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Du willst nur das Beste? Voilà:
Sie haben eine moderne Homepage und sogar ein cooles persönliches Logo. Wir haben Sie unterschätzt.
Christian Stucki: Wir Schwinger müssen halt auch mit der Zeit gehen. So ein Logo haben andere Spitzenschwinger auch.
Das braucht es ja auch zur Vermarktung. Sind eigentlich die Verbandsoberen erfreut über diese Entwicklung?
Ganz alle freuen sich wohl nicht darüber. Aber das Verständnis ist sicher da. Schliesslich müssen sich heute ja auch die Organisatoren der grossen Feste vermarkten. Das Budget beim letzten Eidgenössischen betrug 26 Millionen und die Zuschauer erwarten eine gute Organisation. Das funktioniert nur noch mit Sponsoren. Wir sitzen also alle im gleichen Boot. Zudem geben wir ja zehn Prozent von unseren persönlichen Werbeeinnahmen dem Verband für die Nachwuchsförderung ab.
Sie arbeiten als Lastwagen-Chauffeur. Könnten Sie auf eine Berufstätigkeit verzichten und von Ihren Werbeeinnahmen als Schwinger leben?
Ja, wenn ich sehr, sehr bescheiden leben würde. Aber ich möchte auch dann nicht Profi sein, wenn ich gut davon leben könnte. Ich bin froh um meinen Job. Ich arbeite 60 Prozent und so habe ich genug Zeit für das Schwingen und für meine Familie. Nur Profi zu sein, wäre doch sehr monoton. Zumal ich ja als Schwinger nicht alleine trainieren kann. Ich brauche zum Üben einen Gegner, ich kann ja nicht einfach einen Sack ins Sägemehl schmeissen. Ich schwinge zur Freude und habe das Glück, dass ich damit auch sogar noch etwas verdiene. Das hätte ich nicht zu träumen gewagt, als ich mit dem Schwingen angefangen habe.
Schon Jeremias Gotthelf schrieb über Geld, Geist und Neid. Hat sich das Klima unter den Schwingern verändert dadurch, dass diejenigen an der Spitze nun etwas verdienen und die anderen nicht?
Nein, das glaube ich nicht. Wir müssen einfach alle uns selbst bleiben. Die Schere ist ja in andern Sportarten viel grösser. Letztendlich schwingen wir alle, weil es uns Spass macht.
Sie sind bereits heute ein sehr beliebter Akteur in einer sehr angesagten Sportart. Geschätzt der Fall, dass Sie sich am Eidgenössischen Schwingfest Ende August auch noch zum König krönen, wären Sie ein ausgezeichneter nationaler Werbeträger und bestens vermarktbar.
Das kann durchaus sein. Aber dafür müsste ich erst König werden.
Verdienen Sie mit Werbung so viel wie König Matthias Sempach?
Nein, das glaube ich nicht. Wir sprechen uns zwar nicht ab, und ich weiss auch nicht, was Mättu (König Matthias Sempach, Anm.d.Red.) für welche Dienstleistung verlangt. Doch wüsste ich es, hätte ich wohl Schwierigkeiten, so viel zu verlangen wie der König.
Sie haben zwar den Schlussgang beim Eidgenössischen verloren – aber als «König der Herzen» sind Sie so populär wie der König. Ihre spontane Gratulation nach der Niederlage ist den Leuten fast noch stärker in Erinnerung geblieben als der Sieger.
Ob das so ist, werden wir in 50 Jahren sehen. Wenn sich die Leute immer noch daran erinnern, haben Sie recht.
Kam diese spontane Reaktion wirklich von Herzen?
Ja, das kam spontan. So bin ich. Der Mättu und ich kennen uns seit Jahren. Er war besser, ich gönnte ihm den Titel von Herzen und drückte das so aus.
Der grosse Jörg Abderhalden hat einmal gesagt, man werde nur König, wenn man auch einen gewissen Egoismus habe. Sie werden als «Gemütsmore» bezeichnet. Sind Sie zu nett, zu wenig egoistisch, um König zu werden?
Was Sie für Fragen haben!
Das interessiert uns halt.
Diese Frage kann ich eigentlich nicht beantworten. Ich bin wie ich bin. Es ist mein Naturell, die Dinge ruhiger anzugehen.
Also zu wenig Egoist, um König zu werden?
Wir sollten Ehrgeiz nicht mit Egoismus verwechseln. Jeder Einzelsportler ist ehrgeizig. Auch ich. Sonst würde ich ja den ganzen Trainingsaufwand nicht auf mich nehmen. Wenn ich nicht ehrgeizig wäre, würden wir jetzt nicht hier sitzen und ein Interview führen, und ich hätte nicht über hundert Kränze gewonnen. Ich denke aber, dass sich Ehrgeiz und die Anerkennung der Leistung des Gegners durchaus vereinbaren lassen. Wenn einer besser ist als ich, dann ist das okay. Ich bin beim Eidgenössischen in den Schlussgang gekommen. Das muss man erst mal schaffen, und darüber habe ich mich gefreut. Das hat nichts mit fehlendem Ehrgeiz oder Egoismus zu tun.
Wenn man Ihnen gegenüber sitzt und mit Ihnen spricht, kann man sich gar nicht vorstellen, dass Sie aggressiv sein können. Aber das müssten Sie doch eigentlich sein.
Im Privatleben braucht es tatsächlich sehr viel, bis mich etwas auf die Palme bringt. Aber wenn ich im Schwingen nicht aggressiv sein könnte, hätte ich nicht 27 Feste gewonnen und es nicht auf 105 Kränze gebracht. Man kann meine Erfolge nicht einfach auf meine Grösse und mein Gewicht reduzieren. Da spielen auch andere Faktoren, wie die Technik und eben die Aggressivität eine Rolle.
Dann würde ja nichts dagegen sprechen, dass Sie doch noch König werden?
Nein, eigentlich nicht.
Doch, Ihr Alter. Noch nie ist einer über 30 König geworden. Warum ist das so? Kann es sein, dass man sich in diesem Alter vom Samstag auf den Sonntag nicht mehr so gut erholen kann wie die Jungen?
Dass es noch keiner über 30 geschafft hat, ist wohl einfach Zufall. Natürlich stehe ich heute nicht mehr auf wie ein Engel. Es zwicken mich ein paar Bresten. Aber deshalb steht einer guten Leistung am zweiten Tag nichts im Wege. Dazu kommt, dass einem die Erfahrung an einem grossen Fest auch viel hilft.
Nächtigen Sie am «Eidgenössischen» vor Ort oder gehen Sie über Nacht nach Hause?
Burgdorf, wo das letzte Eidgenössische stattfand, ist ja fast vor meiner Haustüre. Da übernachtete ich zuhause. Und auch nach Estavayer ist es keine Weltreise. Würde das Fest jedoch in Graubünden stattfinden, würde ich wohl kaum heimreisen.
Sie sprachen vorhin den Faktoren Technik an. Sind Sie technisch gut genug?
Sie reduzieren mich also doch auf meine Grösse und mein Gewicht?
Nein. Aber wir wissen, dass es Leute gibt, die das tun. Stört Sie das?
Heute nicht mehr. Wenn ich das höre, dann schalte ich auf Göschenen-Airolo. Beim einen Ohr rein, beim anderen raus.
Also ist die Technik kein Problem?
Wenn ich technisch nicht gut wäre, dann wäre ich als Schwinger jetzt nicht dort, wo ich bin.
Technisch auf Niveau eines Königs?
Ich will mich nicht selber loben. Aber ich beherrsche meine Schwünge und mache sie sauber und konsequent. Dafür trainiere ich ja.
Wie viele Schwünge gibt es eigentlich?
Etwa 36.
Und wie viele davon beherrschen Sie?
Fünf oder sechs.
Schwingen ist also auch eine Frage der Technik und der Beweglichkeit. Bedeutet das, dass Sie als Titan mit Ihrer Grösse und ihrem Gewicht nicht nur Vorteile haben?
Mit meiner Grösse und meinem Gewicht habe ich einige Vorteile. Aber eben nicht nur. Zwar muss ein Gegner mein Gewicht erst einmal bewegen. Aber ich selbst muss mein Gewicht ebenfalls bewegen.
Trainieren Sie ganz gezielt die Beweglichkeit?
Ich spiele einmal in der Woche Squash. Das fördert auch die Koordination.
Ist es einfacher gegen grosse Gegner zu schwingen?
Ich habe tatsächlich lieber gross gewachsene Gegner, die in den Griffen schwingen als kleine, die versuchen, aus den Griffen zu gehen. Inzwischen komme ich aber auch mit den kleineren Gegnern besser zurecht.
Was ist das Gegenmittel, wenn einer partout nicht schwingen will und nur auf einen Gestellten aus ist?
Dann muss ich halt mal einen «zämechrute».
So ganz entgegen ihrem Naturell richtig ein Böser sein.
Wenn Sie es so sagen.
Regen Sie sich überhaupt auch mal auf beim Schwingen? Was braucht es, damit es Ihnen den Nuggi raushaut?
Das ist schwierig zu sagen. Ich bin wirklich sehr tolerant und ich beruhige mich auch schnell wieder.
Aber manchmal regen Sie sich schon auf, oder?
Ja, wenn einer einfach nicht schwingen will und nichts macht. Da bin ich schon mal unwirsch geworden und habe gesagt: Wenn du nicht schwingen willst, dann bleib doch einfach zuhause.
Sie haben sich auch schon über die Einteilung geärgert.
Sie meinen, letzte Saison beim Nordostschweizerischen?
Ja.
Es stimmt. Da habe ich mich darüber aufgeregt, dass man mir so schwere Gegner zugeteilt hat.
Das ist doch ein Kompliment. Nur die ganz Bösen bekommen die Bösen zugeteilt.
Ja, da haben Sie recht. Ich habe mich einfach aufgeregt, weil man mir Gegner zugeteilt hat, die nicht schwingen und nur stellen wollten.
Aber das ist halt so, wenn Sie als Gast bei einem anderen Teilverbandsfest antreten. Das machen wir Berner mit den Gastschwingern auch so.
Ja, so war es wohl schon immer und so wird es wohl auch immer sein. Aber wir haben das Recht auf freie Meinungsäusserung. Da darf ich mich ja schon mal kurz aufregen.
Gibt es eigentlich beim Schwingen auch Psychospielchen? Provokationen? So wie vor einem Schwergewichtskampf im Boxen?
Nein, das gibt es unter Schwingern nicht. Höchstens mal ein ironischer Spruch.
Aber die Psychologie spielt schon eine Rolle?
Ja, aber auf einer anderen Ebene. Es geht mehr um die Körpersprache. Wie ich in den Ring gehe und wie ich meinem Gegner die Hand gebe.
Entschlossenheit demonstrieren.
Ja.
Sie sind als Werbeträger gefragt. Sprechen Sie die Preise mit den anderen Spitzenschwingern ab?
Nein. Ich schaue, dass es für mich stimmt. Wenn ich zum Beispiel für eine Autogrammstunde 500 Franken verlange, dann bekomme ich so viele Anfragen, dass ich nur nach am «umeseckle» bin und meine Familie und das Training vernachlässige. Also verlange ich einen höheren Preis. Ich erbringe ja auch eine Gegenleistung. Wenn ich dafür sorge, dass einer dank meiner Präsenz an seinem Stand viele Besucher hat und den Umsatz steigern kann, dann bin ich das Geld wert. Es muss für beide Seiten stimmen.
Was sagen Sie zu den Gerüchten, dass Sie zu den Titanen gehören, die im Jahr eine halbe Million verdienen?
Es wäre schön, wenn es so wäre. Ich habe Ihnen ja bereits gesagt, dass ich sehr bescheiden leben müsste, wenn ich von dem Geld, das ich verdiene, weil ich Schwinger bin, leben müsste. Mit einer halben Million müsste ich nicht bescheiden leben.
Wie viel müssen wir bezahlen, wenn wir Sie für eine Autogrammstunde buchen wollen?
Fragen Sie den Rolf (Christian Stuckis Manager Rolf Huser, Anm.d.Red). Er organisiert das für mich.
Sie sind ein guter Kommunikator. Haben Sie Medientraining gemacht?
Nein, nie. Ich habe im Laufe der Jahre einfach gelernt, mich besser auszudrücken.
Das war nicht immer so?
Nein. Ich erinnere mich noch sehr gut, wie es nach meinem ersten Festsieg war. Da hat mich der Albi Saner vom Tele Bärn zu einem zwölfminütigen Talk eingeladen. In diesem zwölf Minuten hat der Albi zehn Minuten geredet und ich kam vielleicht während zwei Minuten zu Wort. Heute wäre so ein Talk ausgeglichener. Aber ich bin immer noch keiner, der gleich drein schiesst. Aber heute fällt es mir etwas leichter, die richtigen Worte zu finden.
Sie wären auch ein guter Politiker.
Meinen Sie?
Ja, Ihr Wort hätte im besten Wortsinne Gewicht.
Ja, ja, schon gut.
Im Ernst: Denken Sie an eine politische Karriere?
Nein. So lange ich als Schwinger aktiv bin, äussere ich mich nicht zu politischen Themen.
Aber so als Gemeinderat könnten Sie es schon versuchen.
Ja, warum nicht. Wir werden sehen.
Und als Nationalrat würden Sie auf Anhieb gewählt.
Ist es im Nationalrat nicht eher langweilig? Zudem müssten mir dann viele Leute ihre Stimme geben.
Immerhin gehören Sie zu den populärsten Einzelsportlern im Land!
Ist das so?
Sie haben jedenfalls einen hohen Wiedererkennungsgrad. Merken Sie das im täglichen Leben nicht?
Nun, jetzt wo Sie es sagen. Ja, ich werde schon mal auf der Strasse oder in Zürich im Tram erkannt.
Stört Sie das?
Nein, es ist ja eigentlich schön. Manchmal ein bisschen mühsam. Ich nehme es einfach, wie es kommt.
Dürfen wir Sie auch etwas Persönliches fragen?
Nur zu!
Wir haben immer gedacht, Schwinger seien sehr konservativ. Aber Ihre Frau ist berufstägig und arbeitet im Notariat von Biels Hockey-Präsident Andreas Blank.
Ja natürlich. Sie hat dort weiterhin eine 40-Prozent-Stelle. Sie muss doch wegen mir nicht ihre gute Stelle ganz aufgeben. Meine Karriere ist nur möglich, weil ich eine so wunderbare Frau habe. Es muss für uns beide stimmen und ich kümmere mich gerne auch um unsere beiden Kinder. Wir haben ausserdem das Glück, dass meine Eltern beim Kinderhüten helfen.
Wir nehmen an, dass Sie bei Ihrer Frau beim Kennenlernen nicht als «böser» Schwinger gepunktet haben. Sondern mit Ihrer sanften Art.
Ja, wahrscheinlich schon. Aber es war nicht einfach. Drei Jahre lang bin ich ihr hinterher gelaufen, bis ich sie endlich hatte. Wie es halt so geht im Leben.
Sie haben Ihre Frau also nicht auf dem Schwingplatz kennen gelernt.
Nein. Beim Winzerfest in Erlach.
Sie tragen den Namen einer grossen Schwingerdynastie …
… ja, aber ich bin mit den Stuckis aus Koppigen (Ueli, Peter und Hans Stucki, Anm.d.Red.) nicht verwandt. Mein Heimatort ist Röthenbach im Emmental und mein Grossvater ist ins Seeland ausgewandert. Mein Vater war auch Schwinger.
War er ein «Böser»?
Er hat 13 Kränze gewonnen und beim Eidgenössichen 1986 in Sion fehlte ihm nur ein Viertelpunkt zu Kranz.
Wie steht es eigentlich mit Ihrer Hornusser-Karriere?
Die habe ich vorerst auf Eis gelegt.
Aber Sie sind ein Langschläger und einer der ganz wenigen, die sowohl im Hornussen als auch im Schwingen mehrere eidgenössische Kränze gewonnen haben.
Ja, das schon. Aber wenn ich weiterhin hornussen würde, dann wäre ich gar nie mehr zu Hause.
Welche Ziele haben Sie noch, abgesehen vom Königstitel?
Es wäre schön, wenn ich auf der Schwägalp gewinnen könnte. Dann hätte ich alle Bergschwingfeste mindestens einmal gewonnen. Die Siege beim NOS und beim Innerschweizerischen fehlen mir ebenfalls noch.