Wissen
Schweiz

Umwelt: Insekten sollen unsere Abfallberge verspeisen

Insekten fressen unseren Müll – so wollen Schweizer Forscher das Abfallproblem lösen

In einem Schweizer Labor verspeisen Insektenlarven organische Abfälle. Die Forscher wollen damit gleich zwei Probleme lösen: Die weltweiten Müllberge reduzieren und neues Tierfutter züchten.
24.08.2017, 07:5424.08.2017, 09:25
Mark Walther / Aargauer Zeitung
Mehr «Wissen»

4500 Larven und ein Hamburger: Das Schweizer Wasserforschungsinstitut Eawag hat kürzlich ein Video auf Youtube hochgeladen, das eine Fressorgie hungriger Geschöpfe im Zeitraffer dokumentiert:

Fliegenlarven verspeisen Hamburger

Das Video zeigt, wie sich die Larven der Schwarzen Soldatenfliege über einen Burger hermachen.Video: YouTube/Sandec Eawag

Zu sehen ist der Nachwuchs der Schwarzen Soldatenfliege, der innert vier Stunden Teile eines Hamburgers frisst. Die Larven haben auch schon Forellen vorgesetzt bekommen: Nach 24 Stunden war nichts mehr übrig ausser den Gräten.

Jetzt auf

Die Forscher veranstalten die tierischen Festessen nicht aus Spass: Sie testen die Abfallverwertungsfähigkeit der Insekten. Mehlwürmer, Heuschrecken und Co. sollen nicht nur unseren Hunger stillen, sondern auch unsere Abfallberge abtragen. Zumindest die organischen Teile davon.

Fliegenlarven verspeisen Forellen

Innert 24 Stunden zerlegen die Larven der Schwarzen Soldatenfliege zwei Forellen.Video: YouTube/Sandec Eawag

Abfall landet in vielen Ländern auf Halden und bleibt liegen. Die Berge wachsen, verschmutzen die Umwelt und sind ideale Brutstätten für Krankheiten. Die Siedlungsabfallgruppe der Eawag rund um Leiter Christian Zurbrügg will diesem Problem entgegenwirken. Dafür greift sie auf eine tierische Kampfeinheit zurück – die Schwarze Soldatenfliege, oder genauer: deren Larven.

Hunderttausende Larven fressen Müll

Die Wissenschafter testen die neuartige Abfallverwertung in Indonesien. In Entwicklungsländern ist der meiste Abfall organisch. Nach einer Aufzuchtzeit von fünf Tagen werden die Larven auf den Müll – Restaurant- oder Marktabfälle – losgelassen. 600'000 bis 800'000 Larven bekommen jeweils eine Tonne Abfall vorgesetzt. Davon vermögen sie 50 bis 80 Prozent zu fressen.

Primär streben die Forscher um Zurbrügg eine neue Abfallverwertungstechnologie an. Doch die Möglichkeiten gehen darüber hinaus: Die vollgefressenen, proteinreichen Larven könnten selbst auch als Tierfutter dienen.

«Die Akzeptanz, mit Abfall genährte Insekten zu essen, wäre wohl zu klein.»
Christian Zurbrügg

Heute besteht Tierfutter häufig aus Fischmehl oder Soja. Das ist angesichts der überfischten Meere und wegen des grossen Land- und Wasserverbrauchs höchst problematisch. Die Larven wären eine nachhaltige Alternative zu Fisch und Soja. Zurbrügg attestiert ihnen ein «hohes Potenzial».

Keine Burger für den Menschen

Insektenburger, wie sie neuerdings auch in der Schweiz erhältlich sind, wollen die Wissenschafter aus den Larven nicht machen. Das liegt nicht an der Soldatenfliege. Sie wäre so unbedenklich zu verspeisen wie Mehlwürmer. Aber: «Die Akzeptanz, mit Abfall genährte Insekten zu essen, wäre wohl zu klein», sagt Zurbrügg. Ausserdem wäre das Gesundheitsrisiko zu hoch. Im Abfall können sich etwa Schwermetalle oder BSE-Erreger befinden. Diese sind nicht nur für Menschen, sondern auch für Tiere schädlich.

Damit die Schädlinge via Nahrungskette nicht doch auf unseren Tellern landen, verfolgen die Wissenschafter den «Multi-Barrier-Approach» (deutsch etwa der "Viele-Schwellen-Ansatz): Je mehr Stufen zwischen Endkonsument und Larve, desto sicherer der Konsum.

Die Abfallverwertungsfähigkeit der gelobten Insekten ist noch begrenzt: Um die Risiken gering zu halten, arbeiten die Forscher derzeit ausschliesslich mit vegetarischen Abfällen. Um dereinst auch Schlachtabfälle als Futter zu verwenden zu können, braucht es laut Zurbrügg noch spezifischere Forschungsbemühungen.

Wir haben die «Insect Balls» gekostet, damit du nicht musst

Video: watson/Emily Engkent
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
Hast du technische Probleme?
Wir sind nur eine E-Mail entfernt. Schreib uns dein Problem einfach auf support@watson.ch und wir melden uns schnellstmöglich bei dir.
5 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Homelander
24.08.2017 12:28registriert Oktober 2014
Lustig, mit dem Essen dass wir wegschmeissen, produzieren wir Futter für das Essen, welches wir nachher wegschmeissen. Seems legit.
00
Melden
Zum Kommentar
5
Flugzeugcrash auf dem Gauligletscher: Geburts­stun­de der Bergret­tung aus der Luft
Als im November 1946 eine Dakota C-53 auf über 3000 Metern auf dem Gauligletscher notlandete, war das nicht nur eine Meisterleistung des Piloten. Die Rettung aller zwölf Überlebenden war auch der Startschuss zur modernen Bergrettung aus der Luft.

Der damals 25-jährige Pilot Ralph Tate Jr. erinnert sich: «Ich sehe dunkle Linien unter uns, sehr schnell, und dann – ich verstehe es erst später, es waren Gletscherspalten und sie wurden automatisch zu einem Gletscher...». Er sollte acht Passagiere und vier Mannschaftsmitglieder von Wien über Marseille nach Pisa fliegen. Nach dem Start machte der schnell vereisende rechte Motor aber massive Probleme, sodass die Maschine in München zwischenlanden musste.

Zur Story