Nach wochenlangen Protesten der «Gelbwesten» hat der französische Präsident Emmanuel Macron grössere Zugeständnisse angekündigt. So soll der Mindestlohn im kommenden Jahr um 100 Euro monatlich angehoben werden.
Mit der Anhebung des Mindestlohns erfüllte Macron eine der Hauptforderungen der Gewerkschaften. Der französische Mindestlohn ist mit derzeit rund 1.185 Euro netto einer der höchsten der OECD-Länder. Unabhängige Experten hatten der Regierung erst kürzlich von einer Erhöhung abgeraten.
Zudem kündigte der Staatschef in einer mit Spannung erwarteten Fernsehansprache eine Entlastung für Rentner an, die über weniger als 2000 Euro monatlich verfügen: Für sie werde 2019 die Erhöhung der Sozialabgaben ausgesetzt, sagte er.
Auf Überstunden sollen zudem weder Steuern noch Sozialabgaben erhoben werden, kündigte Macron weiter an. Arbeitgeber sollten, wenn sie dazu in der Lage seien, ihren Beschäftigten eine Prämie zahlen. Auf weitere Forderungen der «Gelbwesten» wie allgemeine Steuersenkungen und eine Wiedereinführung der Vermögensteuer ging der Präsident nicht ein.
Mehrere «Gelbwesten»-Vertreter äusserten sich skeptisch bis ablehnend über die Ankündigungen. «Er macht sich über uns lustig», kritisierte ein Aktivist aus dem Ort Montceau-les-Mines, der mit anderen die TV-Ansprache verfolgt hatte. «Diesmal gibt es wirklich Fortschritte», sagte dagegen ein Sprecher aus Rennes.
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— Gilets Jaunes (@_Gilets_Jaunes_) 10. Dezember 2018
Es ist bereits absehbar, dass die Zugeständnisse Macrons und der Mitte-Regierung von Premier Édourad Philippe nicht ausreichen werden. Die Forderungen der «Gelbwesten» sind mittlerweile noch weitgehender - sie fordern unter anderem mehr direkte Demokratie. Für kommenden Samstag gibt es bereits neue Aufrufe zu Protesten.
Macron zeigte sich bei seinem Auftritt im Elysée-Palast deutlich selbstkritischer als vor zwei Wochen: Er übernehme für die aktuelle Krise seinen «Teil der Verantwortung», betonte er. Seine Regierung habe sich in den ersten anderthalb Jahren zu sehr auf ihr Reformprogramm konzentriert. Die soziale Ungleichheit habe sich aber in Jahrzehnten entwickelt, betonte Macron: «40 Jahre Not brechen sich Bahn.»
Zudem räumte Macron ein, dass er manche Franzosen mit seinen Äusserungen «verletzt» habe. Der Präsident hatte bei öffentlichen Auftritten wiederholt für Empörung gesorgt – unter anderem, als er einen Arbeitslosen zurechtwies, er müsse «nur über die Strasse gehen» und finde schon einen Job. Reformkritische Bürger hatte er als «widerspenstige Gallier» verspottet.
Die Forderungen der Protestbewegung nannte der Staatschef «legitim». Scharfe Kritik übte er dagegen erneut an der Gewalt bei den Protesten der vergangenen Wochen. Die Wut über soziale Ungleichheit rechtfertige keine Angriffe auf Polizisten oder massive Sachbeschädigung, kritisierte der Präsident. Am Samstag hatte es bei Demonstrationen in Paris und anderen Städten erneut Ausschreitungen gegeben. Es gab zahlreiche Verletzte, die Sachschäden gehen in die Millionenhöhe.
Milliardenschwere Steuer- und Abgabenerleichterungen dürften Frankreich teuer zu stehen kommen. Eigentlich hatten die Franzosen Europa versprochen, die Staatsfinanzen zu sanieren und die Maastrichter Defizitgrenze von drei Prozent der Wirtschaftsleistung dauerhaft einzuhalten.
Frankreich droht nun, die Drei-Prozent-Schwelle erneut nicht einhalten zu können. Bisher sieht die Planung für 2019 ein Haushaltsdefizit von 2,8 Prozent der Wirtschaftsleistung vor. Erstmals seit 2007 lag Frankreich im Jahr 2017 mit einem Wert von 2,6 Prozent unter der Schwelle.
Am Montag halbierte die Banque de France die vorhergesagte Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts für das vierte Quartal. Diese liege nun nur noch bei 0,2 Prozent. Grund dafür seien Auswirkungen der Proteste der «Gelbwesten». «Im November hat die aktuelle Bewegung die industrielle Produktion in verschiedenen Sektoren beeinflusst», hiess es.
Wirtschaftsminister Bruno Le Maire warnte im französischen Sender RTL davor, dass die Proteste auch ausländische Investoren verschrecken könnten. «Ich sehe die Auswirkungen, die das auf Ausländer hat, offensichtlich ist das nicht gut für die Attraktivität unseres Landes», sagte der Minister.
Die Protestbewegung der «Gelbwesten» hatte sich Mitte November angesichts geplanter Steuererhöhungen auf Kraftstoffe formiert. Dieses Vorhaben hat die Mitte-Regierung wegen der wochenlangen Proteste mittlerweile auf Eis gelegt. Die Forderungen der Demonstranten reichten jedoch schnell viel weiter – von Steuersenkungen über mehr Kaufkraft bis zum Rücktritt Macrons. (tam/sda/dpa/afp)