Bei Italien sitzt der Stachel nach der verpassten direkten WM-Qualifikation tief. Nachdem der Europameister am letzten Spieltag noch von der Schweiz überholt wurde, müssen die Italiener im März die Playoffs bestreiten. Dies bereitet vielen Fans Sorgen – vor allem, weil im Nationalteam ein offensichtliches Stürmerproblem besteht.
Dies zeigte sich zuletzt auch in den abschliessenden Quali-Spielen gegen die Schweiz und Nordirland. Die Absenz von Stammstürmer Ciro Immobile wog schwer, gegen die Schweiz blieb sein Ersatz Andrea Belotti derart blass, dass sich Trainer Roberto Mancini im Spiel gegen die Nordiren dazu entschied, Lorenzo Insigne als «Falsche 9» aufzustellen. Das Experiment scheiterte: Italien kam kaum zu Chancen und musste sich mit einem 0:0 begnügen.
So wurden diese zwei Spiele letztendlich zum Sinnbild eines Problems, welches Italien schon längere Zeit beschäftigt: Die Mittelstürmer schiessen kaum Tore. In acht der letzten neun Pflichtspiele ging der Spieler auf der Neun jeweils leer aus, einzig beim Sieg gegen Litauen waren mit Moise Kean (zweimal) und Giacomo Raspadori zwei gelernte Mittelstürmer erfolgreich. Und auch Ciro Immobile, der bei Lazio fast nach Belieben trifft, kommt in diesem Jahr in 14 Pflichtspielen nur auf vier Tore, das letzte beim zweiten EM-Gruppenspiel gegen die Schweiz im Juni.
In Italien wurden so in den letzten Tagen Erinnerungen an die WM-Quali für Russland 2018 wach. Auch damals tat sich der vierfache Weltmeister in der Offensive extrem schwer, was darin gipfelte, dass man in den beiden Barrage-Partien gegen Schweden keinen Treffer erzielte und überraschend scheiterte. Nun stellen sich Fans und Medien bereits die Frage: Welche Mittelstürmer sollen ein ähnliches Debakel verhindern und in den Playoffs die Tore schiessen?
In den letzten Tagen brachte sich deshalb ein alter Bekannter ins Spiel: Mario Balotelli. Der 31-Jährige spielt mittlerweile in der Türkei bei Adana Demirspor, wo er in 13 Partien fünf Tore erzielte. «Ich fühle mich gut und wäre bereit für eine Rückkehr ins Nationalteam», erklärte Balotelli im Interview mit der Gazzeta dello Sport. Es sei ein Traum von ihm, sein Comeback geben zu dürfen, führte er aus und ergänzte: «Ich würde zu Fuss aus der Türkei loslaufen, wenn ich wissen würde, dass ich im März aufgeboten werde.»
Tatsächlich scheint eine Rückkehr Balotellis zwar schwierig, aber nicht unmöglich. Der 31-Jährige hat eine gute Beziehung zu Nationalcoach Mancini, welcher ihn von 2007 bis 2008 bei Inter und von 2010 bis 2013 bei Manchester City trainierte. «Unser Verhältnis ist hervorragend», so Balotelli selbst, «er hat mir gesagt, was er von mir erwartet, damit ich zurück ins Nationalteam darf». Und auch Mancini sagte erst im Oktober: «Die Türen zum Nationalteam stehen Balotelli noch immer offen.»
Für Balotelli spricht, dass er im Gegensatz zu vielen anderen Kandidaten über Erfahrung im Nationalteam besitzt. Insgesamt kam der gebürtige Süditaliener auf 36 Länderspiele, sowohl bei der EM 2012 als auch bei der WM 2014 war er Stammspieler Italiens. Mit 14 Treffern ist er zudem hinter Ciro Immobile (15) der erfolgreichste noch aktive Torschütze im Nationalteam. Sein letzter Einsatz für die «Squadra Azzurra» liegt aber schon über drei Jahre zurück. Und auch im Vereinsfussball sind Einsätze auf internationalem Niveau schon etwas länger her. Vor seinem Abstecher in die Türkei spielte er zuletzt in der Serie B für Monza sowie bei Serie-A-Absteiger Brescia.
Neben Balotelli sorgt die Mittelstürmer-Not im Nationalteam derweil für weitere aussergewöhnliche Vorschläge. Cagliaris Sportchef Stefano Capozucca brachte etwa Joao Pedro, welcher für die Sarden stürmt, ins Gespräch. Der 29-jährige Pedro ist gebürtiger Brasilianer, aber mit einer Italienerin verheiratet und deshalb seit 2017 in Besitz des italienischen Passes.
«Ich verstehe nicht, warum er kein Thema sein sollte», so Capozucca gegenüber Radiolina. «Ich habe auch einigen wichtigen Leuten gesagt: ‹Schaut mal, Joao Pedro ist Italiener!›» Tatsächlich wäre es für Pedro möglich, sofort für Italien aufzulaufen. Für Brasilien spielte er nur für die U17, für das A-Nationalteam wurde er nie aufgeboten.
Für ihn sprechen die Zahlen der letzten Jahre: In den letzten zwei Saisons gehörte er jeweils zu den zehn besten Torschützen der Serie A. Auch in diesem Jahr hat er in zwölf Ligaspielen bereits wieder sieben Tore erzielt. Allerdings ist seine Erfahrung auf internationaler Bühne trotz seinen 29 Jahren überschaubar: Pedro absolvierte elf Partien in der Europa League für Estoril und Palermo, in der Champions League lief er noch nie auf. Zudem liegt sein Cagliari derzeit auf dem letzten Platz der Serie A.
Ein weiterer neuer Name, welcher derzeit immer wieder für ein Nati-Aufgebot ins Spiel gebracht wird, ist derjenige von Lorenzo Lucca. Der 20-Jährige etablierte sich zuletzt als Stammspieler in der U21-Nationalmannschaft, wurde von Roberto Mancini schon im Verein beobachtet und verfügt mit einer Körpergrösse von 2,01 Metern zudem über die Statur eines Bilderbuch-Mittelstürmers. «Er ist stark, ein König im Strafraum, eine richtige Neun, ein neuer Ibrahimovic», beschreibt ihn ein Journalist des «Corriere dello Sport» in einer Kolumne.
Dennoch kommen auch bei der Option Lucca bei vielen Fans und Experten Zweifel auf. Ein Aufgebot für die Playoffs komme zu früh, sagen viele – schliesslich spielt der 20-Jährige derzeit nur in der Serie B für Pisa. In der Serie A hat er noch kein einziges Spiel absolviert, in der letzten Saison verdiente er sein Geld noch in der Serie C.
In den letzten Spielen ergänzte Nationaltrainer Roberto Mancini das Stürmer-Aufgebot um Immobile, wenn er denn fit war, und Belotti durch die beiden Sassuolo-Stürmer Giacomo Raspadori und Gianluca Scamacca. Auch diese werden ein Thema bleiben – allerdings haben beide einen schwierigen Saisonstart hinter sich, in zwölf Ligaspielen für Sassuolo kommen sie gemeinsam nur auf drei Tore, womit ihr Platz im Nationalteam wohl gefährdet ist. Bessere Karten könnte Moise Kean von Juventus haben, der ebenfalls immer wieder vereinzelt aufgeboten wurde, zuletzt aber verletzt fehlte.
Wieso also nicht? 🤔