Der aktuelle Weltrekord im Marathon steht bei 2:02:57 Minuten, aufgestellt von Dennis Kimetto beim Berlin Marathon. Diese Marke soll nun aber bald Geschichte sein. Drei Läufer, der Kenianer Eliud Kipchoge (Olympiasieger 2016, Bestzeit 2:03:05 Stunden), der Eritreer Zersenay Tadese (Halbmarathon-Weltrekordhalter, 58:23) und der Äthiopier Lelisa Desisa (Bestzeit 2:04:45), wollen dieses Wochenende zum allerersten Mal einen Marathon unter zwei Stunden laufen.
Dabei profitieren die Athleten von perfekten, ja schon fast laborartigen Bedingungen. Das Projekt ist nämlich ein PR-Event des Sportartikelherstellers Nike. Unter dem Projektnamen «Breaking 2» scheut die Firma keine Aufwände, damit die Rekordzeit gelingt. Ein Team aus Trainern, Wissenschaftlern, Ingenieuren und Ärzten arbeitet seit Monaten an dem Projekt. Rund 30 Millionen Euro sollen schon investiert worden sein. Am Ende soll zumindest einer der drei Läufer unter zwei Stunden bleiben.
Fachleute haben auf der ganzen Welt nach der perfekten Strecke gesucht und sind in Italien fündig geworden. Auf der Rennstrecke in Monza wird der Versuch stattfinden. Die flache Strecke mit langgezogenen Kurven sei ideal, zudem stimmen in Italien zu dieser Jahreszeit auch die äusseren Bedingungen.
Auch bei den Athleten wird nichts dem Zufall überlassen. Kipchoge, Desisa und Tadese wurden auf Herz und Nieren geprüft, ausgemessen und in Belastungstests an ihre Grenzen gebracht.
Die drei mussten sogar einen Thermometer in Tablettengrösse schlucken, um bei einem Testlauf die innere Körpertemperatur zu messen. Zudem werden die Läufer beim Rekordversuch mit speziellen Shirts und Hosen ausgerüstet: An ihre Beine werden kleine Flügel aus Kunststoff angeklebt, die die Aerodynamik verbessern sollen. Das wirft die Frage auf: Ist das noch Sport oder schon Wissenschaft?
Beim Marathon nach zwei Stunden fertig zu sein, das schaffen ja eigentlich viele. #breaking2
— Günter Klein (@guek62) 4. Mai 2017
Das Kernstück des Rekordversuchs ist aber ein Schuh. Zwei Jahre lang haben die Forscher des Sportartikelherstellers an einem Schuh gebastelt, der perfekt auf die Bedürfnisse des jeweiligen Athleten abgestimmt sein soll. Ein neu entwickeltes Schaum-Material für die voluminöse Zwischensohle ermöglicht bestmögliche Dämpfung, ohne dass der Schuh schwerer wird. Gleichzeitig verhilft ein Karbon-Element dem Schuh zu extremer Festigkeit. Natürlich wird der Schuh – welch Überraschung – bald auch für Hobbyläufer in den Läden stehen.
Ein Schuh, der für offizielle Rennen möglicherweise gar nicht zugelassen wird. Die Regel 142.2 des Internationalen Leichtathletik-Verbands (IAAF) besagt, dass ein Schuh dem Träger keinen unfairen Vorteil bringen darf. Die Technikkommission der IAAF wird sich in den nächsten Wochen genauer mit diesem Fall beschäftigen. Beim Weltrekord von 2007 trug Haile Gebrselassie ebenfalls einen Schuh mit Karboneinlage – hergestellt von Adidas.
Sportlich gesehen bleibt der Rekord – wenn er denn gelingt – ohne Wert. Die IAAF würde die Zeit nicht anerkennen, weil sie nicht unter herkömmlichen Rennbedingungen gelaufen würde. Die Läufer können während des Laufs alle sieben Minuten Flüssigkeit zu sich nehmen – doppelt so oft wie bei einem herkömmlichen Marathon. Zudem werden die Tempomacher laufend ausgewechselt, was bei einem normalen Rennen nicht der Fall sein darf.
10km pace required for #breaking2 is 28:26. That has been done only once in history - Mutai & Mosop ran 28:24 from 30-40km in windy Boston
— Ross Tucker (@Scienceofsport) 2. Mai 2017
Trotz den intensiven Vorbereiten zweifeln Experten weltweit daran, dass die Zwei-Stunden-Marke tatsächlich geknackt wird. Die drei Athleten müssten nämlich 42 Mal einen Kilometer in 2:50,6 Minuten laufen – oder anders gesagt: die 100 Meter konstant in 17 Sekunden laufen, und das 422 Mal.
Ich gebe zu, ich bin gespannt auf Nike #Breaking2 morgen. Ich glaube aber nicht, dass sie den Marathon unter 2h schaffen.
— Julian Lange (@LangeJulian) 5. Mai 2017
Auch Peter Haas, Chef Leistungssport bei Swiss Athletics, kritisiert das Unterfangen. «Das ist Werbung, verbunden mit Sport. Leichtathletik aus dem Labor», sagt er gegenüber der Nachrichtenagentur SDA. «Da werden Faktoren geschaffen, wie wir sie sonst in unserem Sport nicht antreffen.» Die äusseren Einflüsse, die Taktik, der Kampf Mann gegen Mann, die Wahl der Strecke ohne Zuschauer und enge Kurven – all dies sei in der traditionellen Leichtathletik so nicht vorhanden.
Philipp Bandi, vor knapp zehn Jahren einer der besten Schweizer Strassenläufer, tendiert in eine ähnliche Richtung. Allerdings hält er fest: «Wenn sie tatsächlich unter zwei Stunden laufen, dann ist ihre Leistung zumindest eines Weltrekords würdig.»