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Analyse

Angela Merkels Reise nach Liliput

epa06804238 German Chancellor Angela Merkel passes-by a poster reading: 'Here the game ends!', after a visit to the sports club 'SV Rot-Weiss Viktoria Mitte 08', in Berlin, Germany ...
Von allen Seiten bedrängt: Angela Merkel.Bild: EPA/EPA
Analyse

Gefesselt und gefangen: Angela Merkels Reise nach Liliput

Die deutsche Kanzlerin steht vor der schwersten Krise ihrer politischen Karriere.
18.06.2018, 13:5219.06.2018, 07:12
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Das Pressefoto des Jahres steht de facto bereits fest: Es zeigt Angela Merkel, die auf Donald Trump einredet wie auf einen ungezogenen Teenager; und es ist nicht wirklich erstaunlich, dass der US-Präsident dieses Bild hasst. Es gaukelt vor, dass nicht er, sondern die Bundeskanzlerin die starke Führungsperson der Weltpolitik ist.

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Zu schön um wahr zu sein: Angela Merkel stellt Donald Trump in den Senkel.Bild: AP German Federal Government

Das gilt für Deutschland generell. So zumindest der Eindruck: Berlin hat das Sagen in der EU. Merkel hat Putin in die Schranken gewiesen und die griechische Rebellion niedergerungen. In Europa spricht man dank einem jahrzehntelangen Wirtschaftswunder wieder deutsch.

Auch weltweit war der Respekt vor Deutschland in der Nachkriegszeit noch nie so gross wie heute. Als die Kanzlerin zum ersten Mal den US-Präsidenten besuchte, titelte das Onlinemagazin «Politico»: «Der Leader der freien Welt trifft Donald Trump».

Nichts ist vergänglicher als Ruhm. Heute muss sich Angela Merkel vorkommen wie Jonathan Swifts Gulliver bei seiner Reise nach Liliput. Ihre Feinde sind jedoch keine hinterlistigen Zwerge auf einer Insel, sondern vermeintliche Freunde in Bayern.

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Setzt Merkel unter Druck: Innenminister Horst Seehofer.Bild: EPA/EPA

Das Trio Horst Seehofer, Markus Söder und Alexander Dobrindt stellt die Kanzlerin vor eine Wahl, bei der sie nur verlieren kann: Entweder gibt sie ihre europapolitischen Prinzipien auf – oder sie riskiert eine Auflösung der Regierung.

Konkret geht es beim Streit zwischen der CDU und der CSU um Folgendes: Seehofer und die CSU wollen Migranten, die schon in einem anderen EU-Land registriert sind, an der Grenze zurückweisen lassen. Kanzlerin Angela Merkel und weite Teile der CDU lehnen dies ab. Sie streben eine europäische Lösung an.

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Liebäugelt mit den Rechtspopulisten: Bayerns Ministerpräsident Markus Söder.tBild: EPA/EPA

Es ist primär ein ideologischer Streit. In der Praxis würde sich kaum etwas ändern. Die drei wackeren Männer aus Bayern wollen die Kanzlerin zwingen, ihre Flüchtlingspolitik zu widerrufen.

Die CSU hat Angst vor der AfD

Das bayrische Trio macht sich auch Sorgen um die Macht. Im kommenden Oktober finden Landtagswahlen statt. Es ist durchaus denkbar, dass die CSU erstmals ihre absolute Mehrheit verlieren wird, vor allem weil sich die AfD im Aufwind befindet.

Die CSU bandelt daher offen mit den Rechtspopulisten an. Der neue bayrische Ministerpräsident Markus Söder schwadroniert vom «Ende des Multilateralismus» und sucht nach neuen gleichgesinnten Kumpels in der EU. Eine Allianz mit dem italienischen Innenminister und Lega-Chef Matteo Salvini hält Wolfgang Münchau in der «Financial Times» für denkbar. «Sebastian Kurz, der konservative österreichische Kanzler, könnte sich dieser Koalition der Unwilligen anschliessen.»

Strafzölle zwischen 30 und 60 Prozent

Auch was Trump betrifft, befindet sich Merkel in der Defensive. Der amerikanische Präsident meint es offensichtlich ernst mit seinem Handelskrieg. Selbst die US-Chamber of Commerce, die einflussreichste Wirtschaftslobby, macht sich nun Sorgen und fürchtet, dass die Strafzölle auf Stahl und Aluminium bloss der Anfang eines sich rasch ausweitenden Konflikts sein könnten.

Die Folgen eines solchen Handelskrieges sind gravierend. Der Ökonom Paul Krugman, der seinen Nobelpreis für Studien über internationalen Handel erhalten hat, rechnet mit Strafzöllen zwischen 30 und 60 Prozent. «Das würde zu einer massiven Reduktion des Handels führen, möglicherweise bis zu 70 Prozent», schreibt er in der «New York Times».

Ein Handelskrieg betrifft Deutschland besonders hart

Es ist bekannt, dass Trump einen Groll gegen deutsche Luxusautos hegt und laut darüber nachdenkt, sie ebenfalls mit Strafzöllen zu belegen. «Niemand hätte mehr zu verlieren als Deutschland», stellt Philip Stephens in der «Financial Times» fest. «Zerbricht die transatlantische Allianz, ist das eine existenzielle Bedrohung für Berlin.»

Seit mehr als einem Jahrzehnt profitiert Deutschland von einem schwachen Euro und globalen Freihandelsverträgen. Beides ist heute in Frage gestellt – und es gibt wenig Hoffnung, dass die in ihren Exportwahn verliebten Deutschen die Gefahr erkennen und etwas dagegen unternehmen.

Das erste Treffen von Merkel und Macron

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27 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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raues Endoplasmatisches Retikulum
18.06.2018 14:10registriert Juli 2017
Wer sind Merkels europäische Verbündete? Macron? Hält Migrationspolitisch schöne Reden, gleichzeitig ist der effektive Beitrag Frankreichs bescheiden, lieber führt man einen "Kleinkrieg" an der Grenze zu Italien.
Die nordischen Staaten? Dort hat der Rückhalt für eine liberale Migrationspolitik auch nachgelassen, Dänemark schlägt schon zusammen mit Kurz (?) vor, Lager in Mittelmeeranreinerstaaten zu errichten.
Eine "euopäische Lösung" die etwas anderes währe als ein Papiertiger oder das klassische weiterwursteln würde micht sehr überrraschen.
Merkel steht vor einer grossen Herausforderung.
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raues Endoplasmatisches Retikulum
18.06.2018 14:07registriert Juli 2017
"Sie streben eine europäische Lösung an."
Das Problem: Diese "europäische Lösung" wird seit über 3 Jahren angestrebt, nun soll das bis in zwei Wochen zum Gipfel klappen? Merkels innenpolitische Schwäche trifft auf hochmotivierte und innenpolitisch gestärkte Köpfe wie Salvini, Kurz und Orband + die anderen Westentaschendemokraten aus dem Osten. Sie verfolgen zielstrebig ihre Ziel, die Migration auf 0 zu beschränken.
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B-Arche
18.06.2018 16:21registriert Februar 2016
Söder sprach vom "Ende des Multilateralismus" - nicht des Multikulturalismus.

Das ist schon ein wenig perfider, denn es ist exakt die Position Ungarns und Polens: weniger EU. Mehr Direktverträge zwischen Ländern. Und es ist das Weltbild Trumps.
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