Er war der Schönling, der seine Haarpracht später in der Shampoo-Werbung präsentierte: Oliver Bierhoff. Ein Fussball-Spätzünder, dem der grosse Durchbruch erst mit 27 Jahren gelang. Und der – die Legende hält sich hartnäckig – im EM-Final 1996 in England überhaupt nur deshalb eingewechselt wurde, weil Bundestrainer Berti Vogts auf den Tipp seiner Gattin Monika gehört hatte.
Doch womit sich Oliver Bierhoff vor allen anderen Dingen einen Platz in der Fussballhistorie gesichert hat, ist sein zweiter Treffer im Endspiel gegen Tschechien. Es war das erste Golden Goal der Fussballgeschichte, abgesehen von einigen bei Juniorenspielen, als die Regeländerung getestet wurde.
Anfangs der 90er-Jahre suchte der Weltfussballverband FIFA wieder eimal nach Wegen, den Sport attraktiver zu machen. Unentschiedene Spiele waren den Funktionären ein Dorn im Auge: Die WM 1994 stand vor der Türe und in den USA hatte Soccer ohnehin den Ruf, ein langweiliger Mädchensport zu sein. Dass ein Wettkampf ohne Sieger enden konnte, war und ist für Amerikaner kaum vorstellbar.
Doch die FIFA kam zu spät für den World Cup in den Vereinigten Staaten, erst an der U20-WM ein Jahr zuvor wurde die Golden-Goal-Regel erstmals getestet. Wie im Eishockey sollte ein unentschiedenes Spiel in der Verlängerung beendet sein, sobald das erste Tor gefallen ist. Anstatt aber martialisch vom plötzlichen Tod, dem «Sudden Death», zu sprechen, entschieden sich die FIFA-Funktionäre mit dem Generalsekretär und späteren Präsidenten Sepp Blatter für die freundlicher klingende Bezeichnung «Golden Goal».
Die EM 1996 in England war das erste grosse Turnier, bei dem die neue Regel zur Anwendung gelangte. Doch erst im Final führte sie zur Entscheidung, obwohl es gleich in vier der sechs Viertel- und Halbfinals zur Verlängerung kam – doch ein Golden Goal fiel nicht, stets musste in diesen Partien das Penaltyschiessen den Sieger bestimmen.
Lange sitzt Oliver Bierhoff in diesem Final, der sein späteres Leben prägen wird, auf der Ersatzbank. Er wärmt sich auf, hofft auf einen Einsatz. Deutschland ist gegen Aussenseiter Tschechien in Rückstand geraten, Patrik Berger trifft nach einer Stunde mittels Penalty. Wenig später kommt der grosse Moment des Oliver Bierhoff.
Er galt als Fremder in der Heimat, denn der Stürmer wechselte mit 22 Jahren nach Österreich und geriet aus dem Blickfeld der deutschen Öffentlichkeit. Doch nach einer Rekordsaison bei Salzburg kam er nach Italien, wo er bei Ascoli und Udinese ein Tor nach dem anderen schoss. «Bundes-Berti» Vogts kam nicht am Stürmer vorbei, obwohl er mit Jürgen Klinsmann, Fredi Bobic und Stefan Kuntz ohnehin über einen hochkarätigen Angriff verfügte.
Zehn Minuten nach dem tschechischen Tor wird Bierhoff für Mehmet Scholl eingewechselt. Mittelfeldspieler raus, Stürmer rein. Und Bierhoff hält, was sich die Deutschen von ihm erhoffen. Er war nur in den ersten beiden Gruppenspielen zum Einsatz gekommen, schmorte danach auf der Ersatzbank. Doch nun ist er bereit. Vier Minuten nach seiner Einwechslung schlägt er erstmals zu – natürlich mit dem Kopf, er ist Bierhoffs Waffe.
Weil bis zum Ende der regulären Spielzeit keine weiteren Treffer fallen, geht das EM-Finale in die Verlängerung. Sie dauert nicht lange. Fünf Minuten sind gespielt, als Jürgen Klinsmann an die Strafraumgrenze zu Oliver Bierhoff flankt. Dieser schirmt den Ball gegen Miroslav Kadlec gekonnt ab, dreht sich, zieht ab – und erwischt den tschechischen Goalie Petr Kouba auf dem falschen Fuss. Der Ball kullert ins Tor und Deutschland ist Europameister.
Was nun kommt, verfolgt den Torschützen bis heute. Im Überschwang der Gefühle zieht Bierhoff das Trikot aus und rennt jubelnd zur Cornerfahne. «Das ist das einzige Mal, dass ich mich beim Torjubel ausgezogen habe», wiederholt Bierhoff seither in jedem Interview, «und ich weiss auch nicht, weshalb ich es damals gemacht habe.»
Rückblickend war es eine clevere Instinkthandlung. «Schauen Sie nur, wie lange Profikarrieren dauern und wie wenige Bilder davon im Kopf bleiben», sagte er einst dem Magazin «11 Freunde». Von Bierhoff, dem langjährigen Teammanager der DFB-Auswahl, bleiben das Bild oben ohne und die Geschichte dazu haften – jene vom ersten Golden Goal der Fussballgeschichte.