Gerade erst echauffierte sich der Kolumnist Daniel Strassberg in der Republik über die Verweigerung vieler Medien, der Realität in die Augen zu schauen. Eine goldene Stachelbeere würde er etwa gerne dem Tages-Anzeiger für die in seinen Augen absurde Schlagzeile «2024 war das erste Jahr jenseits von 1,5 Grad – sind die Klimaziele noch zu schaffen?» verleihen. Ganz offensichtlich hätten die Kolleginnen und Kollegen des «Tagis» nicht verstanden, dass wir schon weit darüber hinaus sind.
Dass die in der Schlagzeile gestellte Frage – rein theoretisch gesehen – seine Richtigkeit hat, ist Strassberg durchaus bewusst. Denn auch wenn im Jahr 2024 bereits mehr als 1,5 Grad gemessen wurden, beziehen sich die Pariser Klimaziele genau genommen auf einen Zeitraum von zwei Jahrzehnten, in denen der Durchschnitt über ebendiesem Schwellenwert liegen muss. So kann man – genau genommen – erst im Nachhinein mit Sicherheit sagen, ob wir gegen das Abkommen verstossen haben. «Aber Hand aufs Herz: Wer glaubt noch daran?», schreibt Strassberg.
Was Strassberg damit auch meint: Geht es um die Überschreitung der 1,5 Grad, ist die Frage nach dem «ob» schon längst nicht mehr angebracht – sondern nur noch die Frage nach dem «wann». Und zwei neue Studien scheinen nun nahezulegen, dass dieses «wann» schon ... jetzt sein könnte.
Konkret haben die am Montag im Journal «Nature Climate Change» publizierten Studien untersucht, ob die Welt bereits ihre erste langfristige Phase mit einer Erwärmung von 1,5 Grad erreicht hat. Die Ergebnisse verheissen nichts Gutes.
Die Studie von Alex Cannon, einem Wissenschaftler bei Environment and Climate Change Canada, ergab, dass wir die 1,5-Grad-Schwelle mit einer Wahrscheinlichkeit von 60 bis 80 Prozent bereits überschritten haben, wie CNN berichtet. Dies, weil die vergangenen zwölf Monate durchgehend mindestens 1,5 Grad wärmer waren. Sollte die Welt 18 aufeinanderfolgende Monate bei oder über dieser Schwelle erleben, sei es «praktisch sicher», dass das Pariser Abkommen verletzt wurde, so der Bericht.
Die zweite Studie, geleitet von Emanuele Bevacqua, zeichnet ein ähnliches Bild. Der Klimawissenschaftler, der am Helmholtz-Zentrum in Deutschland forscht, verwendete sowohl reale Klimadaten als auch Klimamodelle. Durch die Analyse historischer Erwärmungstrends konnten er und sein Team zeigen, dass das erste einzelne Jahr, in dem die globale Durchschnittstemperatur einen bestimmten Schwellenwert überschritt, immer in der gleichen Zeitspanne lag, in der dieser Schwellenwert auch als langfristiger Durchschnitt (über 20 Jahre) erreicht wurde.
Eine kurzfristige Überschreitung sei also ein starkes Anzeichen dafür, dass die Welt in eine Phase eintritt, in der die globale Erwärmung dauerhaft diesen Wert erreicht. Ohne drastische Klimaschutzmassnahmen kommen wir laut der Studie unweigerlich an diesen Punkt. Dass wir uns allerdings ungebremst in die falsche Richtung bewegen, zeigt diese Grafik:
Die Analysen gliedern sich ein in eine Reihe von jüngst geäusserten Warnungen, eine Klimakatastrophe mit irreversiblen Folgen stünde unmittelbar bevor. So erklärte etwa vergangene Woche James Hansen, der bereits in den 80er-Jahren vor dem Treibhauseffekt warnte, sogar das 2-Grad-Ziel für tot. «Toter als ein Türnagel» bezeichnete er schon ein Jahr zuvor das 1,5-Ziel, auf das sich 2015 fast alle Staaten der Welt einigten.
Andere Wissenschaftlerinnen pflichten ihm bei. Die neuen Studien seien zweifellos eine schlechte Nachricht, sagte Daniela Schmidt, Professorin für Geowissenschaften an der University of Bristol. Zugleich warnte sie davor, sich zu sehr auf die 1,5-Grad-Schwelle zu fixieren.
Das wir das Ziel verfehlen oder längst verfehlt haben ist angesichts der zivilisatorischen Entwicklung egal.
Was wir jetzt noch tun können ist Jammern, in Panik geraten oder - mein persönlicher Favorit - die Show geniessen.
Dank unserer Kaufkraft werden wir länger als die Meisten auf den Zuschauerbänken sitzen bleiben können, bevor wir selber in die Arena müssen.
Immerhin etwas, oder?
Gruss
Chorche, Stimmungskonfettikanone
Die Erde wirds überleben, sie dreht sich auch ohne uns weiter. Was nehmen wir uns so verdammt wichtig? Wir sind ein Ausreisser der Evolution, mehr nicht. Halt einfach ein sehr schädlicher der sich sogar selbst dezimiert.