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Irgendwann ist die Kamera, die Beyoncé für den grossen LED-Turm hinter der Bühne einfangen soll, vollgeregnet. Wir sehen Tropfen auf dem Screen, dahinter Beyoncé. Weil der Himmel nicht mehr an sich halten kann. Weil er sich weinend vor dieser Frau verneigen muss. Beyoncé ist einfach zuviel.
Denn das ist alles gross, so riesengross, so unfassbar erhaben, ein Traum von einer Frau und einer Show. Wie toll ist die denn, eh sowas wie die Schönste der Welt, das wissen wir ja alle, aber dann auch noch so durch und durch strahlend, so offenbar glücklich erfüllt, von dem, was sie hier für uns an diesem saumässig kalten, nassen Juliabend tut.
Und dankbar scheint sie zu sein, jedenfalls sagt sie das. Und diesem unglaublichen Gesicht auf dem Screen glauben wir das auch. Ein Mensch kann gar nicht so aufrichtig beseligt dreinschauen und nicht ehrlich meinen, was er sagt. Oder etwa doch? Nein. Sie sicher nicht. Sie ist flawless. Sie wacht am Morgen auch schon so auf. Und ihre Stimme ..., es wäre vermessen, sie königlich zu nennen, sie ist natürlich göttlich.
Ihr Tanz ist nie angestrengt, man denkt so: könnte ich auch, jedenfalls wenn ich die dafür geeigneten Vorzüge besässe. Das ist alles so unkrampfig, ungekünstelt im Vergleich zu Madonna, Taylor Swift, Katy Perry, das steckt an, besonders, wenn sie ihre All-Girls-Truppe (auch Band und Background: alles Frauen, Beyoncé nimmt das mit dem Feminismus sehr ernst) in Formation bringt und über einen Steg mitten hinein in die Arena marschiert. In diese Army will man auch, sofort.
Drum herum: Feuerbälle, Feuerwerk, Glitter in der Luft, zum Finale gar ein Wasserbecken, in dem sich alle Frauen gegenseitig platschnass spritzen. Wie unfair! Da hätte sich der Regen den Rest der Show über das Regnen ja nicht immer wieder verkneifen müssen.
When dreams come true 😍😶 #Beyoncé #Zurich #music #letzigrund pic.twitter.com/wuX18tyeVF
— Andrea Cantoni (@AndreaCantoni_1) 14. Juli 2016
Trotzdem: Hoffentlich können nach Ende des Konzerts sofort alle in eine heisse Badewanne. Zürich ist ein bisschen eine Zumutung. Die Fans sind es zum Glück nicht. Die können auch alle jede verdammte einzelne Zeile des textlich wirklich schwierigen neuen «Lemonade»-Albums mitsingen. Alle! Wow.
Aber, Leute, was ist mit euerm Applaus? Der reisst beinah stille Löcher in diesen Abend einer Tour, die Amerika aufwühlt, wie kaum eine andere Konzerttour davor. Und deren Ankündigung die Polizei derart in Rage versetzte, dass sie sagte, Kollegen, beschützt diese Frau nicht während ihrer Tour, sie kritisiert uns zu hart. Denn Beyoncé ist nicht einfach Sängerin und Feministin, Beyoncé ist Aktivistin, ist schwarze Bürgerrechtlerin, mit jedem Tag mehr. Und damit in all ihren Codes und in ihrer Symbolik vielleicht zu amerikanisch für Zürich.
Für unsere Augen immerhin entschlüsselbar ist die Sache mit der Mode. Zweimal trägt Queen Bey Königinnenmäntel: Der erste ist schwarzgolden, sieht ägyptisch aus und trägt auf der Rückseite eine Riesenkobra. Und dann knallt die Mythologie auch schon voll durch und geht direkt von der ägyptischen Kleopatra zu Gucci und zu einem knallroten Pelzmantel aus echtem Nerz. Mehr lustvoll rappermässiges Status-Geprotze geht echt nicht.
Und weil sie in der Eröffnungsnummer «Formation» einen «Givenchy Dress» erwähnt, kommt dann auch ein halbes Konzert später ein güldener Body von Givenchy. Wenn die Welt für Queen Bey zu klein geworden ist, um darin passende Zitate zu finden, zitiert sie eben sich selbst. So macht man das als wahrer Royal.
Apropos Zitate sammeln: Im Video zu «Hold Up» hat Beyoncé ein altes Pipilotti-Rist-Video kopiert, da ist sich die Kunstwelt einig. Jetzt sind die Fragen: Wird Beyoncé sich in Zürich bei Pipilotti entschuldigen? Weiss sie das alles überhaupt? Die Antworten lauten: Nein, vielleicht. Es würde aber auch nicht in die Show passen. Denn ausser Gott und Zürich zu danken und uns an die Liebe zu erinnern, sagt Beyoncé nichts. Sie hat es nicht nötig, die Songs sind beredt genug.
@Beyonce credited this Pipilotti Rist 'steal' yet? All art is theft, but forgiven if re-purposed not just ripped off pic.twitter.com/Nd3fbwfGdb
— tom capote (@realtomcapote) 11. Juli 2016
Und was für ein Werk! Irr, wie flüssig der alte «Baby Boy» und das neue «Hold Up» ineinander verschmelzen. Als lägen nicht dreizehn Jahre, sondern bloss drei Schritte in einer Dancehall dazwischen. Und wie grandios funktioniert die Western-Nummer «Daddy Lessons» im Letzigrund, dieses Stück Familiengeschichte über den Vater, der sie «zur Soldatin» gemacht hat. Das ist quasi «Djangoncé Unchained».
Nur sechs Songs singt sie von «Lemonade», die andern sind Klassiker aus neunzehn Jahren Karriere, die im Grunde immer das Gleiche sagen, bloss heute komplexer, politischer und poetischer als früher zu Zeiten bei Destiny's Child. Sie sagen: Hey, ich bin independent, und obwohl ich schwarz bin und ein Girl bin, rule ich the world, bow down, bitches.
Sie sagen: Ich war mal ein Opfer, aber genau dies hat mich stark gemacht, hat mich hart gemacht, ich wurde mal betrogen, auch das hat mich stark gemacht, fuck you, Becky with the good hair. Und sie sagen: Jetzt formier ich mich mit andern unabhängigen Frauen zu einer Kraft, die alles platt machen wird, denn nur in rücksichtslosen Kollektiven sind wir stark.
Dazwischen: die Liebe, ach die Liebe, besungen in traumhaften Balladen, in «1+1» und in «Halo», das sie ganz zum Schluss bringt, als Dankeshymne an uns, ihr Publikum. Durchnässt und barfuss steht sie vor uns, mit tropfendem Haar, eine wassergeborene Lichtgestalt, eine Mischung aus Venus und Jesus. Die Verführung, die Erlösung. Denn genau das ist ja ihre Botschaft.
Und in diesem so unfassbar schlichten, anrührenden Finale, das einem mit dem Himmel zusammen weinen macht, ist Zürich ihr ganz und gar hörig.