Mit einem Wert von über 4000 Dollar für einen Bitcoin und über 300 Dollar für einen Ether sind die beiden grossen Kryptowährungen für viele Glücksritter nicht mehr das Eldorado im Kryptowährungsland. Da hilft es auch nicht, dass Charaktertypen wie John McAffee prognostizieren, dass ein Bitcoin in drei Jahren 500'000 Franken Wert haben wird. Die jetzt schon hohen Coinpreise schrecken viele Hobbyinvestoren ab.
Bitcoub's low of $1,800+ yesterday simply could not be maintained. In the long term Bitcoin moves above $500,000 within three years. Bets?
— John McAfee (@officialmcafee) 17. Juli 2017
An die Stelle der neuen Liebkinder in der Kryptoszene sind sogenannte ICOs gerückt. Aber was sind ICOs?
ICO steht für «Initial Coin Offering» und die Idee dahinter ist so einfach wie effektiv: Krypto-Startups verkaufen Token oder Münzen ihrer neu gegründeten Währung, bevor diese in den Handel kommt. So kommt das Startup zu Geld, ohne Anteile des Unternehmens abgeben zu müssen. Die Käufer wiederum erhalten Coins, von denen sie hoffen, dass sie später massiv an Wert gewinnen. Vor allem, weil sich die Idee, an welche der Coin gebunden ist, sich durchsetzt. Für beide Seiten ein lukratives Geschäft.
Ein Beispiel: Das Projekt EOS häufte mit ICOs in fünf Tagen 185 Millionen Dollar in der Kryptowährung Ether an. Investoren bezahlten für einen EOS-Token während dieser Zeit umgerechnet ca. 90 Cents. Kaum im Handel, stieg der Wert eines EOS auf fast 7 Dollar bis der Ausverkauf einsetzte und der Preis wieder fiel (auf knapp 3 Dollar).
Das war Anfang Juli. Heute kostet ein EOS ca. 1.30 Dollar. Die Anfangseuphorie ist verflogen. Das Team konnte ausser einer starken Marketing-Kampagne keine nennenswerte Erfolge vorweisen. Ein Vorwurf, der sich in der Kryptoszene in den letzten Monaten häufte.
Und nun haben Sportstars die ICOs entdeckt – oder besser gesagt, ICOs haben die Marketingkraft der Sportstars entdeckt.
I'm excited about the Alpha launch of the world's best prediction market next week!
— Luis Suarez (@LuisSuarez9) August 25, 2017
You in?
🏆https://t.co/xDnbmeLYdq 🏆#ETH #STX #STOX pic.twitter.com/ayD3zspfw7
Ob Luis Suarez weiss, was ein ICO ist? Ob Suarez' 10 Millionen Follower wissen, was ein ICO ist? Ob Roger Federer weiss, dass ein Foto von ihm für Werbezwecke missbraucht wird? Fragen über Fragen.
Neben Suarez postete auch der eben zum 50. Mal siegreiche Boxer Floyd Mayweather wiederholte Male Werbebotschaften für ICOs. Diese waren immerhin mit #ad gekennzeichnet.
You can call me Floyd Crypto Mayweather from now on #HubiiNetwork #ICO starts tomorrow! Smart contracts for sports?! #CryptoMediaGroup #ad🤑 pic.twitter.com/25GoMPuS7r
— Floyd Mayweather (@FloydMayweather) August 23, 2017
Hinter der Sportler-Marketingstrategie steht die Firma Crypto Media Group: «Unser Ziel ist es, den ICO-Markt weg von der kleinen Gruppe von Krypto-Investoren hin zu den Massen zu bewegen», sagte Crypto-Media-Group-CEO Logan Schauer gegenüber Motherboard. Ein Unterfangen, das nicht unkritisch ist.
In den letzten Monaten hat der Kryptowährungsmarkt einen noch nie dagewesenen Boom erlebt. Neues Geld schiesst ein, die Marktkapitalisierung liegt bei über 156 Milliarden. Die beiden Klassenprimusse Bitcoin und Ether kommen alleine auf 100 Milliarden.
Nicht wenige Analysten sehen in diesem Anstieg eine Blase, die jederzeit platzen kann – doch dies ist bei weitem nicht das einzige Problem.
Wo viel Geld ist, sind auch die Scharlatane nicht weit. Die Technologie von Kryptowährungen und Blockchains ist nicht ganz einfach zu verstehen. Die Grundidee mag auch Laien einleuchten, die technische Umsetzung ist jedoch nur noch Netzwerkprofis und Programmierassen verständlich.
Genau dort aber knüpfen viele neue Startups an. Sie werfen den alteingesessenen Währungen technische Mängel vor und präsentieren in Form eines «Whitepapers» ihre eigenen Visionen und Ideen. Diese beheben selbstredend sämtliche dieser Probleme.
Ob die präsentierten Lösungen sinnvoll und/oder technisch überhaupt umsetzbar sind, entzieht sich dem gemeinen Suarez- oder Mayweather-Fan. Investiert wird blind. Und so kommt es, dass viele ICOs nicht halten, was sie versprechen. Das investierte Geld verschwindet zusammen mit dem Startup.
Des Weiteren ist die Lagerung erworbener Coins noch immer nicht massentauglich. Wer sich ausschliesslich auf einen Anbieter im Netz verlässt, läuft die Gefahr, Opfer von Cyberkriminellen zu werden. Der Fall von Mt. Gox lässt grüssen. Der einstmals grössten Bitcoin-Handelsplattform gingen unter Anderem Bitcoins im Wert von knapp 500 Millionen Dollar «verloren». Eine Rückverfolgung des Geldes ist kaum möglich.
Weitere offline Speichermöglichkeiten, sogenanntes «Cold Storage» – zum Beispiel die Herstellung sogenannter «Paper Wallets» – taugen noch immer nicht für den Alltagsgebrauch und sind für Herr und Frau Schweizer zu kompliziert. Und noch sind Anwendungen im täglichen Gebrauch in der Schweiz Mangelware.
Zurück zu unserem Fall EOS. Dank geschicktem Marketing hat es die Firma in die «NY Times» und auch in die Meldungen der Agentur Reuters gebracht. Einige Experten trauen dem Projekt indes nicht. Es gäbe keinerlei Hinweise darauf, dass die Firma die versprochenen Leistungen auch nur ansatzweise erbringen werden könne. EOS sei mehr Show als Go und im «Whitepaper» würden ausser ein paar knackigen Parolen keine Lösungsansätze präsentiert.
Kryptowährungen leiden momentan an denselben Problemen wie die Politik: Die besten Lösungen sind kompliziert und für den durchschnittlichen Suarez- und Mayweather-Fan (und den Autoren dieser Zeilen) nicht verständlich. Das führt dazu, dass sich der Plebs (und auch der Autor dieser Zeilen) nicht den besten Lösungen zuwendet, sondern den lautesten Versprechen. Und das ist, in der Politik wie auch beim Investieren, eine gefährliche Sache.