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Skiweltcup in Zermatt: Mit diesen Widerständen hat das Rennen zu kämpfen

Justin Murisier le skieur suisse de Swiss-Ski en action sur la neige apres une blessure du ligament croise ce jeudi 25 juillet 2019 sur le glacier Allalin a Saas-Fee. (KEYSTONE/Jean-Christophe Bott)
Swiss-Ski-Athlet Justin Murisier beim Gletscher-Training in Saas Fee.Bild: KEYSTONE

Zick-Zack in Zermatt – der holprige Weg zur Weltcup-Abfahrt am Matterhorn

Nachdem die Weltcuprennen auf der neuen Rennstrecke in Zermatt im letzten Jahr wetterbedingt abgesagt werden mussten, soll es im November nun auf dem Gletscher zur Premiere kommen – kritisiert wird die Durchführung aber weiterhin.
20.10.2023, 14:4320.10.2023, 15:32
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Die Veranstalter rührten mit der grossen Kelle an, als sie im Jahr 2019 die Pläne für das Weltcuprennen in Zermatt/Cervinia präsentierten: Die erste grenzübergreifende Abfahrt der Welt sollte mit einem Start auf über 3800 Metern und einer Länge von über vier Kilometern die Rekorde purzeln lassen. Seit der Ankündigung einer Abfahrt mit dem Start in der Schweiz und dem Ziel in Italien sind einige Jahre ins Land gezogen – gefahren wurde auf der Piste «Gran Becca» bis heute aber noch nicht.

2020: Ankündigungen des Mega-Projekts

Im Jahr 2020 hatte ein Streit zwischen Swiss-Ski und den Organisatoren des Lauberhornrennens in Wengen über die Aufteilung der Vermarktungseinnahmen die höchste Eskalationsstufe erreicht – Swiss-Ski drohte gar damit, das Rennen aus dem Kalender zu nehmen. Diesen Umstand nahm Franz Julen, Verwaltungsratspräsident der Zermatt Bergbahnen AG, zum Anlass, die Pläne für eine Abfahrt im November am Matterhorn auf der Piste «Gran Becca» öffentlich zu machen. Er wollte damit dem Gerücht, dass die Abfahrt in Zermatt das Lauberhorn ersetzen soll, den Wind aus den Segeln nehmen.

Didier Defago, right, former ski racer from Switzerland and designer of the slope, reacts with Franz Julen, left, President of the Organising Committee front of the new ski slope "Gran Becca&quot ...
OK-Präsident und Pistendesigner: Franz Julen und Didier Défago besichtigen «La Becca». Bild: KEYSTONE

Auch Gian Franco Kasper, der damalige Präsident des internationalen Ski-Verbands FIS, zeigte sich begeistert vom Mega-Projekt. «November-Abfahrten in Zermatt – das passt wunderbar in unseren Kalender. Wir stehen voll und ganz hinter dem Projekt», sagte er zu den Plänen am Matterhorn.

Nach den positiven Reaktionen auf die Ankündigung von Weltcuprennen in Zermatt, die als Innovation im ansonsten eher trägen Skizirkus gefeiert wurden, hätte dem Projekt eigentlich nichts mehr im Weg stehen sollen – könnte man meinen.

Nach der Begeisterung kommt die Kritik

Denn so gross wie die Begeisterungsstürme seitens der Organisatoren waren auch die Bedenken, die von verschiedensten Seiten geäussert wurden.

Gesundheit

Nicht alle Skifahrerinnen und Skifahrer liessen sich von der Idee einer Abfahrt in dieser Höhenlage begeistern. Der italienische Speed-Crack Dominik Paris sagte 2021 zu den Plänen in Zermatt: «Ich glaube nicht, dass es der Sicherheit dient, wenn man zu Beginn eines Weltcup-Winters auf einer Höhe von 4000 Metern eine Abfahrt startet, deren Laufzeit zweieinhalb Minuten beträgt.» Er verwies damit auf die Tatsache, dass Skifahren in dieser Höhe aufgrund des Sauerstoffgehalts in der Luft um ein Vielfaches anstrengender ist.

Der mittlerweile zurückgetretene Schweizer Abfahrtskönig Beat Feuz äusserte Bedenken in Bezug auf faire Wettkampfbedingungen: «Meines Erachtens wird es sehr schwer werden, dass man beim geplanten Rennstart im November auf 4000 Meter über Meer einen Tag mit konstant guten Wetterbedingungen erwischen wird.»

Beat Feuz of Switzerland reacts during the bib draw for the men's downhill race at the Alpine Skiing FIS Ski World Cup in Kitzbuehel, Austria, Friday, January 20, 2023. (KEYSTONE/Jean-Christophe  ...
Beat Feuz bezweifelt, dass auf der Piste faire Wettkampfbedingungen herrschen werden.Bild: keystone

Zeitpunkt

Die ersten Rennen waren ursprünglich für das Jahr 2023 angedacht. Im Januar 2022 wurde dann aber bekanntgegeben, dass die ersten Abfahrten auf der «Gran Becca» bereits Ende Oktober / Anfang November 2022 stattfinden sollen. Mit der Austragung so früh im «Winter» wäre der Speed-Auftakt über einen Monat nach vorne verschoben worden. Der vielkritisierte FIS-Präsident Johan Eliasch erhoffte sich mit der frühen Ansetzung der transnationalen Abfahrt, ein Loch im Weltcup-Kalender zu stopfen.

Der ehemalige Weltcupfahrer und heutige TV-Experte Felix Neureuther meinte zur Entscheidung der FIS, die Rennen bereits im Oktober anzusetzen: «Der Zeitpunkt für diese Abfahrten am Matterhorn kommt viel zu früh in der Saison und ist völlig unzeitgemäss.»

Ähnliche Kritik kennt man bereits aus Sölden, wo traditionellerweise Ende Oktober die ersten Weltcuprennen stattfinden. Skirennen im Herbst, macht das Sinn? Nein, findet die Schweizer Hoffnungsträgerin Lara Gut Behrami. Gegenüber «Blick» sagte sie jüngst: «Wenn die Leute zu Hause bei 25 Grad Rennen schauen, denken sie nicht ans Skifahren. Das passiert erst, wenn es kälter wird und der Schnee kommt – das wäre auch die bessere Werbung für unseren Sport.» Auch die Ausnahmefahrerin Mikaela Shiffrin übt Kritik: «Ich kann zwar jederzeit, auch bei warmen Temperaturen, in den mentalen Zustand kommen, um Rennen zu fahren. Aber macht das wirklich Sinn?», sagt sie zum frühen Saisonstart.

Switzerland's Lara Gut Behrami adjusts her hair at the finish area of an alpine ski, women's World Cup super-g race, in Soldeu, Andorra, Thursday, March 16, 2023. (AP Photo/Alessandro Trovat ...
Lara Gut Behrami kritisiert das Rennen in Sölden aufgrund der Austragung im Oktober.Bild: keystone

Franz Julen, Mitorganisator der Rennen in Zermatt, kann den Aussagen der beiden Skistars wenig abgewinnen. Er sieht im Saisonauftakt im Herbst einen finanziellen Vorteil: «Der frühe Weltcup-Auftakt in Sölden ist für die Wintersport-Industrie äusserst wichtig! Jährlich haben wir erlebt, dass der Verkauf von Ski, Skianzügen und Handschuhen erst am Tag nach dem Sölden-Rennen so richtig in Schwung gekommen ist», sagte Julen dem «Blick».

2022 kam dann schliesslich die erste grosse Enttäuschung: Das Wetter machte den Abfahrten einen Strich durch die Rechnung. Sowohl die Rennen der Männer als auch die eine Woche später angelegten Frauen-Abfahrten mussten gestrichen werden. Julens im Vorfeld der Rennen getätigte Aussage, dass das Wetter in Zermatt im Spätherbst «stabil» sei, entpuppte sich – wie von Neureuther prognostiziert – als zu optimistisch.

Umwelt

Schon kurz nach der Ankündigung der Zermatt-Abfahrten übten Umweltorganisationen und Privatpersonen scharfe Kritik an den geplanten Rennen. Zu gross seien die Auswirkungen des Rennens auf das fragile Ökosystem im Umfeld des Theodulgletschers. Felix Neureuther sieht durch das Rennen auf dem Gletscher nichts weniger als die Glaubhaftigkeit des Skirennsports in Gefahr: «Mit einer Abfahrt anfangs November auf einem Gletscher und zu einem Zeitpunkt, wo die Gletscher schmelzen, macht man sich angreifbar», meinte der Deutsche.

Ski alpin: Weltcup, Riesenslalom, Herren, 2. Durchgang in Garmisch-Partenkirchen. Felix Neureuther (Deutschland) im Zuschauerbereich. Foto: Michael Kappeler/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ (KEYSTONE/DPA/Mich ...
Felix Neureuther kritisiert die FIS nicht zum ersten Mal.Bild: DPA

Angesprochen auf die Kritik bestätigte Didier Défago, der Walliser Abfahrts-Olympiasieger 2010 und Designer der Piste in Zermatt, dass der Bau der Skistrecke natürlich einen Eingriff in die Natur bedeute. Er beschwichtigte aber, indem er darauf verwies, dass über die Hälfte der Piste zum bereits bestehenden Skigebiet gehöre und ein grosser Anteil an Naturschnee verwendet werden könne. Organisator Julen meinte gar, dass das Rennen in Zermatt aufgrund des Streckenverlaufs auf dem Gletscher von allen Weltcuprennen am wenigsten Kunstschnee benötige.

Angesichts der klimatischen Veränderungen und der dramatischen Bilder von rasant schmelzenden Gletschern dürften diese Beschwichtigungsversuche die Kritiker aber kaum überzeugen – gerade weil der Skizirkus in Sachen Klimaverträglichkeit auch ohne das Rennen in Zermatt starker Kritik ausgesetzt ist.

Kommt nun endlich die Premiere?

Nach der Absage im letzten Jahr hätte in diesem Jahr eigentlich alles angerichtet sein sollen für die grosse Premiere, positive Schneeprognosen inklusive. Am 11. und am 12. bzw. am 18. und am 19. November sollen je zwei Abfahrten bei den Männern und bei den Frauen bestritten werden. Seit Anfang Woche sind nun aber Bilder im Umlauf, die für Entsetzen sorgen.

Bagger rattern über den Gletscher ob Zermatt – offenbar auch in Zonen, für die keine Bewilligungen vorliegen. Waren die Vorwürfe gegen das OK bisher eher moralischer Natur, scheinen nun handfeste Verstösse gegen das Gesetz vorzuliegen. Der «Walliser Bote» berichtete, dass sich Teile der bearbeiteten Piste ausserhalb der Zone befinden, die für Skipisten vorgesehen ist. Diese Zonen dürften eigentlich nicht mit schweren Maschinen bearbeitet werden. Zudem steht der Vorwurf im Raum, dass bei den Bauarbeiten Gletschereis umgegraben worden sei. Die Szenen erinnern an die Bilder der Bauarbeiten am Rettenbachgletscher in Sölden vom September.

Nun intervenierte die Walliser Baudirektion und ordnete die sofortige Einstellung aller Arbeiten auf dem Gletscher an, die ausserhalb des Perimeters des homologisierten Skigebiets auf Schweizer Seite durchgeführt werden.

Des dameuses et une pelleteuse preparent la piste de ski "Gran Becca" pour la premiere edition de la Coupe du monde de ski alpin a Zermatt/Cervinia entre "Testa Grigia" et "La ...
Bagger bereiten die Rennstrecke in Zermatt vor.Bild: KEYSTONE

Franz Julen weist jegliche Vorwürfe entschieden von sich: «Wir werden mit Plänen und Streckenführungen konfrontiert, die absolut nicht der Wahrheit entsprechen. Was wir tun, ist regelkonform – ich mache mir keine Sorgen», sagte er gegenüber dem «Tagesanzeiger». Das Renn-OK zeigt sich zuversichtlich, was die Durchführung der Rennen betrifft: «Die Rennen am Matterhorn sind in keinster Weise in Gefahr. Die Präparation ist auf der Schweizer Seite in der Skisportzone abgeschlossen und rennbereit. Die Trainings werden ab kommendem Sonntag planmässig aufgenommen», heisst es in einer Medienmitteilung.

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17 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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{Besserwisser}
20.10.2023 15:07registriert Dezember 2018
Im Jahr 2023 eine Skirennstrecke mit Dieselbetriebenen Baggern aus einem Gletscher zu formen, zeigen die doch eher bescheidenen Bestrebungen grosser Teile der Menschheit, das Klima auch nur ein kleines Bisschen zu entlasten.
Typisch FIS, Typisch Zermatt...
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Kolleg_Essig
20.10.2023 16:00registriert Mai 2016
Wow! Die Ignoranz dieser "Organisatoren" und der "Verantwortlichen" ist ja atemberaubend.
Vernunft? Ist für die anderen.
Klimaschutz? Ist für die anderen.
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wurzeli
20.10.2023 15:58registriert April 2020
Ich rate der FIS, es mal mit Wasserski zu probieren.
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