Lebenslänglich. Romano Fenati (22) büsst für einen verrückten Aussetzer wahrscheinlich mit dem Ende einer Karriere, die eine grosse hätte werden können. Er hat sich inzwischen entschuldigt und in italienischen Medien erklärt, er werde sich ins Eisenwarengeschäft seiner Eltern in Ascoli zurückziehen. Der GP-Zirkus sei nicht mehr seine Welt. Er flüchtet sich in die Opferrolle und klagt über eine verstörende Welle des Hasses, die ihm in den sozialen Medien entgegenschlage. Morddrohungen inklusive.
Er hatte am Sonntag bei Tempo 200 km/h während des Moto2-Rennens in Misano seinem Landsmann Stefano Manzi (19) in die Vorderbremste gegriffen. Eine lebensgefährliche Aktion, die der Angegriffene als Versuch wertete, ihn zu töten.
Die Hitzköpfe waren zuvor schon in heftigen Gefechten aneinandergeraten, Romano Fenati fühlte sich provoziert und tatsächlich wird Stefano Manzi für sein Verhalten bestraft und beim nächsten Rennen in der Startaufstellung um sechs Positionen rückversetzt.
Am ehesten lässt sich Romano Fenatis Ausraster mit dem wütenden Angriff von Todd Bertuzzi (Vancouver) gegen Steve Moore (Colorado) vergleichen, der als eine der schlimmsten Aktionen in der Geschichte des bezahlten Eishockeys gilt. Steve Moore blieb mit einem gebrochenen Genick und schweren Gesichtsverletzungen auf dem Eis liegen. Seine NHL-Karriere war vorbei. Todd Bertuzzi wurde sofort gesperrt und (inklusive Lockout-Saison) 17 Monate aus dem Verkehr gezogen und in einem Strafprozess schuldig gesprochen.
Der «Fall Fenati» ist allerdings mehr als ein einmaliger Ausrutscher. Er steht auch für die neue, nie dagewesene Gnadenlosigkeit im internationalen Rennsport.
Gewiss, auch in «alten Zeiten» sind die Jungs hart zur Sache gegangen und das Auge der TV-Kamera war nicht überall. Aber es dauerte länger, bis einer ganz oben war und einen gewissen Reifeprozess durchlaufen hatte. «Wunderkinder», die früh siegten (wie Freddie Spencer, der mit 21 Weltmeister der Königsklasse war) hat es schon im letzten Jahrhundert gegeben. Aber Karrieren begannen später. Jacques Cornu war beispielsweise 35 als er seinen ersten GP gewann. Rennsport auf höchstem Niveau bereits mit 16 oder 17 Jahren war undenkbar.
Heute wird der Kampfgeist im Schulalter geschärft. Im «Red Bull GP Rookies Cup» (im Rahmenprogramm der Töff-GP) treten seit 2007 Buben zwischen 13 und maximal 17 Jahren auf identischen Viertaktern an, die auf über 200 km/h beschleunigen. Diese Rennen sind von unerhörter Intensität.
Auch zwei der drei GP-Klassen (Moto2 und Moto3) werden auf praktisch identischen motorisierten Apparaten ausgefahren.
Bis ins 21. Jahrhundert hinein kämpften die Gladiatoren auch mit der Technik. Heute gibt es kaum mehr technische Ausfälle. Die Energie wird in den «Schräglagen-Kampf» investiert. Es gibt keinen anderen Sport – nicht die Formel 1, nicht das Eishockey, nicht American Football – der so sehr mit Testosteron aufgeladen ist und der so sehr dem Männlichkeitswahn huldigt. Weil auch in keinem anderen Sport der Tod so nahe ist.
Längst machen in diesem archaischen Sport nicht nur Talent, waghalsige Manöver, Mut und Risikobereitschaft die Differenz. Immer mehr machen sich auf verstörende Art und Weise Respektlosigkeit, Aggressivität und Rücksichtslosigkeit breit.
Romano Fenati mag ein Verrückter sein. Aber wer sich einfach in seiner Verurteilung und Verteufelung ergeht, macht es sich zu leicht. Er ist eben auch ein Produkt dieses Systems. Ein extremer Vertreter der neuen Generation, die da heranwächst. 2012 ist er im Alter von 16 Jahren mit Donnerhall über die Töffwelt gekommen. Platz zwei und ein Sieg in seinen zwei ersten Moto3-Rennen. Sein Problem war schon von Anfang an, dass er seine Aggression zu wenig kontrollieren konnte. Auch neben der Piste. Er weiss es. Aber selbst ein Mentaltrainer konnte ihm nicht helfen.
Der Italiener wird die grosse Töffbühne wohl verlassen. Aber die Radikalisierung bleibt. Sie breitet sich längst in der Szene aus. In diesem Sport ist der Respekt vor dem Gegner (und dessen Gesundheit) überlebenswichtig. Aber eine gefährliche Erosion des Anstandes ist längst im Gange. Fusstritte gegen Gegner hat sich auch schon Valentino Rossi schon geleistet. Lebensgefährliches Abdrängen von der Piste musste auch schon Tom Lüthi erdulden.
Im Mai haben in Mugello die Anhänger von Valentino Rossi nach dem Rennen den Asphalt dort geküsst, wo Marc Marquez gestürzt ist. In Misano ist der spanische Weltmeister von den «Rossisti» bei der Siegerehrung ausgepfiffen worden. Solches Verhalten wäre noch vor ein paar Jahren völlig undenkbar gewesen.
Das System duldet diese moderne Rücksichtslosigkeit. Romano Fenati wäre praktisch ungeschoren davongekommen, wenn die TV-Kameras die Bilder nicht in die Welt hinausgetragen hätten. Am Sonntag war er für seine Missetat von der Renndirektion bloss für zwei Rennen gesperrt worden.
Erst der Aufruhr ausserhalb des Systems (der sich heute über die sozialen Medien ganz anders ausdrücken kann) hat nun Folgen. Das aktuelle Team konnte unter dem öffentlichen Druck gar nicht anders als Romano Fenati zu feuern. Und sein neuer Arbeitgeber, für den er nächste Saison gefahren wäre, hat den Vertrag annulliert.
Angesichts der weltweiten Empörung ist der Italiener nun auch noch von Vito Ippolito, dem Präsidenten des Töff-Weltsportverbandes FIM zur Anhörung an den FIM-Hauptsitzt in Genf aufgeboten worden.
Kein böser Zyniker, der ob diesen Umtrieben denkt: die Hunde bellen, die Karawane aber zieht weiter. Dem nächsten Zwischenfall entgegen.