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Vom Vater verprügelt, bespuckt, verstossen – Jelena Dokic packt aus

FILE - In this Aug. 31, 2000, file photo, Australia's Jelena Dokic reacts during a news conference at the U.S. Open tennis tournament in New York. Former Wimbledon semifinalist Jelena Dokic says  ...
Konnte ihre Gefühle oft unterdrücken, aber nicht immer.Bild: AP

Vom Vater verprügelt, bespuckt, verstossen – Tennis-Wunderkind Jelena Dokic packt aus

Jelena Dokic war ein Wunderkind – doch der Nährboden ihres Erfolgs bestand aus Gewalt und Verzweiflung. Es ist eine Geschichte von verbaler und körperlicher Misshandlung, die das einstige Wunderkind nun in einem Buch erzählt.
14.11.2017, 18:39
Simon Häring / Nordwestschweiz
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«Der Gürtel ist braun, das Leder dick und hart. Wenn er gegen meine Haut peitscht, fühlt sich das an wie Messerstiche. Ich kenne ihn gut, diesen Gürtel. Er trägt ihn immer. Wann immer ich verliere, zieht er ihn aus», schildert Jelena Dokic die traumatische Kindheit und Jugend mit ihrem Vater Damir. Es ist eine Geschichte von verbaler und körperlicher Misshandlung, die das einstige Wunderkind nun in einem Buch erzählt.

«Nach dem Schlag gegen den Kopf gehe ich zu Boden. Als ich dort liege, tritt er mich. Meine Sicht verschwimmt.»
Jelena Dokic

Das Leiden beginnt im vom Bürgerkrieg gebeutelten Jugoslawien. 1994 flüchtet die Familie nach Australien, in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Eine Hoffnung, die sich nicht erfüllt. Die Eltern finden keine Arbeit. Es ist ein Leben in extremer Armut. Wenn das wenige Geld, das die Familie vom Staat erhält, mal wieder knapp wird, ernähren sie sich tagelang von Brot und gesalzener Margarine.

Ein Leben ohne Geld

Es ist ein Leben ohne Geld. Ein Leben ohne Perspektive. Es ist das Leben vieler Familien, die in den 1990er-Jahren den Weg vom Balkan nach Australien finden. Als Ausweg aus der Misere sieht Damir Dokic seine Tochter Jelena. Sie soll eine Karriere als Tennisspielerin machen. «Jeden Tag sagt er mir: ‹Du bist unser Ausweg. Du musst Erfolg haben.›»

FILE - In a Nov. 11 2008, file photo, Damir Dokic, father of tennis player Jelena Dokic, gestures while speaking in Vrdnik, Serbia. Former Wimbledon semifinalist Jelena Dokic says her father physicall ...
Dokics Vater Damir: «Es geschah alles zu Jelenas Wohl. Meine Eltern haben mich auch geschlagen, Eltern tun das.»Bild: AP/AP

Dokic ist damals 12 Jahre alt. Die Sorgen ertränkt der Vater, der im Kroatienkrieg gekämpft haben soll, im Alkohol. «Er wollte, dass ich auf dem Platz perfekt bin», sagt Jelena Dokic. Doch so etwas wie Perfektion existiert in einem Sport wie Tennis nicht. Fast täglich wird sie bespuckt und verprügelt. Um die Male der Misshandlung zu kaschieren, muss sie ihre Arme und Beine immer bedecken.

Verfolgt von Angst und Verzweiflung, wird sie trotzdem zu einem Wunderkind. 16-jährig bezwingt sie 1998 in Wimbledon in der Startrunde Titelverteidigerin Martina Hingis und stösst als Qualifikantin bis in die Viertelfinals vor. Im Jahr darauf steht Dokic in den Halbfinals. Doch für den Vater nicht gut genug.

Dokic besiegt Hingis 1998 in Wimbledon.Video: streamable

Erst Stunden später und sturzbetrunken reagiert er auf die Anrufe der 17-Jährigen. «Du bist eine Schande. Du kommst heute nicht nach Hause.» Nach Hause – in das Hotelzimmer, das sie mit ihrem Geld bezahlt, auf das sie keinen Zugriff hat.

«Er wollte, dass ich auf dem Platz perfekt bin.»
Jelena Dokic

«Ich habe keinen Ort zum Schlafen», sagt sie, als eine Putzkraft sie zusammengekauert in einer Ecke der Garderobe findet. Aufgelöst in Tränen, wird sie gegen 23 Uhr vom Fahrdienst zu ihren Managern gebracht. Sie, Jelena Dokic, das Wunderkind, die Wimbledon-Halbfinalistin. Verprügelt, bespuckt, verstossen.

Bis ganz nach oben

Jelena Dokic hatte es geschafft. Bis nach ganz oben. Doch ihr Martyrium hatte damit eben erst begonnen. Vater Damir prügelt sich mit Journalisten, legt sich mit Schiedsrichtern an und stürzt während Spielen betrunken auf den Platz, um seine Tochter zu beschimpfen.

Den traurigen Tiefpunkt erreicht er bei den Australian Open 2001, als er die Veranstalter beschuldigt, seine Tochter bei der Auslosung benachteiligt zu haben. Unter Druck gesetzt vom tyrannischen Vater, gibt Jelena im Anschluss bekannt, künftig wieder für Jugoslawien zu spielen.

WIM84 - 20020626 - WIMBLEDON, UNITED KINGDOM : Yugoslav Jelena Dokic plays a forehand during the second round match against Czech Kveta Hrdlickova at the Wimbledon Tennis Championships, 26 June 2002.  ...
Auf dem Tennisplatz war Dokic als grosse Kämpferin bekannt.Bild: EPA

Bis heute ist das der Schritt, den sie am meisten bereue. «Wenn ich etwas ungeschehen machen könnte, dann nicht die Misshandlungen und Beschimpfungen, sondern das. Dass er mich gezwungen hatte, nicht mehr für Australien zu spielen», sagt Dokic. Zwei Jahre später kauft sie sich aus den Fängen des Vaters frei – mit einer Million Dollar, wie US-Medien damals berichten.

«Ich bin durch die Hölle gegangen.»
Jelena Dokic

Ein Jahr lang zieht sie sich zurück. Dokic kämpft nicht mehr um Punkte, sondern gegen Selbstmordgedanken, gegen ihr Gewicht, gegen fast alles. Doch sie gibt nicht auf. Sie kennt nichts anderes. Der einzige Ausweg, der sie einst war, war zu ihrem eigenen Weg geworden.

Jeder kennt die Täler, die das Leben bereithält, jeder fühlt sich manchmal einsam. Keiner soll glauben, es sei leicht in der kalt glänzenden Welt des Planeten Tennis. Täler? Kälte? «Ich bin durch die Hölle gegangen», sagt Dokic, als sie 2006 zurückkehrt. Sie erreicht 2009 bei den Australian Open die Viertelfinals, wird aber nie mehr zu jener Spielerin, die sie einmal gewesen war.

Bomben, Gewehre und Pistolen

Im gleichen Jahr hatte sie erstmals in der Öffentlichkeit über den Horror ihrer Kindheit geredet. Als der mittlerweile in Serbien lebende Vater davon erfährt, droht er, die australische Botschafterin in Belgrad mit einer Handgranate in die Luft zu sprengen. Bei der Hausdurchsuchung findet die Polizei zwei Bomben, sieben Jagdgewehre und eine Pistole.

Damir Dokic wird zu einer Gefängnisstrafe von 15 Monaten verurteilt, die später auf ein Jahr reduziert wird. Umso erstaunlicher mutet 2011 Jelena Dokics Nachricht an, sie habe sich mit dem Vater versöhnt. «Er versteht es. Ich glaube, er hat sich sehr geändert.»

Die Beziehung bleibt indes distanziert, weil der Vater für das Geschehene keine Verantwortung übernimmt. «Es geschah alles zu Jelenas Wohl. Meine Eltern haben mich auch geschlagen, Eltern tun das», sagte er einmal.

Jetzt auf

Jelena Dokic (34) verdiente fünf Millionen Dollar an Preisgeld. Sie ist heute Expertin beim australischen Fernsehen. Dokic sagt, sie hasse ihren Vater nicht. Ihr Buch trägt den Titel «Unbreakable», unzerbrechlich. Es wirkt wie eine Fassade. Eine zerbrechliche. (aargauerzeitung.ch)

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16 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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FrancoL
14.11.2017 19:04registriert November 2015
Eine Geschichte der mehr als nur harten Sorte. Diesen Vater gepaart mit dem Tennissport der eh schon den einzelnen an den Rand seiner Möglichkeiten bringt, weil man immer alleine auf dem Platz ist, alleine verantwortlich ist für Sieg und Niederlage.
Ist zu hoffen, dass Dokic das wirklich so gut wie möglich verarbeitet hat, das ist wohl Ihre grösste Leitung.
In solchen Fällen frage ich mich immer: WO ist da die Gesellschaft, die Menschen die einen Schutz bieten könnten? Man kann doch nicht in allem ernst annehmen, dass NIEMAND die Situation durchblickt hat. Ein kollektives Versagen.
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Judge Dredd
14.11.2017 20:02registriert April 2016
Das schlimmste muss wohl sein, dass sie ihren Vater dafür nicht mal hassen kann. Ich denke, das ist eines der Probleme, wenn man von den Menschen misshandelt (oder missbraucht) wird, die einen doch am meisten Lieben sollten. Die Opfer geben sich immer auch eine Mitschuld und bringen im schlimmsten Fall noch Verständniss auf, für diese abschäulichen Taten. Vielleicht ist das auch der Grund, das sie sich mit ihrem Vater "versöhnt" hat.

Eigentlich wollen die meisten Menschen doch einfach geliebt werden, besonders auch vom Vater und der Mutter.

Arme Jelena, ich wünsche ihr viel Kraft.
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Nuka Cola
14.11.2017 21:05registriert September 2016
Das ist gerade einfach nur krass.

Aber auch hier, die Gesellschaft hat lieber weggesehen, anstelle von eingegriffen.
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