Sag das doch deinen Freunden!
Wie einfach ist es, sich auf Facebook zu einer Straftat zu verabreden?
Martin Steiger: Kein Problem, sehr einfach! Facebook ist eines von unzähligen gängigen Kommunikationsmitteln, wie Briefpost, E-Mail oder Telefon. Facebook wird deshalb naheliegenderweise auch für Zwecke verwendet, die rechtswidrig sind.
Welche Handhabe haben die Behörden, bei einem Verdacht auf eine Straftat im Netz?
Die Sicherheitsbehörden verfügen über viele Kompetenzen. Wichtig ist dabei die Unterscheidung zwischen den Strafverfolgungsbehörden, die grundsätzlich erst tätig werden, wenn ein hinreichender Verdacht auf eine Straftat besteht, und den Geheimdiensten, die in erster Linie präventiv arbeiten um mutmasslich staatsgefährdende Aktivitäten zu identifizieren.
Nehmen wir das Beispiel Köln: Ob die Übergriffe auf der Domplatte orchestriert worden waren, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt unklar. Sicher ist aber, dass sich der rechte Mob, der wenige Tages später in Leipzig gewaltsam gegen Flüchtlinge vorging, auf Facebook verabredete. Wie sieht es da konkret aus?
Bei einem hinreichenden Verdacht auf eine Straftat – zum Beispiel bei öffentlichen Aufforderungen zu Gewalttätigkeit – können die Strafverfolgungsbehörden tätig werden und unter anderem Überwachungsmassnahmen einleiten. In diesem Rahmen kann allenfalls auch die Kommunikation im Internet, zum Beispiel in geschlossenen Chaträumen, überwacht werden. Der digitale Raum ist kein rechtsfreier Raum.
Und was können die Geheimdienste ausrichten?
Wir wissen es leider nicht, denn es gibt keinerlei Transparenz zur Arbeit der Geheimdienste. Wir können deshalb nur mutmassen, was zum Beispiel mit all den gesammelten Daten aus der Massenüberwachung geschieht. Anekdoten über angebliche Erfolge von Geheimdienste erweisen sich häufig als falsch oder sind zumindest nicht nachprüfbar.
Facebook ist bekannt dafür, bei der Herausgabe von Daten Zurückhaltung zu üben. Wie schwierig ist es für die Behörden, Daten von privaten Unternehmen herauszufordern?
Bei ausländischen Providern kann die Beschaffung von Nutzerdaten schwierig sein oder zumindest viel Zeit – allenfalls zu viel Zeit – beanspruchen. Provider wie Facebook sind zurückhaltend, dann sie sind grundsätzlich verpflichtet, die Privatsphäre ihrer Nutzer zu schützen. Ausserdem gibt es unterschiedliche Rechtstraditionen: Vor allem in den USA ist man bei Hasskommentaren im Internet viel liberaler, da es eine lange Tradition einer stark ausgeprägten und geschützten Meinungsäusserungsfreiheit gibt.
Normalerweise gilt das Prinzip der doppelten Strafbarkeit: Rechtshilfe wird nur gewährt, wenn die betreffenden Äusserungen in beiden Ländern strafbar sind. Für Opfer von Cyberkriminalität sind solche Grenzen der Strafverfolgung äusserst unbefriedigend.
Wie funktioniert denn ein solches Gesuch konkret?
Grundsätzlich müssen die Behörden mit den Mitteln der Rechtshilfe – also mit einem Rechtshilfeersuchen – die Herausgabe von Nutzerdaten verlangen. Facebook darf je nach Rechtslage keine Nutzerdaten herausgeben und allenfalls ist mangels doppelter Strafbarkeit gar keine Rechtshilfe möglich. Aber man muss auch daran denken, dass nicht nur Schweizer Strafverfolgungsbehörden an der Herausgabe von Nutzerdaten interessiert sind. Stellen Sie sich vor, was passiert, wenn Facebook einem Staat wie Iran oder Saudi-Arabien die Nutzerdaten ausliefert …
Dann würde Facebook Regimekritiker ausliefern …
... und sich so zum Handlanger von autoritären oder diktatorischen Staaten machen, genau.
Wie kompetent sind die Schweizer Strafverfolgungsbehörden in Sachen Strafverfolgung und Überwachung im Internet?
Die Internet-Kompetenz der Schweiz Behörden darf nicht unterschätzt werden. In den letzten Jahren wurden in diesem Bereich viele Fortschritte erzielt. Im Kanton Zürich gibt es beispielsweise das Kompetenzzentrum für Cybercrime und es findet gezielte Weiterbildung statt. Aber gerade bei Meinungsäusserungen im Internet sind die Behörden häufig zurückhaltend. Ein hartes Durchgreifen wie gegen den so genannten Kristallnacht-Twitterer ist selten. Es stellt sich immer die Frage: Ist es überhaupt sinnvoll, mit strafrechtlichen Mitteln einzugreifen?
Wieso nicht? Wenn zum Beispiel Hasskommentare einen Straftatbestand erfüllen, haben die Strafverfolger doch den gesetzlichen Auftrag, die Urheber ausfindig zu machen.
Ja, Rassendiskriminierung ist ein Offizialdelikt. Dazu kommt grosser gesellschaftlicher, medialer und politischer Druck. Aber Strafverfolgungsbehörden verfügen gemäss dem Opportunitätsprinzip über einen Ermessensspielraum, um die vorhandenen Ressourcen möglichst effizient einsetzen zu können. Ausserdem ist fraglich, ob man dem Phänomen der Hasskommentare mit strafrechtlichen Mitteln überhaupt wirksam begegnen kann und soll.
Wie denn sonst?
Wenn das Strafrecht zum Zug kommt, ist es eigentlich schon zu spät. Und offensichtlich wirkt das Strafrecht auch nicht abschreckend. Wesentlich wichtiger ist, dass Rassismus keine gesellschaftliche Akzeptanz findet und auf Widerstand in der Zivilgesellschaft stösst.
Im Nachhinein von Straftaten – sei es bei den Paris-Attentaten oder bei den rechten Schlägern von Leipzig – heisst es oft: Die Täter waren den Behörden bekannt. Wieso konnten die Täter dennoch zuschlagen?
Die Geheimdienste sind angesichts von kleinen, fanatisierten Gruppen mit losen Strukturen oder gar Einzeltätern ohne erkennbare Strukturen hilflos. In ihrer Hilflosigkeit verdächtigen und überwachen die Sicherheitsbehörden uns alle, wozu in der Folge auch jene wenigen Personen zählen, die zu terroristischen Straftätern werden. Die sprichwörtliche Suche nach der Nadel im Heuhaufen scheint nicht zu funktionieren. Dazu kommt vermutlich ein gewisses Mass an Inkompetenz, wie es sich bei den Sicherheitsbehörden häufig nach Terroranschlägen zeigt. Bisweilen wird auch spekuliert, dass es sich um Staatsterrorismus handeln könnte um Angst und Schrecken zu verbreiten. Meist gibt es aber Erklärungen, die naheliegender sind als Verschwörungstheorien.
Nach dem Vorbild von deutschen Gemeinden haben sich in den letzten Tagen auf Facebook verschiedene sogenannte Bürgerwehrgruppen konstituiert. Im welchem rechtlichen Rahmen bewegen sich die Gruppierungen?
Man wird sehen, ob den grossspurigen Ankündigungen auch tatsächlich Aktivitäten folgen. Aber es ist grundsätzlich nicht verboten, sich zusammenzuschliessen um beispielsweise in der Nachbarschaft in kleineren Gruppen zu patrouillieren. Für das Tragen von Waffen in der Öffentlichkeit hingegen ist eine Bewilligung notwendig. Problematisch werden solche Aktivitäten, wenn diese Bürgerwehren die Grenzen zum staatlichen Gewaltmonopol überschreiten oder sich anderweitig rechtswidrig verhalten.
Sie sehen in diesen Bürgerwehren also nichts grundsätzlich Problematisches?
Solange sie sich rechtmässig verhalten, nicht, nein. Solche Gruppierungen nutzen erst einmal Freiheitsrechte wie die Vereinigungsfreiheit. Ich sehe Bürgerwehren zumindest teilweise als Kritik an der Arbeit der Polizei. Ereignisse wie in Köln oder die grosse Zahl von Einbruchs- und Diebstahlsdelikten in der Schweiz untergraben das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden. Funktionierende Nachbarschaftshilfe jenseits von Hass und Rassismus kann die Sicherheit durchaus verbessern, zumal die Polizei häufig über zu wenig Ressourcen verfügt. Die Polizei bittet gerade in diesen Tagen mit der Kampagne «Gemeinsam gegen Einbrecher» um die Mithilfe von Bürgerinnen und Bürgern.
Sie sind ein erklärter Gegner des Überwachungsstaates. Die Tatsache, dass Bürger das Gefühl haben, das Recht in die eigene Hand nehmen zu müssen, spricht vielleicht aber für ein Sicherheitsbedürfnis, das auch mit mehr Überwachungsmassnahmen gestillt werden will.
Der Wunsch nach Sicherheit ist verständlich, aber mehr Überwachung führt nicht zu mehr Sicherheit. Wer anderes behauptet, bleibt erfahrungsgemäss den notwendigen Nachweis schuldig und pflegt dadurch Sicherheitsesoterik. Anlasslose und verdachtsunabhängige Massenüberwachung steht in einem direkten Widerspruch zu den europäischen Menschenrechten und verletzt den Grundsatz der Verhältnismässigkeit. Wir können unseren demokratischen und freiheitlichen Rechtsstaat nicht verteidigen, indem wir das Fundament dieser Rechtsstaatlichkeit selbst untergraben. Sicherheit kann durchaus mit rechtsstaatlichen Mitteln gewährleistet werden, zum Beispiel mit traditioneller Polizeiarbeit.
Was meinen Sie mit traditioneller Polizeiarbeit?
Die meisten terroristischen Anschlagspläne werden durch Hinweise aus der Bevölkerung oder wachsame Polizisten entdeckt, zum Beispiel bei Verkehrskontrollen. Früher waren Grenzkontrollen ein bewährtes Mittel. Viele terroristische Straftäter verraten sich vorzeitig durch ihre eigene Inkompetenz oder werden aus den eigenen Reihen verraten. Ausserdem ist es wichtig, dass die Polizeibehörden über genügend Ressourcen verfügen um bei Bedarf mit geeigneten Mitteln auf einen Terroranschlag oder andere Straftaten reagieren zu können. Leider ist es für die politischen Verantwortlichen verlockend, auf schwierige Fragen mit einfachen Antworten zu reagieren. Ich sehe in dieser Hinsicht auch Parallelen zwischen dem wachsenden Überwachungsstaat und der umstrittenen Durchsetzungs-Initiative.
Das müssen Sie erklären.
Sowohl die Durchsetzungs-Initiative als auch die verstärkte Überwachung – Stichworte BÜPF und NDG – versprechen, mit scheinbar einfachen Mitteln durchaus vorhandene gesellschaftliche Probleme aus der Welt zu schaffen und dadurch wirksam mehr Sicherheit zu gewährleisten. Einmal mit der weitgehend automatischen Ausschaffung von vielen kriminellen Ausländern, ein anderes Mal, indem wir alle überwacht und verdächtigt werden. Immerhin werden Menschenrechte und Verhältnismässigkeit bei der Durchsetzungs-Initiative rege diskutiert – eine Diskussion, die bei der Überwachung leider bislang noch kaum stattfindet.