Wissen
International

Pariser Klimaabkommen: So unrealistisch ist das 1,5-Ziel gemäss Studien

epa11641014 A dead fish in the sand of the dry bed of the Solimoes River, in the Manacapuru region, Amazonas, Brazil, 03 October 2024. The level of the Solimoes River reached the level of 2.51m today  ...
Extreme Wetterereignisse wie Dürren häufen sich. Hier ein toter Fisch in einem ausgetrockneten Flussbett im Amazonasgebiet im Oktober 2024. Bild: keystone

Das 1,5-Grad-Ziel ist schon jetzt «praktisch sicher» gescheitert

2024 lag die globale Durchschnittstemperatur erstmals 1,6 Grad über dem vorindustriellen Niveau. Heisst das, dass wir die im Klimaabkommen anvisierten 1,5 Grad bereits jetzt überschritten haben? Zwei neue Studien liefern entsprechende Belege.
12.02.2025, 17:3012.02.2025, 18:59
Mehr «Wissen»

Gerade erst echauffierte sich der Kolumnist Daniel Strassberg in der Republik über die Verweigerung vieler Medien, der Realität in die Augen zu schauen. Eine goldene Stachelbeere würde er etwa gerne dem Tages-Anzeiger für die in seinen Augen absurde Schlagzeile «2024 war das erste Jahr jenseits von 1,5 Grad – sind die Klimaziele noch zu schaffen?» verleihen. Ganz offensichtlich hätten die Kolleginnen und Kollegen des «Tagis» nicht verstanden, dass wir schon weit darüber hinaus sind.

Dass die in der Schlagzeile gestellte Frage – rein theoretisch gesehen – seine Richtigkeit hat, ist Strassberg durchaus bewusst. Denn auch wenn im Jahr 2024 bereits mehr als 1,5 Grad gemessen wurden, beziehen sich die Pariser Klimaziele genau genommen auf einen Zeitraum von zwei Jahrzehnten, in denen der Durchschnitt über ebendiesem Schwellenwert liegen muss. So kann man – genau genommen – erst im Nachhinein mit Sicherheit sagen, ob wir gegen das Abkommen verstossen haben. «Aber Hand aufs Herz: Wer glaubt noch daran?», schreibt Strassberg.

Was Strassberg damit auch meint: Geht es um die Überschreitung der 1,5 Grad, ist die Frage nach dem «ob» schon längst nicht mehr angebracht – sondern nur noch die Frage nach dem «wann». Und zwei neue Studien scheinen nun nahezulegen, dass dieses «wann» schon ... jetzt sein könnte.

Konkret haben die am Montag im Journal «Nature Climate Change» publizierten Studien untersucht, ob die Welt bereits ihre erste langfristige Phase mit einer Erwärmung von 1,5 Grad erreicht hat. Die Ergebnisse verheissen nichts Gutes.

Zwölf Monate durchgehend über 1,5 Grad

Die Studie von Alex Cannon, einem Wissenschaftler bei Environment and Climate Change Canada, ergab, dass wir die 1,5-Grad-Schwelle mit einer Wahrscheinlichkeit von 60 bis 80 Prozent bereits überschritten haben, wie CNN berichtet. Dies, weil die vergangenen zwölf Monate durchgehend mindestens 1,5 Grad wärmer waren. Sollte die Welt 18 aufeinanderfolgende Monate bei oder über dieser Schwelle erleben, sei es «praktisch sicher», dass das Pariser Abkommen verletzt wurde, so der Bericht.

Die zweite Studie, geleitet von Emanuele Bevacqua, zeichnet ein ähnliches Bild. Der Klimawissenschaftler, der am Helmholtz-Zentrum in Deutschland forscht, verwendete sowohl reale Klimadaten als auch Klimamodelle. Durch die Analyse historischer Erwärmungstrends konnten er und sein Team zeigen, dass das erste einzelne Jahr, in dem die globale Durchschnittstemperatur einen bestimmten Schwellenwert überschritt, immer in der gleichen Zeitspanne lag, in der dieser Schwellenwert auch als langfristiger Durchschnitt (über 20 Jahre) erreicht wurde.

Eine kurzfristige Überschreitung sei also ein starkes Anzeichen dafür, dass die Welt in eine Phase eintritt, in der die globale Erwärmung dauerhaft diesen Wert erreicht. Ohne drastische Klimaschutzmassnahmen kommen wir laut der Studie unweigerlich an diesen Punkt. Dass wir uns allerdings ungebremst in die falsche Richtung bewegen, zeigt diese Grafik:

So drastisch hätten wir den CO₂-Ausstoss verringern müssen, um die ursprünglichen Pariser Klimaziele zu erreichen. Die zwei Graphen zeigen, dass die IEA ihre Daten angepasst hat – die weltweiten CO₂-E ...
So drastisch hätten wir den CO₂-Ausstoss verringern müssen, um die ursprünglichen Pariser Klimaziele zu erreichen. Die zwei Graphen zeigen, dass die IEA ihre Daten angepasst hat – die weltweiten CO₂-Emissionen stiegen ab 1999 stärker, als zuvor angenommen. Bild: watson.ch mit daten der Iea
Das Pariser Klimaabkommen
Im Jahr 2015 versammelten sich 196 Länder an der UN-Klimakonferenz (COP21) in Paris und verabschiedeten das sogenannte Pariser Abkommen – auch bekannt als Pariser Klimaabkommen –, um die globale Erwärmung auf deutlich unter 2 Grad Celsius, idealerweise jedoch auf 1,5 Grad, gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Seitdem hat sich der Klimawandel jedoch beschleunigt, und die Erde erwärmt sich in einem Tempo, das selbst die Wissenschaft nicht vorausgesagt hat.

Aufgeben ist keine Option

Die Analysen gliedern sich ein in eine Reihe von jüngst geäusserten Warnungen, eine Klimakatastrophe mit irreversiblen Folgen stünde unmittelbar bevor. So erklärte etwa vergangene Woche James Hansen, der bereits in den 80er-Jahren vor dem Treibhauseffekt warnte, sogar das 2-Grad-Ziel für tot. «Toter als ein Türnagel» bezeichnete er schon ein Jahr zuvor das 1,5-Ziel, auf das sich 2015 fast alle Staaten der Welt einigten.

Andere Wissenschaftlerinnen pflichten ihm bei. Die neuen Studien seien zweifellos eine schlechte Nachricht, sagte Daniela Schmidt, Professorin für Geowissenschaften an der University of Bristol. Zugleich warnte sie davor, sich zu sehr auf die 1,5-Grad-Schwelle zu fixieren.

«Zu glauben, dass jede Überschreitung von 1,5 Grad das Ende bedeutet, birgt die reale Gefahr, dass wir Massnahmen reduzieren und entmutigt aufgeben. Die Folge eines mangelnden Ehrgeizes wäre, dass wir auf unserem aktuellen Erwärmungspfad bleiben, der zu einer nahezu 3 Grad wärmeren Welt führt – lokal sogar noch mehr. Eine solche Erwärmung hätte immense und in Teilen irreversible Folgen für Natur und Menschen.»
Daniela Schmidt
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Klimawandel: WEF-Kritiker marschieren nach Davos
1 / 9
Klimawandel: WEF-Kritiker marschieren nach Davos
Das WEF soll sich der Klimaverantwortung stellen: Mit dieser Forderung ist in Landquart der Klimamarsch nach Davos gestartet.
quelle: keystone / walter bieri
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Candan: «Wir subventionieren Umweltzerstörung!»
Video: srf
Das könnte dich auch noch interessieren:
177 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
El_Chorche
12.02.2025 18:38registriert März 2021
Ich denke, solche Berichte können wir uns künftig sparen.

Das wir das Ziel verfehlen oder längst verfehlt haben ist angesichts der zivilisatorischen Entwicklung egal.

Was wir jetzt noch tun können ist Jammern, in Panik geraten oder - mein persönlicher Favorit - die Show geniessen.

Dank unserer Kaufkraft werden wir länger als die Meisten auf den Zuschauerbänken sitzen bleiben können, bevor wir selber in die Arena müssen.

Immerhin etwas, oder?

Gruss
Chorche, Stimmungskonfettikanone
7321
Melden
Zum Kommentar
avatar
001766.ea455c9f@apple
12.02.2025 17:47registriert Februar 2024
Ganz ehrlich: Das Problem mit der Klimaerwärmung lösen wir technisch oder gar nicht. Alles andere ist unrealistisch. Ein Meteoriteneinschlag mit 10 km Durchmesser würde natürlich auch "helfen"
5220
Melden
Zum Kommentar
avatar
Plusplus
12.02.2025 18:00registriert Dezember 2021
Ganz einfach, die Menschheit hats verk@%#kt. So what?
Die Erde wirds überleben, sie dreht sich auch ohne uns weiter. Was nehmen wir uns so verdammt wichtig? Wir sind ein Ausreisser der Evolution, mehr nicht. Halt einfach ein sehr schädlicher der sich sogar selbst dezimiert.
4528
Melden
Zum Kommentar
177
    Start-up bringt ersten Biocomputer auf den Markt – mit menschlichen Gehirnzellen
    Das australische Start-up Cortical Lab hat mit dem CL1 den ersten «Biocomputer» der Welt auf den Markt gebracht. Im Computer steckt ein mit menschlichen Hirnzellen angereicherter Silizium-Chip.

    Cortical Labs hat auf der internationalen Technologie-Konferenz MWC in Barcelona mit dem CL1 den «ersten kommerziellen biologischen Computer» vorgestellt. Der Computer hat anstelle eines herkömmlichen Chips eine Silizium-Oberfläche, auf der im Labor gezüchtete menschliche Hirnzellen wachsen. Die Oberfläche sendet und empfängt Informationen der Hirnzellen.

    Zur Story