Fünf Jahre sind erst vergangen, seit der Klimawandel die politische Debatte dominierte. Im «Windschatten» des Klimastreiks erlebten die Öko-Parteien einen Boom. Für kurze Zeit dachte man, es gehe vorwärts mit dem Klimaschutz. Stattdessen folgte eine Kaskade an neuen Krisen: Pandemie, Kriege in der Ukraine und in Nahost, Migration.
Davon profitieren Rechtspopulisten mit simplen Rezepten wie Donald Trump und die AfD. Die Grünen hingegen erleiden Verluste am Laufmeter. Die Sorge um die Kaufkraft verdrängt die Klimakrise. Hinzu kommt ein Gewöhnungseffekt: Man kann es ja doch nicht ändern! Die Folge davon: Flugscham ist so etwas von gestern, der Absatz von Elektroautos stottert.
Ein Lichtblick ist der starke Ausbau der erneuerbaren Energien. Doch die Welt bleibt in einem beträchtlichen Mass abhängig von Erdgas, Kohle und Erdöl. Im Jahr 2050, wenn die Schweiz nach dem Willen des Bundesrates «netto Null» sein soll, werden «voraussichtlich noch 60 Prozent des Energiebedarfs aus fossilen Energiequellen gedeckt werden».
Dieser Satz steht in einem Buch, das man als Weckruf oder fast schon letzte Warnung interpretieren kann. Verkaufte Zukunft heisst das leicht lesbare und knappe Werk des deutschen Soziologen Jens Beckert, dessen Cover alles über den Inhalt aussagt: Ein junges Paar sitzt gemütlich in seiner Wohnung, während draussen die Erde in Flammen steht.
Besser lässt sich unsere Klima-Ignoranz kaum darstellen, denn die Naturkatastrophen, die eine direkte Folge der Erderwärmung sind, werden häufiger und massiver. Schwere Unwetter mit Überschwemmungen und Toten gab es dieses Jahr in ganz Europa, gerade auf verheerende Weise in Spanien, aber auch in mehreren Regionen der Schweiz.
Der Süden der USA wurde innerhalb kurzer Zeit von zwei heftigen Hurrikans verwüstet. Die zerstörerischen Taifune in Fernost, zuletzt auf den Philippinen und in Taiwan, nimmt man bei uns kaum noch zur Kenntnis. Die ungeheure Wucht dieser Unwetter wird «angeheizt» durch Meerestemperaturen, die man sich bis vor wenigen Jahren kaum vorstellen konnte.
Auf der anderen Seite stehen immer extremere Dürren und Hitzewellen, von Indien bis Südamerika. Der Amazonas-Regenwald, eigentlich einer der wichtigsten CO2-Speicher, brannte in einem Ausmass wie seit Jahren nicht mehr. Und bei uns haben die Gletscher auch in diesem vermeintlich günstigen Jahr wieder viel Eis verloren.
Unser Verdrängungsreflex wird uns in jeder Hinsicht teuer zu stehen kommen, warnt Jens Beckert: «Klimaflüchtlinge, Wasserknappheit, Hungersnöte und immer höhere Aufwendungen für den Schutz vor Naturgewalten auch in den reichen Ländern führen zu neuen Verteilungskämpfen und der realen Möglichkeit des sozialen Kontrollverlusts.»
Bisherige Massnahmen zum Klimaschutz würden längst nicht ausreichen: «Es bedürfte einer Vollbremsung, die nicht und nirgends in Sicht ist.» Beckert spricht bei der Klimakrise vom «grössten Staatsversagen aller Zeiten», und für einmal darf man diese Formulierung guten Gewissens verwenden. Denn schlimmer kann es kaum kommen.
Das Hauptproblem ortet der Soziologe, der als Direktor am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln tätig ist, bei einem Konzept, das er als «kapitalistische Moderne» bezeichnet. Sie habe den Menschen von der Natur «entfremdet», ob bei der Produktion oder beim Konsum, und so zur massiven Schädigung der Umwelt geführt.
Beckert bestreitet nicht, dass die kapitalistische Moderne technologischen Fortschritt und eine «ungeheure Wohlstandsmehrung» ermöglicht hat. Doch während die Menschen sich ihren Anteil erkämpften, mit Streiks, der Gründung von Gewerkschaften und politischen Parteien, hat die Natur keine Stimme, um sich gegen ihre Ausplünderung zu wehren.
Das führt dazu, dass eine mächtige Industrie wie «Big Oil» kaum kleinzubekommen ist, obwohl bei uns ständig von «Dekarbonisierung» gesprochen wird. Das liegt auch am steigenden Energiebedarf: Trotz des massiven Ausbaus erneuerbarer Energien werde nicht weniger, sondern mehr Öl, Gas und Kohle verfeuert – «allen Klimawarnungen zum Trotz».
Ambitionierte Versuche, dies zu ändern, würden von Investoren und Aktionären «sabotiert», illustriert Beckert anhand zahlreicher Beispiele. Aus dem gleichen Grund haben es «marktwirtschaftliche» Instrumente wie eine CO2-Bepreisung oder der Emissionshandel schwer. Wegen der vielen Ausnahmen bezeichnet Jens Beckert sie als «stumpfes Schwert».
Wenig hält der Autor auch von vermeintlichen Auswegen wie einer «grünen» Wirtschaft, und erst recht nichts anfangen kann er mit der Idee des «Overshoot». Demnach ist das Pariser Klimaziel einer Erwärmung um maximal 1,5 Grad unerreichbar, doch ab Mitte des Jahrhunderts stünden die Technologien bereit, um die Erde wieder «abzukühlen».
Dazu gehören die Abscheidung und Speicherung von Treibhausgasen oder das Geoengineering, mit dem eine Art Schutzschirm über der Erde aufgespannt wird. Dieser «Technologismus» ist für Jens Beckert «eine Form magischen Denkens, das vom Versagen der Strukturen der kapitalistischen Moderne angesichts des Klimawandels ablenkt».
Die real existierenden Naturkatastrophen lassen tatsächlich daran zweifeln, dass wir uns Zeit lassen und vor schmerzhaften Entscheidungen herumdrücken können. Beckert schildert dies in einer überwiegend sachlichen Tonalität, ohne anklagende oder polemische Rundumschläge. Er selbst bezeichnet seine Methode als «nachdenklichen Realismus».
Umso mehr irritiert, dass er am Ende trotzdem nicht ohne Hoffnung bleibt. Er setzt auf eine Zivilgesellschaft, die «von unten» Druck macht. Nur so sei «die Bereitschaft zur Unterstützung von Massnahmen gegen die Übernutzung natürlicher Ressourcen» zu erreichen. Es ist eine vage Hoffnung, wie Jens Beckert selbst einräumt, denn starke Strukturen hielten dagegen.
Sein relativer Optimismus lässt sich wohl damit erklären, dass er als zweifacher Vater seinen sowie anderen Kindern zumindest einen Hoffnungsschimmer für eine bessere Zukunft bieten will. Dabei hat er mit den vorherigen Ausführungen im Buch mehr als deutlich aufgezeigt, dass es nur noch darum gehen kann, den Schaden so gut wie möglich zu begrenzen.
Und selbst diese Botschaft kommt schwer an. «Verkaufte Zukunft» war für den Deutschen Sachbuchpreis 2024 nominiert. Gewonnen hat ihn ein Buch, das sich mit der Demokratie in Deutschland beschäftigt. Die unmittelbare Bedrohung durch AfD und Konsorten scheint die Jury mehr umgetrieben zu haben als die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen.
Was für ein Träumer! In meinem direkten Umfeld sehe ich nichts von dem. Fast Jeder fährt ein grosses Auto, isst täglich Fleisch, fliegt jährlich mehrere Male und auch sonst geniesst man alle Vorzüge unseres Wohlstandes.
Verzichten?, nein sicher nicht, sollen die Anderen ‚die Schweiz‘ fällt eh nicht ins Gewicht …
Die nachfolgenden Generationen werden dies dann Ausbaden müssen, im Jetzt geschieht nichts!