Nichts fällt dem Chronisten leichter, als nach dem Scheitern eines Titanen zu polemisieren. Böse und boshaft zu sein. Die Fehler aufzulisten. Die Schuldigen zu benennen. Personelle Konsequenzen zu fordern. Die Hockeywelt in Gut und Böse, in Helden und Versager aufzuteilen. Da läuft die Arbeit, gewürzt mit Schadenfreude, wie von selbst.
Wenn der Meister von 2016 und 2017 im Halbfinale scheitert, müsste also dem Chronisten das Herz im Leibe hüpfen. Aber so ist es nicht. Das Scheitern der Berner ist zu komplex. Eine Schwarz-Weiss-Analyse wird der Sache nicht gerecht.
Hallenstadion, am Samstagabend nach 23.00 Uhr. Das Spiel ist längst aus. Die ZSC Lions haben in der Verlängerung gewonnen (3:2) und ziehen ins Finale ein.
Vor der SCB-Kabine. Niemand flucht. Niemand knallt eine Türe zu. Niemand zertrümmert einen Stock. Die Verlierer trotten schweigend und mit hängenden Köpfen in die Kabine. Draussen im Hallenstadion feiern die Fans immer noch den Finaleinzug.
Diese stille Ergebenheit hat mehrere Gründe. Erstens ist es ein Scheitern auf hohem Niveau. Der SCB hat gegen starke ZSC Lions denkbar knapp verloren. Dieses 6. Spiel stand nicht auf Messers Schneide. Eher schon auf der Schneide einer Rasierklinge. Am Ende fällt der Puck für die Zürcher. Er hätte in der Verlängerung geradeso gut für den SCB fallen können.
Zweitens sind die Berner anständige, selbstkritische Verlierer. Nicht eine einzige Ausrede wird vorgebracht. Obwohl es einige gäbe. Captain Simon Moser sagt: «Wir haben mehr Fehler gemacht und die Zürcher haben diese Fehler ausgenützt.» Er nennt Mängel in der Defensivarbeit. Von zu wenig Energie (13 SCB-Stars hatten die olympische Zusatzbelastung in den Knochen) mag er nichts hören. «Wir hatten genug Energie.» Torhüter Leonardo Genoni geht mit sich selbst ins Gericht. Er sagt, auch er habe Fehler gemacht und wisse, was er ändern müsse. Er habe in einigen Szenen zu passiv gespielt und müsse aggressiver auf die Scheibe gehen.
SCB-General Marc Lüthi sagt, er gratuliere den ZSC Lions. «Nicht von ganzem Herzen. Das wäre gelogen. Ich bin sehr enttäuscht. Aber sie waren einfach besser als wir und das sollten wir anerkennen.»
Trainer Kari Jalonen hatte sich sofort nach der Schlusssirene zur ZSC-Spielerbank begeben, um ZSC-Coach Hans Kossmann zu gratulieren. Er wusste nicht einmal, wer eine Video-Nachprüfung wegen eines möglichen Offsides beim ZSC-Siegestreffer verlangt hatte («Coaches Challenge»). «Es war ja klar zu sehen, dass es kein Offside war.»
Drittens gibt es keinen Grund zur Polemik. Es gibt keinen Sündenbock. Fehler haben alle gemacht, an der Niederlage haben alle ihren Anteil. Aber niemand hat spektakulär versagt und deshalb wird niemand zur Rechenschaft gezogen.
Trainer Kari Jalonen (mit Vertrag bis 2020) ist im Amte unbestritten. Die Transfers sind gemacht, das Scheitern provoziert keine zusätzlichen Abgänge. Der verlorene Halbfinal hat also keine Folgen. Aber die Frage bleibt: Warum ist der SCB nach sieben gewonnenen Playoffserien, zwei Qualifikationssiegen und zwei Titeln nun gescheitert? Hat die Mannschaft am Ende gar ihren Zenit überschritten? Geht ein Zeitalter zu Ende?
Nein. Der SCB wird auch nächste Saison wieder ein Titelanwärter sein. Der SCB ist letztlich auch das Opfer des eigenen Erfolges geworden. Zu viele Siege. Zu gute Zeiten. Vom Deutschen Dichter Wilhelm Müller stammt der Spruch: «Nichts ist dem Menschen schwerer zu tragen als die Last von guten Tagen». Kari Jalonen wird gefragt, ob der SCB in den letzten zwei Jahren zu viele Spiele gewonnen habe. Er sagt, dass dies einer von vielen Gründe für das Ausscheiden sein könne. «Es ist nicht einfach, im Erfolg demütig zu bleiben.» Deshalb ist es ja so schwierig, einen Titel zu verteidigen. «Nachladen» nach Erfolgen ist eine der grössten Herausforderungen für die Trainer.
Können wir den Spielern Vorwürfe machen? Nein. Sie sind an einem Gegner gescheitert, der sich auf einer Mission befindet. Zweimal hintereinander in den Viertelfinals gescheitert. Bloss ein 7. Platz in der Qualifikation. Plus ein Trainerwechsel. Die «Mission Wiedergutmachung» hat bei den Zürchern enorme Energien freigesetzt, die sie bis zum Titelgewinn tragen können.
Dass sich Spieler mit dieser Ausgangslage in einer denkbar knappen Serie gegen Spieler durchsetzen, die zwei Jahre lang nie mehr ein ernsthaftes Problem und nie eine Krise hatten, ist logisch. Die Situation der ZSC Lions ist durchaus vergleichbar mit jener der Berner, die im Frühjahr 2016 den Titel vom 8. Platz aus geholt hatten.
Oder hat Trainer Kari Jalonen die Stars zu stark forciert? Tatsächlich verteilte Hans Kossmann die Belastung besser auf vier Linien. Wer will, kann hinterher diese Kritik anbringen. Aber es gibt eben auch ein starkes Gegenargument: Die Stars sind Stars, weil sie mehr Eiszeit vertragen. Die Kritik kann auch ins Gegenteil verkehr werden: Kari Jalonen hätte die Stars noch stärker forcieren sollen.
Oder war Leonardo Genoni nicht mehr gut genug? Er hat die beste Abwehrquote aller Playoff-Goalies (93,06 Prozent). Statistisch ist er gar besser als Lukas Flüeler (92,93 Prozent). Statistisch hat die Kritik also keine Grundlage. Aber es ist, wie es ist: Wir haben in einigen Phasen nicht den besten Leonardo Genoni gesehen. Trotzdem war er gut genug, um seiner Mannschaft in jedem Spiel den Sieg zu ermöglichen.
Der SCB-Torhüter sagt, er sei überrascht, mit wie viel Mut und Risikobereitschaft die Zürcher ihre schnellen Gegenangriffe geführt haben. Er spricht eine wichtige Qualität der Zürcher an: Dieser Mut, diese Risikobereitschaft ist typisch für Mannschaften, die nichts mehr zu verlieren, aber alles zu gewinnen haben. Mannschaften eben, die auf einer Mission sind.
Der SC Bern ist an der Summe der eigenen Fehler gescheitert. Aber wir können auch sagen: Der SCB ist an der Summe der Stärken des Gegners zerbrochen. Die Berner hätten nur dann diese Serie gewinnen können, wenn sie von der ersten bis zur letzten Minute ihr bestes Hockey gespielt hätten. Seit dem Titelgewinn von 2016 unter Lars Leuenberger hat der SCB nie mehr gegen einen so starken nationalen Gegner gespielt wie gegen diese ZSC Lions.
Was nun? Nichts. Nichts? Ja, nichts. Beim SCB muss und wird sich nichts ändern. Trainer Kari Jalonen wird nun in akribischer Detailarbeit das ganze SCB-Spiel in alle Einzelteile zerlegen, wieder zusammenbauen und da und dort ein «Finetuning» vornehmen. Er wird künftig hie und da die Schraube noch ein bisschen mehr anziehen. Er wird noch fordernder, noch konsequenter sein.
Aber der SCB hat eine gute Leistungskultur. Die Korrekturen können mit der Nagelfeile vorgenommen werden. Es braucht nicht den Vorschlaghammer.