Für Djokovic gingen in Wimbledon alle Träume in Erfüllung. Vor dem Start des Turniers hatte er sich in seiner Fantasie ein Bild visualisiert. Er mit dem Siegerpokal und, genauso wichtig, auf der Tribüne sein Sohn, der ihm applaudiert. Beim Spielen durfte ihm Stefan, der im Oktober vier Jahre alt wird, nicht zuschauen. Die strengen Regeln in Wimbledon sehen ein Mindestalter von fünf Jahren vor. Bei der Pokalübergabe nach dem klaren Finalsieg gegen Kevin Anderson war er aber da – und so konnte der stolze und gerührte Papa sagen: «Ich könnte nicht glücklicher sein.»
Dass er sich vor dem Turnier überhaupt als Sieger vorstellen konnte, sagt einiges aus über das wieder gewonnene Selbstbewusstsein des früheren Weltranglistenersten, der als Nummer 21 der tiefstklassierte Grand-Slam-Champion seit 14 Jahren ist. Und er hatte selber nicht immer geglaubt, dass er dahin zurückkommen würde.
Nachdem er 2016 in Paris seinen Traum vom Karriere-Grand-Slam perfekt gemacht und das vierte Major-Turnier in Folge gewonnen hatte, fiel Djokovic in ein Loch. Die Motivation war weg, es gab Gerüchte über private Probleme und die Schmerzen im Ellenbogen wurden unerträglich. Er habe zwischendurch gezweifelt, gibt der 31-Jährige zu. «Im Nachhinein lässt sich natürlich leicht darüber reden, aber in diesen Momenten des Kampfes lernst du am meisten über dich.» Er lernte unter anderem, dass er mit dem Tennis noch nicht fertig ist.
Nach dem Australian Open im Januar entschied er sich nach langem Zögern doch noch für eine Operation am Ellenbogen. «Die Rückkehr in Indian Wells und Miami (zwei Niederlagen in der 1. Runde) war zu früh, das sagten mir alle, aber ich wollte nicht länger warten.» Ein anderer Entscheid war aber goldrichtig und wohl entscheidend: Djokovic rief seinen langjährigen Coach Marian Vajda und fragte an, ob er zurückkomme. Der Slowake sagte zu, und seit der Sandsaison geht es wieder aufwärts.
In Paris verlor Djokovic noch im Viertelfinal gegen den Aussenseiter Marco Cecchinato. «Ich war noch nicht wieder bereit für diese grossen Matches», blickt er zurück. Spätestens seit dem Sieg in fünfeinviertel Stunden im grossartigen Wimbledon-Halbfinal gegen die Weltnummer 1 Rafael Nadal wissen er und die gesamte Tenniswelt: «Nole» ist in alter Stärke zurück, gehört wieder den Top 10 an und wird auf den Hartplätzen in Nordamerika erst recht zu den Topfavoriten gehören.
«Dieser Sieg ist neben dem ersten in Wimbledon der speziellste», verriet Djokovic. Wegen der harten 15 Monate davor und wegen seines Sohnes. «Er war für mich in diesem Wimbledon die grösste Motivation.» Und ein motivierter Djokovic mag gut sein für seine Familie, nicht aber für seine Gegner. (zap/sda)