Kubanern und seines Vize Lyndon B. Johnson. Und der 11. September ist nichts anderes als ein monströser Versicherungsbetrug. Im Eishockey gilt: alle dienen SCB-Manager Marc Lüthi zu und sorgen dafür, dass der SCB oben und vorne bleibt. Erst recht in den Playoffs.
Ganz von der Hand zu weisen sind solche Verschwörungstheorien auf den ersten Blick nicht. Wer immer die Tür zu einem Verbandsbüro öffnet, findet einen Bären. Verbandspräsident Michael Rindlisbacher ist ehemaliger SCB-Verwaltungsrat und sein Sohn Sven Leiter der SCB-Gastronomie. Liga-Direktor Denis Vaucher ist ebenfalls Berner. Zwei der drei Führungskräfte der Schiedsrichterabteilung sind Berner mit SCB-Vergangenheit. Einzelrichter Oliver Krüger ist Berner und Ausbildungschef Markus Graf auch. Verbands-Geschäftsführer Florian Kohler ist der Grossbub des legendären SCB-Präsidenten Werner Kohler (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen ehemaligen Verbandspräsidenten) und Spielplan-Chef Willy Vögtlin ist ehemaliger SCB-Manager.
Neu soll Mark Streit, Berner und ehemaliger SCB-Junior in den Verbands-Verwaltungsrat gewählt werden. 6 von 10 Mitgliedern des Leistungsport-Komitees, dem sportlichen Führungsorgan des Verbandes, sind Berner oder haben eine SCB-Vergangenheit. Ebenso 5 von 7 Mitgliedern der Nationalmannschafts-Kommission.
Kommt dazu, dass Ueli Schwarz und Simon Schenk, die beiden Meinungsmacher beim Eishockey-TV-Sender «MySports» ebenfalls Berner sind und Senderchefin Steffi Buchli mit Florian Kohler verheiratet ist. Und noch immer wird da und dort boshaft das Gerücht verbreitet, SCB-Manager Marc Lüthi und der damalige Liga-Direktor Ueli Schwarz hätten sich nach einem SCB-Sieg im Playofffinale von 2013 im Berner Hockey-Tempels umarmt. Wirklich nur ein Gerücht. Aber es passt zu den Verschwörungstheorien.
Die Frage geht an SCB-General und SCB-Mitbesitzer Marc Lüthi. Gibt es eine SCB-Verschwörung in unserem Eishockey, wie es jetzt, pünktlich zum Playoffstart wieder verbreitet wird? Er hat die Kritik von Servette-Topskorer Tanner Richard auch gehört und sagt: «Das ist barer Unsinn. Die Schiedsrichter haben die erste Strafe gegen Servette beim Stande von 5:0 ausgesprochen.» Wo er recht hat, da hat er recht. Bis zum 5:0 hatten die Schiedsrichter tatsächlich gegen Servette keine Strafe ausgesprochen – aber einen Zweiminuten-Ausschluss gegen den SCB.
Mit Verschwörungstheorien hat der erfolgreichste Sportmanager unserer Hockeygeschichte längst leben gelernt. «Die werden regelmässig von den Lateinern, speziell von Servette und Lugano in Umlauf gebracht, und früher auch von den Deutschschweizer Teams, die von Sean Simpson gecoacht worden sind. Damit können wir gut leben.» Und fügt nicht ganz ohne Stolz hinzu: «Solche Verschwörungstheorien muss man sich verdienen.»
Marc Lüthi sagt, Eishockey lebe auch von Fehlern. Ein Fehler könne jedem unterlaufen. Den Trainern, den Spielern, den Schiedsrichtern oder den Funktionären. «Da ist es dann billig, aus einem Fehler eine Verschwörungstheorie abzuleiten.
Aber ist es denn nicht nachvollziehbar, dass bei so vielen Bernern in den verschiedenen Verbandsgremien Verschwörungstheorien aufkommen? Marc Lüthi sagt, er könne das zwar nachvollziehen. Aber der SCB profitiere von der guten Berner Vertretung nicht. Im Gegenteil. «Aus lauter Angst vor Verschwörungstheorien haben die Berner in Verbandsfunktionen während der Playoffs schon fast Angst, jemanden von uns freundlich zu grüssen.»
Nun, wenn es denn in unserem Hockey wirklich eine SCB-Verschwörung gäbe, dann hätte der SCB mit ziemlicher Sicherheit im Frühjahr 2012 den Titel nicht im siebten Finalspiel auf eigenem Eis durch einen Treffer zwei (!) Sekunden vor Schluss an die ZSC Lions verloren.
Die Berner haben übrigens damals diese bittere Niederlage ohne ein Wort des Protestes oder der Klagen sportlich hingenommen. Und so mehr Sympathien und Respekt erworben als mit allen Titeln der Neuzeit zusammen. Bis heute hat es in den Playoffs erst eine Episode gegeben, die mit ein bisschen Boshaftigkeit als eine Art Verschwörung bezeichnet werden kann und die auch sofort Folgen hatte.
Einzelrichter Victor Stancescu stolperte in den letzten Playoffs über seine nicht vollumfänglich offengelegten, aber im Handelsregister ersichtlichen geschäftlichen Verbindungen (!) mit ZSC-Stars. Der ehemalige Kloten-Captain und Jurist trat nach einem umstrittenen Einzelrichter-Entscheid in der Viertelfinalserie ZSC Lions gegen Lugano («Fall Blindenbacher») auf Druck von Lugano bereits nach nur einem Amtsjahr schon wieder zurück.
Eine immer wiederkehrende, beliebte Hockey-Verschwörungstheorie habe ich am Samstag in Biel von einem Spieler gehört, dessen Name mir soeben entfallen ist: alle Schiedsrichter wollen eine Einladung zum Spengler Cup. Deshalb haben die Unparteiischen für den HC Davos und gegen Biel gepfiffen.
Der junge Mann meinte es ernst. Na ja, so lange sie nicht in Verleumdung ausarten gehören Verschwörungstheorien zur sportlichen Unterhaltungskultur.