Novak Djokovic gab sich wenig Mühe, seinen Ärger darüber zu verbergen, dass jemand aus seinem Umfeld mit Dingen an die Öffentlichkeit gegangen war, die er lieber geheim gehalten hätte. «Ich weiss nicht, woher Sie das haben. Diese Informationen sind streng vertraulich», sagte er zur Frage, ob es stimme, dass sich der Spielerrat, den er präsidiert, mit einer 5:4-Mehrheit für die Absetzung von ATP-Präsident Chris Kermode ausgesprochen habe. Der mit einem Jahressalär von 1,3 Millionen Franken dotierte Vertrag des Briten läuft Ende Jahr aus.
Kolportierte 260 Millionen Franken erwirtschaften die Australian Open, 44 Millionen davon fliessen den Spielern in Form von Preisgeldern zu. Seit Kermodes Amtsantritt 2013 hat sich das Preisgeld verdoppelt. Doch der Spielerrat um Djokovic vertritt die Meinung, die Grand-Slam-Turniere gäben noch immer einen zu kleinen Anteil ihrer Einnahmen an die Spieler weiter. Vor einem Jahr hatte Djokovic deshalb im Beisein eines Anwalts seine Pläne für die Gründung einer Gewerkschaft skizziert. Damals soll er sogar den Boykott der Australian Open zur Diskussion gestellt haben.
Djokovic sagt, gewisse Menschen würden ihm unterstellen, es gehe ihm darum, dass die Topspieler noch mehr verdienten. Das Gegenteil sei wahr. «Wir kämpfen für eine gerechtere Verteilung, um höhere Preisgelder in der Qualifikation und in den ersten Runden. Momentan können nur die besten hundert von unserem Sport leben. Das versuchen wir zu ändern. Wir möchten, dass mehr Spieler die Kosten decken und ein anständiges Leben führen können.» Es sei eine Unterstellung, dass es ihm dabei um die Topspieler gehe. «Ich tue das, weil mir dieser Sport am Herzen liegt.»
Die gleiche Meinung vertritt der Kanadier Vasek Pospisil, der wie Djokovic dem Spielerrat angehört. Er schrieb in einem Rundmail an die Kollegen, die ATP müsse bestimmter auftreten und beginnen, die Tour wie ein Geschäft und nicht wie eine Gruppe verängstigter Kinder zu führen. «Wir brauchen einen Geschäftsführer, der zuerst und in erster Linie unsere Interessen vertritt.» Er rief dazu auf, als Einheit aufzutreten. Doch das Gegenteil ist der Fall. Djokovic sagt, seit er dem Rat vorsitze, sei der Dialog viel ausgeprägter. Zumindest Rafael Nadal widerspricht dieser Darstellung. Er zeigte sich irritiert darüber, dass in der Angelegenheit niemand das Gespräch mit ihm gesucht hatte.
Stan Wawrinka sagt, Kermode geniesse grossen Rückhalt. Er sagt: «Er macht einen grossartigen Job. Es ist wichtig, dass er unser Präsident bleibt. Es fühlt sich falsch an, wie hinter den Kulissen Druck ausgeübt und Stimmung gemacht wird.» Ähnlich äusserte sich Grigor Dimitrov: «Es wäre der grösste Fehler, den man machen kann. Dem Tennis ging es nie besser als jetzt.» Diplomatisch blieb Roger Federer: Das Tennis erlebe interessante Zeiten. Er wolle das Gespräch mit Djokovic, Nadal und Murray suchen.
Novak Djokovic steht nach diesen Äusserungen in einem schlechten Licht. Viele irritiert, dass der Spielerrat ihre Interessen in dieser Frage nicht adäquat abbildet. Seit Monaten strebt Djokovic nicht nur nach Titeln, sondern auch nach Macht. Er verschickt E-Mails, führt Gespräche und schmiedet Allianzen gegen jene, die seine Pläne durchkreuzen könnten.
Bestes Beispiel: Roger Rasheed. Er war bis im November einer von drei Spielervertretern im ATP Board, das auch über die Zukunft von Kermode befindet. Nachdem er bei einer Abstimmung zu den Modalitäten einer Preisgelderhöhung nicht der Empfehlung des Spielerrats gefolgt war, wurde er von diesem abgesetzt. Gemäss der Sportzeitung «L’Equipe» hat Djokovic im Vorfeld der Absetzung auf zwei seiner Ratskollegen eingewirkt. Rasheed sprach danach in englischen Medien von einer «widerlichen» Aktion einer «narzisstischen Person», liess aber offen, wen er damit gemeint hatte.
Die Absetzung Rasheeds verändert die Dynamik für Kermode fundamental. Denn die Spieler selber richten nicht über dessen Zukunft. Der Spielerrat führte nur eine Konsultativabstimmung durch, die für die Spielervertreter im ATP Board keinen verbindlichen Charakter haben. Rasheed äusserte deshalb den Verdacht, Djokovic sei es auch darum gegangen, an Einfluss zu gewinnen. Ersetzt wurde er durch David Egdes, der Justin Gimelstob nahe steht. Dieser sitzt seit 2008 im ATP Board, gilt wie Djokovic als Gegenspieler Kermodes und als Kandidat auf dessen Nachfolge. Mit Egdes kommt Gimelstob im Players Board auf die erforderliche Zweidrittelmehrheit, um die Erneuerung von Kermodes Vertrag zu verhindern.
Das ATP Board besteht aus sieben Mitgliedern: dem Präsidenten und je drei Spielervertretern und drei Turniervertretern. Kermode braucht in beiden Kammern zwei von drei Stimmen. Bis Ende Monat hätte über seine Zukunft befunden werden sollen, doch inzwischen wurde die Entscheidung auf März vertagt. Sein Kontrahent Gimelstob sieht sich derweil mit einer Anklage konfrontiert. Er soll auf offener Strasse einen Mann verprügelt haben. Das Urteil fällt am 31. Januar.
Novak Djokovic sagt dazu: «Das sind alles nur Behauptungen.» Es gelte die Unschuldsvermutung. Der Amerikaner habe sich immer für die Spieler eingesetzt und geniesse grossen Respekt. Es ist nicht das einzige Politikum, das Djokovic umtreibt. Anfang Jahr äusserte er in einem von der Mehrheit der Spieler aus den Top 20 unterschriebenen Brief an das Olympische Komitee sein Unverständnis über die Qualifikations-Kriterien für die Olympischen Spiele, die Einsätze im Davis Cup vorsehen.
Welches Interesse er damit verfolgt, Kermode als Präsidenten abzusetzen und allenfalls den streitbaren Gimelstob als dessen Nachfolger zu inthronisieren, ist undurchsichtig. Sicher ist hingegen: Selten vereinigte ein noch aktiver Spieler dermassen viel Macht auf sich wie Novak Djokovic derzeit.