Was die Schweiz vom Kosovo lernen kann
Am 1. August haben die Mitarbeiter der MIK Agency frei. Am Abend essen sie aber keinen Cervelat an der Bundesfeier ihrer Gemeinde, wo ein Lokalpolitiker eine patriotische Rede radebrecht. Denn die Angestellten der MIK Agency wohnen in Pristina im Kosovo.
Ihr Chef, Valon Asani, ist in der Ostschweiz geboren und aufgewachsen. Dass es ihm gelungen ist, in der Heimat seiner Eltern, die er bis Anfang 20 nur als Ferienland kannte, ein erfolgreiches Unternehmen aufzubauen, hat natürlich auch damit zu tun, dass er die Kultur des Kosovo im Elternhaus und in den Ferien mitbekommen hat und fliessend Albanisch spricht.
Teil 1: Sommer ist, wenn die «Schatzis» einfallen: Der Kosovo in Schweizer Hand – die Reportage
Teil 2: Tränengas im Rat und viele Schweizer Stimmen – so ticken Kosovos neue Hoffnungsträger
Teil 3: Die Schweizer Macher – vier Erfolgsgeschichten aus dem Kosovo
Es hat aber mindestens gleich viel damit zu tun, dass Valon Asani exemplarisch Werte verkörpert, welche die Schweiz zu einem wirtschaftlich erfolgreichen Land gemacht haben: Präzision, Arbeitswillen, Kreativität, Kompromisslosigkeit bei der Qualität. Und ein Durst nach Bildung.
Seine jüngeren Mitarbeiter müssen auf Anweisung von Asani jeden Tag eine Stunde lesen. Im Grossraumbüro der MIK Agency liegen deutsche Sprachführer, IT-Magazine und ein Buch über das israelische Start-up-Wunder. So weit ist der Horizont, an dem sich Asanis Mitarbeiter orientieren sollen.
Wie seine Unternehmerkollegen Drenusha Shala oder Avni Beqiraj hat Asani von den Möglichkeiten profitiert, die das duale Schweizer System mit seiner Kombination von theoretischer und praktischer Ausbildung bietet.
Diese Erfahrungen versuchen sie in der Heimat ihrer Eltern an talentierte junge Leute weiterzugeben – und bringen den Kosovo dazu, trotz den riesigen Herausforderungen, die das Land auch 18 Jahre nach Kriegsende schwer belasten, mit etwas mehr Optimismus in die Zukunft zu blicken.
Diese jungen Unternehmer sollte die Schweiz als ideale Botschafter des Landes sehen. Es ist paradox: Die Schweiz hat einen der höchsten Ausländeranteile weltweit – und das nicht nur wegen ihrer restriktiven Einbürgerungspraxis. 36 Prozent der ständigen Wohnbevölkerung über 15 Jahren hat einen Migrationshintergrund. Das sind mehr als 2,5 Millionen Menschen.
Schweizer Macher statt Schweizermacher
Und doch, das zeigt die Einbürgerungsposse in Buchs AG um Funda Yilmaz: Unser Bild von uns selber bleibt verhaftet in einer peinlich kleinbürgerlichen, vergangenheitsbezogenen Vorstellung darüber, wie ein Schweizer, eine Schweizerin zu sein hat.
Anstatt die Eignung zum Schweizer-Sein danach zu beurteilen, ob jemand den Namen des Dorfmetzgers kennt, stünde der Schweiz etwas anderes gut an: Wir sollten uns endlich einmal des erfolgreichen Efforts bewusst werden, den wir – «Einheimischen», Eingebürgerte und Menschen ohne Schweizer Pass – bei der Integration von Ausländern tagtäglich leisten.
Denn: Wenn jemand wie Drenusha Shala mit 7 Jahren vom Kosvo in die Schweiz zieht und 20 Jahre danach ein erfolgreiches Unternehmen aufgebaut hat, ist das zwar in erster Linie eine beeindruckende Leistung der jungen Frau und ihrer Geschäftspartner.
Es ist aber auch ein Hinweis darauf, dass die Schweiz bei der Bildung, im Arbeitsmarkt und im gesellschaftlichen Zusammenleben allgemein vieles richtig macht. Besser jedenfalls, als es die Scharfmacher von rechts uns weismachen wollen.
Statt die erstaunliche Integrationskraft des Schweizer Modells zu anerkennen, verlieren sich Politik und Medien immer und immer wieder in überflüssigen Scheindebatten über doppelte Loyalitäten, wenn etwa Xherdan Shaqiri, Granit Xhaka und Co. vor einem Länderspiel die Nationalhymne nicht mitsingen.
- Erstens: Das haben die Natispieler Heinz Hermann und Andy Egli vor dreissig Jahren auch nicht getan
- Zweitens: Dass sich jemand, der mit verschiedenen Kulturen aufgewachsen ist, mit mehreren Ländern identifiziert oder gar den Wunsch verspürt, in die Heimat seiner Eltern zurückzukehren, ist das normalste der Welt. Das macht einen nicht zu einem schlechteren Schweizer.
- Drittens: Unsere Ausländergruppen sollten wir nicht immer nur an erfolgreichen Sportlern einerseits und kriminellen Tunichtguten andererseits beurteilen.
Es gilt, das Schema zu durchbrechen, jede neue Ausländergruppe zuerst als Bedrohung zu sehen, dann zu Sündenböcken zu machen, schliesslich als halbwegs tolerierte Fremde zu behandeln und irgendwann dann als ganz passable Fussballer zu entdecken.
Denn Kosovo-Schweizer können mehr als nur Flanken schlagen und Tore schiessen: Menschen wie Valon Asani oder Drenusha Shala brillieren in jener Disziplin, die unser Land seit jeher höher schätzt, als alle sportlichen Glanzleistungen: Mit unternehmerischem Geschick gutes Geld verdienen.