Die Gletscher in den Alpen und die Eisberge in den Polregionen schmelzen noch schneller als prophezeit, verheerende Unwetter und Waldbrände nehmen zu: Die Klimaerwärmung ist keine akademische Diskussion mehr, sondern eine Realität.
Die Fakten sprechen für sich: Seit der Industrialisierung hat die durchschnittliche Temperatur um mehr als ein Grad Celsius zugelegt. Selbst um das Minimalziel zu erreichen – die Erwärmung bei zwei Grad Celsius zu stoppen –, braucht es gewaltige Anstrengungen. Kein Wunder, ist die Forderung nach einem Green New Deal wieder zuoberst auf der Agenda.
In den USA mischt die junge demokratische Abgeordnete Alexandra Ocasio-Cortez damit das Polit-Establishment auf. In Europa sorgt die schwedische Schülerin Greta Thunberg für Albträume bei den Konservativen. In der Schweiz kommen gar bei der alten Dame FDP grüne Gefühle auf. Parteichefin Petra Gössi ist gerade im Begriff, den Umwelt-Neandertaler Christian Wasserfallen in den Senkel zu stellen und ihre Partei sanft auf den ökologischen Weg zu schubsen.
Dabei ist die Idee eines neuen grünen Deals keineswegs neu. Schon in den Siebzigerjahren warnte der Club of Rome – eine Gemeinschaft von umweltbewussten Wissenschaftlern –, dass die Menschheit im Begriff sei, den Planeten Erde zu vernichten. Schon damals wurde eine radikale Umkehr gefordert.
Vor bald zehn Jahren forderte der ehemalige Greenpeace-Chef Paul Gilding noch drastischere Massnahmen. «Wir brauchen einen Krieg gegen die Klimakatastrophe», erklärte er in einem Interview mit der «SonntagsZeitung». «Nur in einem kriegsähnlichen Zustand entwickeln die Menschen genügend Gemeinschaftssinn.»
Solche Forderungen sorgten damals im besten Fall für mildes Lächeln, im schlimmsten Fall für wüste Beschimpfungen. Heute sind sie im Mainstream angekommen. «Wir müssen den Kampf aufnehmen», stellt beispielsweise Eugene Robinson, Kolumnist in der «Washington Post», fest. «Der beste Vergleich ist dabei […] der Zweite Weltkrieg. Damals haben die Mobilisation der Bevölkerung und das grosse Potenzial der Wirtschaft ermöglicht, Deutschland und Japan zu besiegen und gleichzeitig einen breiten Mittelstand aufzubauen.»
In der «Financial Times» bezweifelt derweil Chefökonom Martin Wolf, dass die Klimaerwärmung allein mit den klassisch-liberalen Instrumenten wie preislichen Anreizen und Lenkungsabgaben in den Griff zu bekommen ist. «Ein guter Plan muss beides umfassen, Preisanreize und Kontrolle von oben», stellt er fest.
Ein gemeinsames grosses Projekt wäre auch ein probates Mittel gegen die Zerrissenheit der modernen Gesellschaft, unter der nicht nur die Vereinigten Staaten leiden. Mit dem Projekt, einen Menschen auf den Mond zu bringen, hat einst John F. Kennedy eine amerikanische Blütezeit eingeläutet und noch vor Toyota den Beweis erbracht, dass nichts unmöglich ist.
«Wer soll das bezahlen?», werden notorische Bedenkenträger nun einwenden. Angesichts der schamlosen Verschuldung via Steuergeschenke für Superreiche ist dieser Einwand nicht nur heuchlerisch, sondern grotesk. Tatsächlich ist ein Klimakrieg wie ein richtiger Krieg teuer, sehr teuer sogar. Doch das Geld ist nicht verschwendet. Es fliesst in moderne Infrastrukturen und schafft viele nachhaltige Jobs.
Nicht nur wirtschaftlich ist ein Green New Deal sinnvoll. «Nehmen wir nochmals den Zweiten Weltkrieg», so Paul Gilding. «Wer hätte sich in den Dreissigerjahren vorstellen können, dass die gesamte US-Wirtschaft mehr oder weniger von Frauen bestritten werden würde? Dass GM und Ford nicht mehr Autos, sondern Panzer und Kanonen herstellen würden? Dass die Ausgaben für das Militär von einem Prozent des Bruttoinlandprodukts auf fast die Hälfte steigen würde? Nach Pearl Harbour geschah dies alles in sehr kurzer Zeit.»
Angesichts der steigenden Meeresspiegel und der Zunahme von Unwettern haben wir bald keine Alternative zu einem Krieg gegen die Klimaerwärmung mehr. Das sollte uns nicht erschrecken: Dieser Krieg wird unblutig sein und er könnte uns Menschen auch wieder zu dem machen, was wir sind: soziale Wesen.