Jüngst geschah Ausserordentliches, ja für viele gar Ungeheuerliches. Da sass mit Roger Federer (37) ein 20-facher Grand-Slam-Sieger, länger die Nummer 1 der Welt als jeder andere und vor allem: ein Mann mit dem Selbstverständnis eines Siegers. Doch was er zu sagen hatte, passte so gar nicht in dieses Bild.
Er reklamierte für sich, dass er keine Lust mehr darauf habe, als Favorit zu gelten: «Ich habe beschlossen, dass ich dieses Spiel nicht mehr mitspiele.» Es gebe andere, die bei den US Open diese Rolle einzunehmen hätten. Womit er nicht ganz unrecht hatte: Denn bei keinem Grand-Slam-Turnier wartet er länger auf einen Erfolg als dort.
Roger Federer, der Sieger, blickt in New York auf ein Jahrzehnt als Verlierer zurück. Doch Federer ist die Nummer 2 der Welt, hat die Australian Open gewonnen und bei den US Open von 2004 bis 2008 fünf Mal in Folge triumphiert. Allein das macht ihn zum ewigen Favoriten. Schlüpft er nach Jahren ohne Titel bei den US Open wieder in seine Paraderolle: In die des Siegers?
Vielleicht werden sie im Sport allzu inflationär gebraucht, die Superlative. Doch was Federer im Halbfinal gegen Novak Djokovic kreiert, ist ein Moment für die Ewigkeit. Mit dem Rücken zum Netz stehend, spielt er den Ball zwischen den Beinen hindurch am Serben vorbei und sichert sich drei Matchbälle.
«Der Schlag meines Lebens. Er hatte alles: Geschwindigkeit, Präzision, Kraft.» Das Turnier aber gewinnt er nicht. Im Final verspielt er eine 6:3, 5:3-Führung gegen den 20-jährigen Argentinier Juan Martin del Potro: 6:3, 6:7, 6:4, 6:7, 2:6. Wegen eines Disputs mit dem Schiedsrichter muss Federer danach 1500 Dollar Busse bezahlen.
Federer erleidet in den Halbfinals gegen Djokovic eine der bittersten Niederlagen seiner Karriere, als er bei Aufschlag des Serben zwei Matchbälle vergibt. Nach dem 7:5, 1:6, 7:5, 2:6, 5:7 sagt er: «Ich kann mir nicht viel vorwerfen. Wenigstens war es nicht der Final, so kann ich es schneller abhaken. Das ist aber auch das einzige Positive.»
Weil er danach die Reise zum Abstiegs-Playoff der Schweiz in Kasachstan absagt, sieht er sich beissender Kritik ausgesetzt. Die Schweiz steigt aus der Weltgruppe ab, der Verband fordert von Federer ein Bekenntnis zum Davis-Cup-Team.
Als wäre die Erfahrung aus dem Jahr zuvor nicht schon schlimm genug gewesen, wiederholt sich das Szenario – am gleichen Ort, gegen den gleichen Gegner, wieder im Halbfinal. Nur noch schlimmer: Dieses Mal verspielt Roger Federer eine 2:0-Satzführung, vergibt gegen Novak Djokovic bei 5:3 im fünften Satz erneut zwei Matchbälle – dieses Mal bei eigenem Aufschlag. Federer tut sich schwer, die Niederlage zu akzeptieren: «Ich hätte niemals verlieren dürfen. Es fühlt sich falsch an: Ich sollte jetzt den Sieg erklären und nicht die Niederlage.»
Es ist ein unschönes Geschenk, aber es ist das, was jeder Spieler nach jeder Partie bekommt: eine DVD des Spiels. Es sind Bilder des Grauens, die Federer sich dort vom 6:7, 4:6, 6:3, 3:6 gegen Tomas Berdych in den Viertelfinals anschauen kann.
Er sieht: 40 Fehler, 24 mit der Vorhand, seinem Paradeschlag. TV-Experte Heinz Günthardt erklärt: «Es ist passiert, was bei Roger äuserst selten vorkommt: Er war gut in Form, hatte aber einen schlechten Tag. Er ist eben auch nur ein Mensch.» Federer scheitert erstmals seit 2003 vor den Halbfinals.
Im Sommer war Federer in Wimbledon bereits in der zweiten Runde gescheitert. Er kämpft mit Rückenproblemen und experimentiert mit einem neuen Racket. Und doch ist das 6:7, 3:6, 4:6 in den US-Open-Achtelfinals gegen den Spanier Tommy Robredo, gegen den er zuvor eine 10:0-Bilanz vorweist, ein Tiefpunkt.
«Zieht man die letzten Monate in Betracht, ist es nicht überraschend», sagt Federer danach. Er überlegt sich, die Saison vorzeitig zu beenden. «Keine Ahnung, was mich erwartet.» Er spielt weiter, trennt sich aber von Trainer Paul Annacone.
Als Federer zu seinem Halbfinal gegen den Kroaten Marin Cilic antritt, gilt er als sicherer Turnier-Sieger: Djokovic, Nadal, Murray und Wawrinka sind bereits ausgeschieden, im Final wartet der Japaner Kei Nishikori, der zwei Fünfsätzer in den Beinen hat. Doch es kommt anders: Cilic beherrscht die Partie, Federer verliert 3:6, 4:6, 4:6 und sagt: «Es war, als hätte er immer mit Rückenwind und ich immer mit Gegenwind gespielt. Er war zu gut.»
Federer hatte kurz zuvor seinen Halbvolley-Return, den «Sabr», erfunden, im Cincinnati-Final Novak Djokovic gedemütigt und sich in die Favoritenrolle gespielt. Boris Becker, damals Trainer des Serben, liess sich dazu verleiten, den Schlag als «Respektlosigkeit» zu bezeichnen.
Federer entgegnete, wohl auch amüsiert: «Novak wird nie wissen, was ihn erwartet.» Der Schweizer erreicht ohne Satzverlust den Final. Doch Roger Federer kann gegen Djokovic nur 4 seiner 23 (!) Breakchancen nutzen und verliert 4:6, 7:5, 4:6, 4:6. Sein Fazit: «Das war ein Mist!»
Erst zum zweiten Mal seit 1999 fehlt Roger Federer bei einem Grand-Slam-Turnier und erstmals bei den US Open. Er hatte seine Saison wegen Verletzungen im Sommer beendet. Mit Stan Wawrinka gewinnt gleichwohl ein Schweizer.
«Aus dem Nichts drei Grand-Slam-Turniere zu gewinnen, wäre fast schon ein Witz», sagt Roger Federer vor dem Turnier. Er gilt lange als Favorit. Doch in Montreal verletzt er sich am Rücken, bis zuletzt ist offen, ob er antreten kann.
Schon in den ersten beiden Runden muss er über fünf Sätze. Er quält sich bis in die Viertelfinals, wo er Juan Martin del Potro mit 5:7, 6:3, 6:7, 4:6 unterliegt. Es ist eine Erlösung. Federer sagt: «Als ich vom Platz lief, ist mir durch den Kopf gegangen: Endlich kann ich mich ausruhen. Ich bin müde.» (aargauerzeitung.ch)