Gottéron ist nach wie vor eine Hockey-Traumfabrik. Dieses Hockeyunternehmen erfreut uns seit 1980 mit Emotionen, Dramen und verpassten Triumphen. Nie Meister, aber viermal im Playoff-Finale (1992, 1993, 1994 und 2013) und nach Kloten (seit 1962) am zweitlängsten in der höchsten Liga.
Gottéron hatte die Saison als Spitzenteam begonnen. Der Absturz in den Tabellenkeller ist noch nicht beunruhigend. Schon eher der Verlust aller Illusionen und Träume. Eine Begebenheit auf der Tribüne im Langnauer Hockeytempel zeigt: Gottéron ist inzwischen gewöhnlich, ja berechenbar geworden.
Cyrill Pasche (42) ist eine Hockeylegende. 2008 hat er seine Karriere nach mehr als 500 NLB-Partien mit dem Aufstieg in die NLA beendet. Inzwischen verfolgt er als Chronist für «Le Matin» das welsche Hockey.
Gottéron stürmt, tanzt durch die Abwehrzone der Langnauer. Cyrill Pasche sagt zu seinem besorgten Sitznachbarn: «Keine Sorge. Das endet mit einem Tor für Langnau». Und tatsächlich: Die Emmentaler lösen sich mit einem Konter aus der Umklammerung. Zwei, drei direkte Pässe nach dem Taktik-Lehrbuch von Heinz Ehlers steht es 1:0.
Später hat Gottéron ein Powerplay mit fünf gegen drei. Cyrill Pasche sagt zu seinem besorgten Sitznachbarn: «Jetzt wird Gottéron durch Rathgeb ein Tor erzielen. Bei fünf gegen drei sind sie nicht so schlecht.» Sekunden später verkürzt Yannick Rathgeb auf 1:2.
Im Schlussdrittel schafft Gottéron den Anschlusstreffer zum 2:3. Cyrill Pasche sagt zu seinem besorgten Sitznachbarn: «Keine Sorge. Langnau gewinnt 4:2.» Und tatsächlich: Die SCL Tigers siegen 4:2.
Wenn Gottéron so berechenbar wird, dass exakte Vorhersagen möglich werden, dann stimmt wahrlich etwas nicht mehr. Früher war Gottéron launisch wie eine Diva. Einen Lösungsansatz für eine Rückkehr zum wahren, emotionalen, unberechenbaren, wilden, spielerisch brillanten Gottéron finden wir in der Tiefe der Geschichte.
Slawa Bykow ist der charismatische Leitwolf der letzten grossen Mannschaft Russlands, die 1992 olympisches Gold und 1993 den WM-Titel gewinnt.
Dann versinkt Russlands Hockey im Chaos. Es reicht zwar noch hin und wieder für ein Olympia- oder WM-Finale – aber nie mehr für weltmeisterlichen Ruhm. Ein Grund dafür sind talentierte und trotzdem miserable Goalies. Bis Slawa Bykow im Herbst 2007 als Nationaltrainer zurückkehrt und Russland gleich zu einem historischen Triumph führt. Zum WM-Titel 2008 in Kanada.
Szenenwechsel. Slawa Bykow ist der charismatische Leitwolf der letzten grossen Mannschaft Gottérons, die 1992, 1993 und 1994 das Playoff-Finale erreicht. Dann versinkt Gottérons Hockey im Chaos. Ein Grund dafür sind talentierte und trotzdem miserable Goalies. Es reicht zwar noch hin und wieder für ein Finale – aber nie mehr zum Glanz der 1990er-Jahre.
Der Mann, der Gottéron aus dieser Depression erlösen könnte, ist Russlands Erlöser: Slawa Bykow. Er ist inzwischen 56-jährig, lebt in Fribourg und längst ist die Schweiz seine zweite Heimat geworden. Sein Bub Andrej stürmt für Gottéron, ist zurzeit aber verletzt. Er fällt mit einer Gehirnerschütterung für unbestimmte Zeit aus.
Slawa Bykow sitzt sogar im Verwaltungsrat. Beim Heimspiel gegen den HC Davos erhebt er sich und fordert das Publikum auf, die Mannschaft zu unterstützen. 6000 skandieren seinen Namen. Der Erlöser ist so nah und doch so fern. Ein Verwaltungsrat an der Bande. Das hat es in unserem Hockey noch nie gegeben. Nach wie vor ist Larry Huras (61) Gottéron-Trainer.
Keine Frage, Slawa Bykow hat ein ganz anderes Charisma als Larry Huras. Dieser kanadische Hockey-Handelsreisende arbeitet zufälligerweise bei Gottéron. Weil er nur hier noch Arbeit gefunden hat.
Larry Huras würde gleich trainieren und die gleichen Sprüche machen, wenn er in Biel oder Lausanne oder Oslo oder Mannheim oder Berlin wäre. Er lässt gleich trainieren und bringt die gleichen Sprüche wie in Grenoble, Gap, Rouen, Zürich, Ambri, Lugano, München, Ingolstadt oder Örnsköldsvik.
Der Kanadier ist bei Gottéron nicht auf einer Mission wie es Slawa Bykow wäre. Er ist bloss auf der Durchreise. Der einst so charismatische Bandengeneral strahlt Resignation aus. Er hat längst alle Illusionen verloren. Er kämpft mit seinen Jungs nicht mehr um die Playoff-Teilnahme. Sondern lediglich gegen die Schande des letzten Platzes. Seit dem Aufstieg von 1980 hat Gottéron die Qualifikation noch nie auf dem letzten Platz beendet. Larry lost in Hockey-Hollywood.
Gottéron spielte auch gestern in Langnau fleissiges, aber illusionsloses Spektakelhockey ohne Fortune. Das Talent müsste bei weitem für einen komfortablen Sieg reichen. Aber der Puck will einfach nicht Gottérons Wege gehen. Ist das die Schuld des Trainers? Wahrscheinlich nicht. Aber die Versuchung ist gross, einem Trainerwechsel von Larry Huras zu Slawa Bykow heilende Wirkung zuzuschreiben. Zumindest dann, wenn wir Hockey auch ein bisschen als Glaubenssache betrachten. Aber Slawa Bykow denkt noch nicht daran, Gottéron-Trainer zu werden.
Eigentlich ist es viel einfacher. Das Spiel in Langnau hat die Antwort auf die Frage nach dem «Warum?» dieser missglückten Saison geliefert: Gottéron trifft fast immer auf einen Gegner mit einem besseren Torhüter.
Ivars Punnenovs hext die Langnauer mit einer Fangquote von 93,55 Prozent zum Sieg. Benjamin Conz lässt aus den drei ersten Schüssen zwei Treffer zu und am Ende hat er eine Abwehrquote von 77,78 Prozent. Er ist statistisch der miserabelste Torhüter der Liga. Der einzige mit einer Saison-Fangquote unter 90 Prozent.
Ein neuer Trainer? Ein neuer Präsident? Neue Verwaltungsräte? Ein neuer Manager? Ein neuer Sportchef? Andere Ausländer (was diese Saison nicht mehr möglich ist, Sportchef Christian Dubé hat schon alle Lizenzen verbraucht)? Es gibt gute Gründe dafür, alle diese Fragen mit «Ja» zu beantworten.
Aber fürs erste würden andere Torhüter genügen. Der Präsident, die Verwaltungsräte, der Manager, der Sportchef und der Trainer stünden in einem besseren Licht da.
Benjamin Conz (25) mahnt durchaus ein wenig an Robert Meuwly, heute 64. Der Aufstiegsheld von 1980 und NLA-Rückhalt bis 1986, liebevoll «Robelon» gerufen, war auch ein ruhiger, fast stoischer und leicht übergewichtiger Goalie. In den Drittelspausen gönnte er sich hin und wieder im Kabinengang eine Zigarette. Aber das waren andere Zeiten.
Heute müssen die Goalies flinker, aggressiver, physisch stärker als die Stürmer und die Verteidiger sein. Benjamin Conz, einst weltweit einer der talentiertesten seines Jahrganges, wirkt mit seinem passiven Stil, seiner Grundposition tief im Netz und seinem Verharren auf der Torlinie inzwischen fast ein wenig wie aus der Zeit gefallen. In einem Satz: Gottéron hat ein Torhüterproblem.
So etwas sagt Trainer Larry Huras natürlich nicht. Vielmehr stellt er selbstkritisch klar, die Niederlage in Langnau habe nichts mit Glück oder Pech zu tun. «Wir haben die entscheidenden Fehler selber gemacht.»
Jemand fragt, ob es nicht bitter sei, beinahe jeden Abend auf einen Gegner zu treffen, der den klar besseren Torhüter habe? Larry Huras sagt: «Nächste Frage, bitte …»