Wieder einmal heisst es am heutigen Donnerstag (16.20 Uhr, live im watson-Ticker) an der Eishockey-WM Schweiz gegen Deutschland. Und als Doppelbürger der beiden Nachbarländer werde ich natürlich wieder gefragt: «Für wen bist du denn?» Meine Antwort: «Für die Schweiz!»
Auch im letzten Sommer wurde mir diese Frage häufig gestellt. Da traf die Schweiz in der Vorrunde der Fussball-EM auf Gastgeber Deutschland. Damals war meine Antwort jedoch eine andere: «Für Deutschland!»
Die unterschiedlichen Antworten sorgten für Unverständnis. Ich dürfe doch nicht im Fussball für das eine und in anderen Sportarten für das andere Land sein, schlug es mir entgegen. Ich müsse mich entscheiden, wenn die Schweiz und Deutschland gegeneinander spielen.
Weshalb mein Herz im einen Sport für die eine Heimat und im anderen Sport für die andere schlägt, kann ich gar nicht so genau erklären. Auch im Skifahren ärgert es mich, wenn ein Deutscher einem Schweizer den Sieg klaut. Was habe ich damals geflucht, als Thomas Dressen sich 2018 in Kitzbühel noch vor Beat Feuz drängte.
Nun kann man mir vorwerfen, dass ich mir schlicht die Rosinen rauspicke, ich ein Erfolgsfan sei. Schliesslich ist Deutschland fussballerisch klar überlegen, während die Schweiz eher eine Eishockey- und Ski-Nation ist. Ich vermute dahinter jedoch einen anderen Grund – und der seid ihr, liebe Schweizerinnen und Schweizer.
Wahrscheinlich ist meine Präferenz für Deutschland gegenüber der Schweiz im Fussball eine Gegenreaktion auf all die Provokationen und Feindseligkeiten, die den Deutschen und ihrem Nationalteam immer wieder entgegenschlagen – und von denen auch ich mich teilweise betroffen fühle. Die Deutschen seien alle «arrogant» und «unfreundlich». Das sehe man ja schon bei der Bestellung beim Bäcker. Ich werde schon wieder wütend, während ich diese Zeilen schreibe. Wie beschränkt muss der Horizont einer Person sein, dass sie wegen eines Satzes am frühen Morgen an der Brötchentheke auf den Charakter eines ganzen Volkes schliesst?
Im Fussball ist diese Abneigung der Schweizer gegenüber dem Nachbarn im Norden jeweils am stärksten spürbar. Da müssen die beiden Länder nicht einmal gegeneinander spielen. Es reicht schon, wenn Deutschland überhaupt eine Niederlage einsteckt. Diese werden bejubelt wie Siege der Nati. Riesig war beispielsweise die Schadenfreude an den Weltmeisterschaften 2018 und 2022, die ich zu spüren bekam, als Deutschland jeweils in der Gruppenphase scheiterte.
Mit meinem Lieblingsteam war ich bei Grossanlässen also immer alleine. Mittlerweile kann ich gut damit umgehen und finde die Spässe und Provokationen lustig, früher – gerade zu Schulzeiten – war das aber nicht immer so. Und womöglich ist diese Trotzreaktion den Schweizerinnen und Schweizern gegenüber noch immer in mir verankert. Schliesslich würde ich es ja trotzdem zu hören bekommen, dass die Schweiz gegen Deutschland verloren hat, selbst wenn ich der Nati in diesem Spiel die Daumen drücken würde.
Im Eishockey waren diese Scharmützel gefühlt nie so gross. Das liegt sicher auch daran, dass der Fussball populärer ist, aber vor allem wohl daran, dass Deutschland hier der Aussenseiter ist. Niederlagen der Deutschen sind hier deutlich häufiger, wodurch die Schadenfreude minimiert wird. Spielt Deutschland nicht gegen die Schweiz, sind die Partien kaum Thema. Auch bei mir löst das DEB-Team viel weniger Emotionen aus als das deutsche Fussballnationalteam.
Deshalb werde ich heute der Schweiz die Daumen drücken – ob ich es in euren Augen nun darf oder nicht. Und sobald die Partie vorbei ist, freue ich mich wieder über die Siege beider Nationen.
Aber immerhin gewinnst du heute sicherlich
Ich stamme aus 4 Nationen, D gehört auch dazu. Bin in der Schweiz aufgewachsen und zuhause. Natürlich freue ich mich am meisten, wenn die Schweiz erfolgreich ist. Wenn sie nicht mehr dabei ist, dann folgen andere... und ich gebe es zu, D zuletzt.
Warum? vielleicht genau deswegen:
"Wie beschränkt muss der Horizont einer Person sein, dass sie wegen eines Satzes am frühen Morgen an der Brötchentheke auf den Charakter eines ganzen Volkes schliesst?"
Ein anderes Anstandsgefühl.