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Frauen der Geschichte

Phoolan Devi, die indische Banditenkönigin

Phoolan Devi (1963–2001).Bild: via roadsandkingdoms
Frauen der Geschichte

Wie sich die indische Banditenkönigin an den Männern rächte

Mit elf Jahren wird das Bauernmädchen Phoolan Devi von ihrem Ehemann vergewaltigt. Ihr Leben lang werden sich Männer an ihr vergehen, stets in Gruppen, Polizisten, Männer ihrer eigenen und höherer Kasten. Doch Phoolan überlebt alles. Die Wut über die Ungerechtigkeit und der Gedanke an Rache lassen sie nicht sterben. 
30.09.2018, 15:1302.10.2018, 06:12
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In welchem Jahr sie geboren ist, weiss Phoolan nicht. Sie weiss nur, dass es am Tag des Blumenfestes war, deshalb hat ihre Mutter sie Phoolan getauft, Blume. Sie hatte drei Schwestern und einen Bruder, von dem man hingegen ganz genau wusste, wann er zur Welt gekommen war. Er musste rechtzeitig zur Schule angemeldet werden. 

Die Mutter klagte oft über die vielen Mädchen, die ihr die Götter bescherten, wenn sie so vor einem Kuhfladen hockte und daraus einen Dungziegel formte. Es war besser Jungen zu kriegen, dann musste die Familie keine Mitgift zahlen. 

Das Dorf war rot wie die Erde, aus der die Bewohner ihre Hütten bauten. Phoolans Familie war arm, sie waren aus der Kaste der Mallah, einer niederen Fischerjati, die zu den Shudra gehört. Sie waren die Knechte und Sklaven der Reichen.

Die klassische Ordnung des Kastensystems gliedert sich in vier Hauptkasten, sogenannte Varnas.
Die klassische Ordnung des Kastensystems gliedert sich in vier Hauptkasten, sogenannte Varnas.bild: via frauenseiten

Sie besassen zwei Kühe und drei alte Khats, geflochtene Liegen, auf denen sie nachts schliefen. Schuhe hatte in ihrer Familie niemand und Phoolans erstes Kleid musste die Mutter aus einem Stück ihres Saris nähen. 

Das Dorf lag am Fluss Nadi, der in die Yamuna fliesst, wo man die Asche der Toten hineinstreute. Der Monsun machte ihn ganz schlammig und braun, manchmal wusch er die Häuser, die zu nah am Ufer standen, einfach weg. Er schwemmte Schlangen ins Dorf, doch Phoolan fürchtete sich nicht vor ihnen. 

Die Yamuna entspringt irgendwo in den Bergen, wo auch die Götter wohnen. Dahinter ist der dunkle Dschungel mit all seinen wilden Tieren. Dort ist die Welt von Phoolan zu Ende. Dort ertrinkt die Sonne jeden Abend im Fluss.

Einmal befahl der Pradhan – das Dorfoberhaupt – die neunjährige Phoolan zu sich. Sie sollte ihm den Kopf massieren. Vor dem hungrigen Mädchen lag ein grosser Haufen Mangos, sie rochen so süss, dass es den Mann fragte, ob es ein kleines Stück davon essen dürfe. Der Pradhan schlug der Kleinen mit seiner Hand so fest ins Gesicht, dass sie auf den Boden fiel und sich vor Schreck ins Kleid machte. Weinend lief sie zu ihrer Mutter, von der sie aber auch nicht mehr als Schläge zu erwarten hoffte.

Doch dieses Mal packte sie ihre Tochter am Arm und schleppte sie zum Pradhan zurück. Sie schrie: «Glauben Sie, wir setzen Kinder in die Welt, nur damit sie Ihre Sklaven sind? Statt sie so zu schlagen, hätten Sie sie einfach töten sollen! Los! Töten Sie sie! Dann wird sie nie mehr um Mangos bitten!»

Dieser Mann lag den ganzen Tag faul auf seinem Khat im Hof und beobachte die Dorfbewohner. Er und seine Söhne fingen die Mädchen ein, wenn sie zu nah am Haus vorübergingen. Manchmal lauerten sie sie am Fluss auf, wenn sie badeten. 

epa06777304 (08/29) Indian women walk towards their villages carrying pots filled with water in Chokka village Rahatgarh, Bundelkhand region, Madhya Pradesh, India, 16 May 2018. Huge stretches of Madh ...
Symbolbild. Das Dorf, in dem Phoolan Devi aufwuchs, heisst Gurha Ka Purwa und befindet sich im nordindischen Bundesstaat Uttar Pradesh.Bild: EPA/EPA

Phoolan verstand noch nicht, warum ihre Mutter sie ermahnte, mit keinem Mann ausser ihrem Vater zu reden. Wenn ein Mann ein Mädchen nehmen würde, ohne es zu heiraten, sagte sie, dann gehöre es allen und es würde nie wieder einen Ehemann finden.

Ein Mädchen existierte nicht ohne Vater, Bruder, Onkel oder Ehemann. Und es konnte nicht einmal ohne Angst vom Dorf zum Fluss gehen.

Phoolans Vater schämte sich für das Auftreten seiner Tochter. Es sei doch ihre Pflicht, dem Pradhan zu dienen. Gott habe die Welt so geschaffen: «Ein Reicher kann dir Befehle geben, er kann dich schlagen und bestrafen, weil er ein Landbesitzer ist, er hat die Macht über unser Leben und über unseren Tod. Er besitzt die Felder und gibt uns Arbeit. Wenn er das nicht täte, würden wir verhungern.»

Stets ging er gebückt, wie ein Sklave.

«Der Schmerz des Hungers im Bauch der Armen erzeugt Angst und Unterwürfigkeit. Ich versuchte mich zu unterwerfen, wie mein Vater es mir gesagt hatte, aber ich konnte es nicht. Ich war wie meine Mutter. Es war zu viel Wut in mir.»

Sie pinkelte auf dem Feld neben dem Dorf, doch um dorthin zu gelangen, musste Phoolan am Haus ihres Onkels Bihari vorbei. Es war aus Zement gebaut und hatte zwei Stockwerke, einen Balkon und einen eigenen Brunnen im Hof. So mussten seine Frauen nicht im Dorf anstehen. Er war schuld, dass Phoolans Familie so arm war, er hatte seinem Bruder Land gestohlen. Er strich einfach das ganze Erbe ein, als der Vater starb. 

Phoolans Vater versuchte gerichtlich gegen ihn vorzugehen, das auf fremden Feldern hart erarbeitete Geld floss in einen Anwalt in Kapi, doch das änderte nichts. Das Gericht verschlang die Rupien wie ein nimmersattes Monstrum und zurück blieb nichts ausser seinem übel riechenden Atem. 

Die Familie blieb arm und der Onkel bestrafte sie bei jeder Gelegenheit. Er hielt sich für etwas Besseres, er tat, als wäre er ein Thakur, ein Grossgrundbesitzer. Fett lag er auf seiner Matte und schlug die armen Dorfbewohner zu seinem Vergnügen. 

«Mir kam es so vor, als sei ich seit meiner Geburt unentwegt geschlagen worden. Jeder Tag meines Lebens bedeutete eine neue Tracht Prügel.»
Phoolan Devi

Phoolans Vater arbeitete als Zimmermann, Maurer und Bauer, aber oft wurde er nicht bezahlt. Einem Mallah war man nichts schuldig. Nicht einmal eine Schale Mehl. 

Als Onkel Bihari starb, sah es für eine kurze Zeit so aus, als würde sein Sohn Mayadin die Familenfehde endlich beilegen. Er sass mit Phoolans Vater beisammen, er grinste und war freundlich. Doch das Grinsen war das eines Diebes. 

In der Nacht wachte Phoolan auf, sie hörte Holz unter den Schlägen einer Axt stöhnen. Sie lief hinaus zum Feld und sah Mayadin auf seinem Karren, wie er ihren Niembaum fällte. Er fällte ihre Zukunft.

Phoolan Devi. 
Phoolan Devi. bild: via phoolan devi, autobiografie

Vom Holz wollte der Vater Phoolans Hochzeit bezahlen. Er selbst hatte den Baum vor vielen Jahren gepflanzt. Er war sein ganzer Besitz. Der Stamm war so dick, dass Phoolan und zwei ihrer Schwestern sich an den Händen halten mussten, um ihn zu umfassen. 

Phoolan schrie ihren Onkel an, sie packte das Seil, an dem der Büffel mit seiner Nase hing. Sie liess nicht mehr los, auch nicht, als ihr das Blut über die Augen zu laufen begann. Mayadin liess die Peitsche immer und immer wieder auf ihren kleinen mutigen Körper sausen. Der Lärm hatte das ganze Dorf aufgeweckt, alle kamen sie herbeigeeilt und schauten zu, wie vier von Mayadins Männern auf Phoolan eindroschen.

Sie lachten. 

Die nächsten vier Tage hatte die Familie nichts zu essen. Also gingen sie eines Abends zu der Stelle, wo zuvor der Niem in den Himmel geragt hatte. Sie setzten sich im Kreis unter den weissen Mond und erinnerten sich an den Duft seiner Blätter. 

Phoolan träumte in diesen Nächten davon, Mayadin die Arme wie Äste abzuhacken. Ihre Stirn glühte so, dass der Vater fürchtete, sie habe Fieber. Doch es war nur die Wut, die in ihr kochte.

Phoolans erste Hölle

Als Phoolan elf Jahre ist, kommen zwei Männer ins Haus. Beide schauen sie lange an, bis der jüngere endlich sagt: «Sie ist geeignet.» Es ist Putti Lal, ein 30-jähriger Witwer aus Maheshpur. Phoolans zukünftiger Albtraum. 

Es widersprach der Sitte, sich eine so junge Frau zu nehmen, also rang man dem Mann das Versprechen ab, Phoolan erst ein paar Jahre später zu sich ins Dorf zu holen.

Doch Putti Lal hielt sich nicht daran. Sofort nach der Hochzeitszeremonie nahm er seine neue Dulhan mit, das Mädchen, das noch viel zu klein war, um zu verstehen. 

«Phoolan, wo versteckst du dich, mein Täubchen?» ruft Putti Lal in den Hof seines Hauses. Er habe ein neues Spiel, das er ihr unbedingt zeigen wolle, aber dafür müssten sie nach drinnen gehen. Und als sie im Zimmer steht, ist er plötzlich nackt. Einen Stock hat er nicht bei sich, also würde sie keine Prügel bekommen, denkt Phoolan. Aber das stimmte nicht. 

«Er begann mich auf eine Weise zu schlagen, wie ich noch nie zuvor geschlagen worden war. Ich konnte vor Schmerzen nicht einmal mehr schreien, als sich die Schlange in mein Fleisch presste. Er schlug mich innendrin. Seine Schlange war zu einem Stock geworden, der sich in meinen Körper frass.»

Er stank wie eine Hyäne und plötzlich spürte Phoolan die Klinge eines Messers an ihrem Bauch. «Ich werde hier ein bisschen aufschneiden, dann geht es leichter.»

Irgendwie schaffte sie es, sich loszureissen, im blutigen Unterkleid rannte sie in einen Hof, schreiend und tobend, bis ein paar Frauen herbeigeeilt kamen. Doch sie beschützten das Mädchen nicht. Es gehörte zu seinem Mann. Und als er kam, um Phoolan an den Haaren nach Hause zu schleifen, tat niemand etwas. In dieser Welt hatte er das Recht, sie zu schlagen. Er hatte das Recht, alles mit ihr zu tun, was ihm beliebte. 

Immer, wenn er sie in seine Folterkammer zog, wurde Phoolan zum Stein. Aber der Stein wurde gerettet. Ein Onkel kam eines Nachts und holte das Mädchen aus der Hölle. 

Eine Weile lebte sie wieder bei ihrer Familie, doch bald tauchte Putti Lal wieder auf und verlangte seine Frau zurück. Es galt als unehrenhaft, wenn eine Frau nicht bei ihrem Gatten wohnte. Phoolan konnte nichts tun, die Mutter war machtlos und ihr Vater zu schwach. 

Inzwischen hatte sich dieses Monster eine zweite Frau zugelegt, die fortan das Schlagen Phoolans übernahm. Sie liess das Mädchen wie eine Sklavin schuften, es schlief im Kuhstall, angebunden an einem Seil, damit sie besser auf Phoolan einprügeln konnte. 

Irgendwann war es Putti Lal selbst, der sie nicht mehr wollte. Im Dorf hatte sich herumgesprochen, dass er sie wie ein Tier behandelte. Also setzte er Phoolan eines Nachts auf sein schwarzes Fahrrad, das er von ihrer Mitgift gekauft hatte, und fuhr sie bis vor ihr Heimatdorf. 

Ein Foto aus einer späteren Zeit; Phoolan hasste es anfangs, wenn Journalisten Bilder von ihr schossen.
Ein Foto aus einer späteren Zeit; Phoolan hasste es anfangs, wenn Journalisten Bilder von ihr schossen.bild: pinterest

Eine Frau ohne Ehemann gehört allen

Phoolan hatte keine Angst mehr. Zu viel hatte sie durchgemacht, die lächerlichen Drohungen der Reichen machten ihr keinen Eindruck mehr. Wenn sie gemeinsamm mit ihrem Vater den ganzen Tag auf einem Feld arbeitete, der Besitzer sich aber weigerte, sie zu bezahlen, wehrte sich Phoolan. Wenn eine Frau ihr den Arm umdrehte, tat sie dasselbe mit ihr. Sie begann zurückzuschlagen. 

«Ich war anders als die anderen Mädchen. Ich konnte es einfach nicht ertragen, geschlagen und gedemütigt zu werden, ohne zu protestieren.»
Phoolan Devi

Sie brachte damit viele Leute in Verlegenheit, Leute, die glaubten, sie stünden über ihr. Über der dreckigen Mallah-Hure, die von ihrem Ehemann verstossen worden war. 

Bald rotteten sich die jungen Männer des Dorfes zusammen, angeführt vom Sohn des Dorfoberhauptes. Es kamen sogar Thakurs aus anderen Dörfern, um ihr nachzustellen. Sie war jetzt ein Mädchen ohne Mann, sie gehörte allen.

Um Mitternacht standen sie im Hof der Familie, der Sohn des Pradhans hatte ein Gewehr in der Hand. Zu zweit vergingen sie sich an Phoolan, während die anderen die Mutter schlugen und sie zwangen, hinzusehen. 

Ein 13-jähriges Mädchen machte mit seiner Aufsässigkeit die mächtigsten Männer des Dorfes so wütend, dass sie es nicht nur vergewaltigten, sondern auch bei der Polizei anzeigten. Mayadin und das Dorfoberhaupt eilten nach Kapi, um den Beamten zu sagen, Phoolan habe sie mit ihrer Bande überfallen und ausgeraubt. Das Mädchen sei eine Dacoit, eine Banditin! 

Als Phoolan den Polizisten ihre Unschuld beweisen will, hören sie gar nicht hin. Sie schlagen und beschimpfen sie nur und werfen sie nackt in eine Zelle. In den folgenden Nächten bringen sie Phoolan immer wieder in einen anderen Raum. Dort setzt sich der fette Polizist mit dem Stuhl auf ihre Hände. Dann drückt sie die Augen fest zu – und wird zum Stein. 

Phoolan wollte sterben. Es waren nicht nur die Handgelenke, die gebrochen waren, und die nie wieder richtig heilen würden. Es war auch nicht die Haut an ihren Waden, die von den schweren Stiefeln wund gerieben war, sodass das rohe Fleisch zu sehen war. 

Von nun an wollten nicht einmal mehr Phoolans Freundinnen mit ihr reden. Sie war zur Paria geworden und die Thakurs erzählten überall herum, sie wäre einzig dazu bestimmt, den Männern Vergnügen zu bereiten. Niemand wollte sie mehr heiraten. Nicht einmal der Leichenbestatter.

Ihr Leben bestand nun darin, sich vor den Männern zu verstecken, sie kletterte auf Bäume und Dächer oder verbarg sich zwischen den Ochsen im Fluss. 

Irgendwann hatte sie genug davon. Sie wollte nicht mehr länger weglaufen. Sie ging zum Haus des Pradhans und brüllte seinen Sohn aus dem Haus. Ihren Vergewaltiger. Zum ersten Mal sprach sie seinen Namen aus. «Suresh», schrie sie, «mach die Tür auf!» Die ganze Familie trat hinaus in den Hof, während Phoolan ihre Drohungen ausstiess. Er solle künftig bei seiner Frau bleiben, sonst würde sie mit einem Gewehr wiederkommen und sie alle töten. 

«Ich hatte keine Angst mehr. Meinen Eltern erklärte ich, die Tochter, die sie gekannt hätten, sei tot.»
Phoolan Devi

Alle glaubten, Phoolan sei verrückt geworden, aber sie hatte nur nichts mehr zu verlieren. Man begann sich vor ihr zu fürchten, sie musste unter dem Schutz eines mächtigen Mannes stehen. Doch Phoolan war ganz allein. Selbst ihr Gewehr war erfunden. 

Phoolan wird zur Banditin 

Bald aber sollte sie eines bekommen. Von echten Dacoits, die sie eines Nachts aus ihrem Dorf entführten. Die Männer kamen in Uniformen und Phoolan betete, dass sie, bevor sie sie töteten, nicht noch vergewaltigten. 

Doch Vickram, der Anführer, beschützte sie. Er war 25 Jahre alt und trug einen buschigen Schnurrbart. Es dauerte eine Weile, bis Phoolan begriff, dass sie Banditen in die Hände gefallen war. Mit ihren finsteren, schmutzigen Gesichtern schleppten sie das Mädchen in den Dschungel. Als sie ihr endlich eine Männerhose und ein Paar Schuhe mit Gummisohlen gaben, waren ihre Füsse schon ganz zerschunden vom nächtelangen Marsch durch den Urwald. 

Der eine, Baboo, war ein Wüstling, Phoolan sah es in seinen Augen. Stets wollte er sich an ihr vergreifen, doch Vickram liess es nicht zu.

«Mein Hass auf die Männer war so gross, dass ich nur noch einen Wunsch hatte: selbst ein Mann zu sein. Ich hasste sie, wollte aber so sein wie sie, wollte ihre Kraft haben und so frei sein wie sie, nicht nur ein Stück Fleisch, mit dem sie nach Herzenslust spielen konnten.»

Wenn die Bande einen Überfall auf ein Dorf machte, ging Baboo umher und schändete die Frauen. Vickram musste ihn loswerden, er schadete seinem Ruf. Die Dacoits waren vom Wohlwollen anderer abhängig, sie brauchten verlässliche Informanten aus den Dörfern und Nahrung. Sie waren keine Horde Vergewaltiger. Sie waren gerechte Rächer, die den Armen das zurückgaben, was ihnen die Reichen genommen hatten.

Eines Nachts verlangte Baboo von Phoolan, sie solle sich zu ihm legen. Vickram nickte ihr zu und es blieb ihr nicht viel übrig, als ihm zu gehorchen. Der Widerling legte sich auf sie, doch plötzlich sackte sein schwerer Körper in sich zusammen und er lag kraftlos auf ihr – wie ein Sack Mehl. Es roch nach versengtem Fleisch. Vickram hatte ihm eine Kugel in den Kopf gejagt.

Auf seiner Leiche hinterliess er eine Nachricht: «Baboo wurde im Namen Phoolan Devis getötet.»

Phoolan Devi bei ihrer Kapitulation im Jahr 1983.
Phoolan Devi bei ihrer Kapitulation im Jahr 1983.bild: pinterest

«Magst du mich?», fragte er sie eines Abends. Noch nie hatte sie das jemand gefragt. Sie wurde ganz rot, während die anderen Männer Vickram anfeuerten: «Behalte sie, schenk ihr Liebe, damit sie all das andere vergisst! Schenk ihr viel Liebe!» 

Sie mochte ihn, aber er war ein Mann und Männer waren für Phoolan Dämonen. Immerhin drängte Vickram sie zu nichts. Er heiratete sie mitten im Urwald und die Banditen schworen, sie wie eine Schwester zu behandeln. Die beiden redeten die ganze Nacht und sie erzählte ihrem neuen Ehemann alles, bis sie erschöpft einschlief.

Bisher war ihr Leben von Befehlen und Beleidigungen bestimmt worden. Jetzt war auf einmal jemand da, der ihr Fragen stellte. Endlich konnte sie den Schmerz ausdrücken, der ihr das Herz zerriss. Wenn es auch kein Augenblick der Liebe war, so war es einer des Friedens. Phoolan fühlte sich sicher. 

Vickram erklärte dem Bauernmädchen, was ein Land ist, dass ihr Land Indien heisst und dass es auf der Welt viele Länder gebe. Bald ertrank auch Phoolans Sonne nicht mehr jeden Abend im Fluss, denn sie wusste jetzt, dass die Erde rund ist, dass sie nirgends einfach aufhört. 

Sie war jetzt 16 Jahre alt und lernte, sich im Dschungel schnell fortzubewegen, den Tieren zuzuhören und sie zu essen. Sie gewöhnte sich an das lange Warten und die Moskitos. Auch das Schiessen brachte Vickram ihr bei. 

Phoolan war jetzt eine Banditin. Sie trug eine alte Polizeiuniform mit zwei Sternen. Und sie kletterte gemeinsam mit ihren Brüdern über die Dächer der Dörfer, sie schoss in die Luft, um die Überfälle anzukünden, während Vickrams feste Stimme durchs Megafon drang: «Die Reichen sind die wahren Feinde der Armen! Wir lassen euch dafür bezahlen!» 

Durga rächt sich

Sie hielten ihn fest und schlugen ihn so hart, wie er sie einst geschlagen hatte. Putti Lal lag vor ihr auf dem Boden und winselte. Dieser Mann, der ihr mit elf Jahren dieses neue Spiel beibrachte, das sich für sie zum grausamen Kampf entwickelt hatte.

Phoolan spürte die Kraft von Durga, der zornigen Göttin, die auf einem Löwen durch die Nacht reitet und mit ihrem Schwert die Dämonen zerhackt. An diesem Tag rächte sie sich für die ganzen Qualen, die dieser Mann ihr zugefügt hatte. Sie schlug auf seine Schlange, sie zertrat sie, bis sie tot war. 

Phoolan Devi identifizierte sich mit der Göttin Durga, der Schutzgöttin der Unterdrückten. Sie symbolisiert die weibliche Urkraft des Universums.
Phoolan Devi identifizierte sich mit der Göttin Durga, der Schutzgöttin der Unterdrückten. Sie symbolisiert die weibliche Urkraft des Universums.bild: poojavidhi

«Das passiert mit allen Männern, die junge Mädchen heiraten!», war die Nachricht, die Vickram auf Putti Lals vor Schmerz bebendem Körper hinterliess.

Die Bande stattete auch Phoolans Heimatdorf einen Besuch ab. Der Pradhan, seine Söhne und Mayadin, sie alle zogen mit ihren einst so hoch getragenen Nasen Furchen in den Boden. Angekrochen kamen sie, um Phoolan ein Blumengewinde umzuhängen. Jetzt, wo sie mit einem Gewehr vor ihnen stand, hatte sie die Macht. Mit ihrer Gegenwart solle sie ihre Häuser rein machen, baten die Männer mit zittrigen Stimmchen. Sie, die dreckige Hure, war jetzt eine Göttin. 

Phoolan hätte Mayadin gerne getötet, aber Vickram verbot es ihr. Mayadins Vater, ihr elender Onkel Bihari, war der Grund, warum ihre Familie so arm war, und sein elender Sohn hatte ihr den Baum gestohlen, und er war es auch, der sie bei der Polizei angeschwärzt und behauptet hatte, sie sei eine Dacoit. Nun, jetzt war sie tatsächlich eine geworden. Aber sie musste ihre ganze Wut auf ihn hinunterschlucken. Man durfte niemanden aus der eigenen Sippe umbringen.

Also wendeten sie sich Mansukh zu. Ein hageres, kurzsichtiges Männchen, das zum ersten Mal in seinem Leben Furcht verspürte. Er war auch einer der Dämonen. Er hatte damals zu den Polizisten gesagt: «Sie ist ein Flittchen, ihr könnt mit ihr machen, was ihr wollt!» Jetzt lag er weinend am Boden und bat um Gnade. Gnade, um die auch Phoolan vor der Polizeistation gebettelt hatte – und die er ihr verwehrt hatte. Sie machte die Augen zu und schoss. 

«Polizeihunde, dies steht euch bevor! Phoolan Devi», lautete dieses Mal die Nachricht. Es dauerte nicht lange, bis auf Phoolan ein Kopfgeld ausgesetzt wurde.

10'000 Rupien waren auf den Kopf von Phoolan Devi ausgesetzt. 
10'000 Rupien waren auf den Kopf von Phoolan Devi ausgesetzt. bild: via roadsandkingdoms

Vickram wird ermordet

Die Banditen redeten Phoolan mit der männlichen Form ihres Namens an. Von nun an war sie Phool Singh, ebenso tapfer wie ihre Brüder. Nur einer war nicht bereit, ihr Respekt zu zollen. Er hiess Shri Ram, ein Thakur. Er hatte Vickram das Dacoit-Dasein gelehrt und war seit kurzem mit seinen Männern zur Bande gestossen.

Ihm war nicht zu trauen, alle sahen es – nur Vickram nicht. In seinen roten Augen tobte dieselbe Gier, die Phoolan schon bei Baboo gesehen hatte. Auch für ihn war sie nur eine dreckige kleine Mallah-Hure.

Shri Ram hasste sie, weil er sie weder vernichten noch einschüchtern konnte. Bis zu dem Tag, an dem er Vickram hinterhältig erschoss. Phoolan lag neben ihm, sie konnte nichts erkennen, sie spürte nur das Blut, das zu ihr herüberlief. Sie musste betäubt worden sein. Schüsse krachten durch die Dunkelheit.

Dann packten sie die bösen Hände Shri Rams. Sie warfen sie nackt in ein Dornengestrüpp und traten sie blutig. Dann schleiften sie Phoolan von Dorf zu Dorf und er rief: «Die kleine Hure hat Vickram getötet! Kommt alle her!» Dann nahm er sie. «Du warst so stolz, du dachtest, du wärst so klug. Jetzt kriegst du das, was du verdienst! Erinnerst du dich jetzt, wohin du gehörst? Du Stück Scheisse!» 

«Ich sah Dinge, die ich nie wieder werde vergessen können. Ich sah eine Unzahl von Gesichtern, und ich war nackt vor ihnen. Dämonen kamen in endloser Folge aus den Feuern der Hölle und vergewaltigten mich.»

Irgendwann wollte sie niemand mehr haben, sie sah tot aus. Phoolan lag im Hof irgendeines Dorfes und sie hörte, wie Shri Ram im Haus Vickrams Tod feierte. Es gehörte einem alten Brahmanen, der nun zu ihr hinaustrat. Er wolle sich auch noch mit ihr vergnügen, sagte er. Doch das war eine Lüge. Dieser alte kraftlose Mann mit dem weissem Haar verhalf Phoolan zur Flucht. 

Als Shri Rams Männer bemerkten, dass sie weg war, übergossen sie den Brahmanen mit Petroleum und zündeten ihn an.

Die Königin der Banditen

Stets hatte Phoolan die Polizei im Nacken. Sie schleppte ihren geschundenen Körper allein durch den Urwald. 

«Ich war 18 Jahre alt und trug überall die Narben von Qualen, die Männer mir zugefügt hatten. Männer, die keine Menschen waren, sondern Ungeheuer.»
Phoolan Devi

Aber Phoolan hatte das Böse der Männer überlebt. Sie war überzeugt, dass das Überleben ihre Bestimmung war. Ihr Durst nach Rache war so gross, dass sie nachts davon aufwachte. 

Bald hatte sie ihre eigene Bande von zehn Männern zusammen. Sie war jetzt die Anführerin. Sie wollte nicht mehr länger Befehle entgegennehmen. Sie suchte sich ihre Gefährten selbst aus – und es durften nur solche sein, die ebenso wie sie Vergeltung üben wollten. 

Durga – hier auf einem Tiger reitend – bekämpft den Büffeldämon Mahisasur, die Verkörperung aller niederen Triebe; Miniaturmalerei aus dem 18. Jahrhundert.
Durga – hier auf einem Tiger reitend – bekämpft den Büffeldämon Mahisasur, die Verkörperung aller niederen Triebe; Miniaturmalerei aus dem 18. Jahrhundert.bild: wikimedia

In einem Dorf wohnte ein reicher Grundbesitzer, bei dem unzählige Bauern veschuldet waren. Für ein paar hundert Rupien nahm er ganzen Familien ihr letztes Hab und Gut. 

«Gib den Armen das Land zurück, das du genommen hast», lautete die Nachricht, die Phoolan ihm schickte. Von Dacoits lasse er sich nichts sagen, war seine Antwort.

Am nächsten Tag kamen an die 50 Männer, auch die enteigneten Bauern hatten sich der Banditenkönigin angeschlossen. Als sie im Hof vor dem Grossgrundbesitzer stand und dem Mann eine Ohrfeige verpasste, meinte er: «Ich habe niemanden geschädigt! Es ist mein Recht!»

Sein Recht. Phoolan zeigte ihm sein Recht. Sie gruben in seinem schönen Garten und bald kamen ganze Töpfe voll mit Gold und Silber zum Vorschein, Schmuck und Eigentumsübertragungen. Phoolan rief mit dem Megafon die Dorfbewohner zu sich. Sie kamen herbeigeeilt und holten sich ihre Habe zurück, die der Mann ihnen genommen hatte. «Lang lebe Phoolan Devi!», riefen sie froh.

Auch die Männer, die Frauen Gewalt antaten, bestrafte sie. Überall, wo Phoolan hinkam, hörte sie von Mädchen, die sich im Brunnen ertränkten, weil sie die Schande nicht ertrugen und man sie wie Huren behandelte. Sie hörte die Klagen von unzähligen Müttern, die ihre Töchter nicht vor den Dämonen zu beschützen vermochten.

Nur Phoolan konnte das. Sie war Durga. Und sie lachte, wenn die Männer wie kastrierte Pferde vor ihr herumsprangen und weinend auf die Knie fielen. 

«Jedes Mal, wenn ich vernahm, wie eine Frau vergewaltigt wurde, zertrat ich die Schlange. Ich verstümmelte sie. Es war meine Rache und die Rache aller Frauen.»
Phoolan Devi

Shri Ram aber blieb ihr eigentliches Ziel. In Behmai verpassten sie den roten Teufel knapp. Durch sein Megafon verspottete er Phoolan und ihre Bande, während er sich feige in den Dschungel zurückzog. Das machte Phoolans Männer so zornig, dass sie im Dorf zu wüten begannen und ein paar Thakurs töteten. 

Es war das Dorf, in das Shri Ram sie geschleppt hatte. Hier war sie geschändet worden. Die Zeitungen schrieben vom «Massaker von Behmai», das die verrückte Banditenkönigin veranstaltet hatte. Einmal hiess es, sie sei schön wie eine Göttin, ein anderes Mal war sie zwei Meter gross und hässlicher als eine Hyäne. 

Phoolan Devi war zur Legende geworden. Nicht nur die Polizei, auch die Armee war nun hinter ihr her. Und Indira Gandhi, die Premierministerin, versprach im Radio, die Banditenkönigin vor Gericht zu stellen. 

Wieder musste Phoolan fliehen, erst von Dorf zu Dorf, wo sie und ihre Männer in Saris gehüllt umherschlichen, während sie an jeder Ecke ein Gewehrlauf erwartete. Oben am Himmel kreisten die Helikopter und warfen ihre Schatten an die Wände. Phoolan rettete sich in den dichten Urwald.

Sie verlor viele ihrer Dacoits. Und allmählich wurden die Überlebenden müde und dachten über Kapitulation nach. «Aatma-Samarpan», nur schon das Wort machte Phoolan wütend. Sie wollte sich nicht ergeben.

Phoolan Devi und Man Singh bei ihrer Kapitulation in Bhind, 1983.
Phoolan Devi und Man Singh bei ihrer Kapitulation in Bhind, 1983.bild: via roadsandkingdoms

Doch dann erhielt sie eine Nachricht von Shri Rams Bruder: «Dein Feind ist tot», liess er ihr ausrichten. Die beiden hatten sich um eine Frau gestritten.

Der rote Teufel war wegen einer Frau gestorben. 

Die Kapitulation

Ihre Männer redeten ihr gut zu, sie könnten gute Bedingungen aushandeln, wenn sie sich ergeben würden. Es kamen Journalisten und Polizisten, sie alle wollten die Banditenkönigin davon überzeugen, sich zu stellen. Irgendwann kam ein Regierungsbeamter, er sei im Auftrag des Ministerpräsidenten da, liess er Phoolan ausrichten. Sie wusste nicht, was ein Ministerpräsident ist. Sie wusste nicht, was Politik ist. Diese ganzen Gespräche überforderten sie. Und doch, am Ende wurden ihre Forderungen von der indischen Regierung genehmigt. 

Die Kapitulation sollte einen Schlussstrich unter Jahre der Gewalt ziehen.
Die Kapitulation sollte einen Schlussstrich unter Jahre der Gewalt ziehen.bild: via phoolan devi, autobiographie

Phoolan verlangte nicht viel: Nicht erhängt zu werden, acht Jahre Gefängnis, die sie gemeinsam mit ihren Männern absitzen wollte, Waffenscheine, Land und Arbeit für ihre Familie. 

Am 12. Februar 1983 war es so weit. Phoolan war nervös, sie wusste nicht, was passieren würde. Alle möglichen Leute waren an diesem Tag nach Bhind gekommen, um die Banditenkönigin zu sehen. Die Journalisten machten unentwegt Fotos. Sie warf mit Steinen nach ihnen. Sie mochte den Rummel nicht. Sie verstand ihn nicht. 

Man sagte ihr, der Ministerpräsident würde gleich kommen. Sie müsse dem Mann ihr Gewehr aushändigen und sich mit aneinandergelegten Handflächen verbeugen. Das war alles?

«Das also war die Kapitulation. Ich hatte mir vorgestellt, ein Brahmane würde ein Mantra aufsagen oder es werde etwas zu essen geben oder ich würde etwas sagen müssen.»
Phoolan Devi

Mit gekämmtem Haar bestieg Phoolan das Podest. 

Phoolan Devi ergibt sich vor einer Zuschauermenge in Bhind.
Phoolan Devi ergibt sich vor einer Zuschauermenge in Bhind.bild: via roadsandkingdoms

Viele Zeitungen schrieben, die Banditenkönigin habe sich wie eine Wildkatze aufgeführt und sei unhöflich gewesen. Wie hätte sie sich sonst auch verhalten sollen. Sie verstand von alledem nichts. Die Kamera, die während der Pressekonferenz auf sie gerichtet war, hielt sie für einen elektrischen Apparat, aus dem tödlicher Strom kam.

Sie kannte die Welt der Dörfer, sie wusste, wie man im Urwald überlebt. Aber das hier, das machte ihr Angst. Phoolan hatte nicht einmal eine Vorstellung davon, was ein Gefängnis ist. Sie dachte, sie müsse da nur zum Schlafen hingehen. 

Elf Jahre Gefängnis

Schnell wurde ihr klar, dass sie dieses dreckige Verlies für eine sehr lange Zeit nicht verlassen würde. Sie sah, wie die Ratten an toten Frauengliedern nagten. Man behandelte die Menschen hier wie Tiere. Einige Male trat Phoolan in Hungerstreik und als sie hörte, dass Indira Gandhi erschossen wurde, weinte sie. 

In Gwalior besuchten sie täglich irgendwelche Leute. Sie zahlten den Wärtern ein paar Rupien, um Phoolan wie im Zoo anschauen zu können. Am schlimmsten waren die Journalisten. Dauernd wollten sie Fotos von Phoolan machen. 

«Da ich mich nie auf Stühle setzte, meinten sie, es sei interessant, mich auf dem Boden hockend aufzunehmen. Interessant! Ich wusste nicht, wie man sonst sitzen sollte.»
Phoolan Devi
Phoolan Devi auf dem Weg ins Gefängnis in Gwalior.
Phoolan Devi auf dem Weg ins Gefängnis in Gwalior.bild: via roadsandkingdoms

Phoolan bekam auch Heiratsanträge. Einer sagte ihr, er wolle der Welt beweisen, dass er Mumm genug habe, mit einer Frau fertig zu werden, die sich als schlecht erwiesen habe. Er möchte gern die Befriedigung spüren, einer Frau wie ihr in der Stunde der Not zu helfen.

Sogar ein Franzose hielt um ihre Hand an. Sie schickte sie alle zum Teufel. Männer waren für sie nach wie vor Dämonen.

«In dem Alter, in dem junge Frauen geduldig auf ihre Männer warten, schwatzend am Feuer sitzen und Chapatis backen, war ich ein Stein im Urwald, ein Stein ohne Gefühle und ohne Reue. Ich war keine Frau mehr. Ein Stein kann keinen Mann heiraten, wenn der Mann es war, der den Stein gemacht hat.»

«Phoolan Devi ist ein Mensch»

Im Februar 1994 wurde sie entlassen.

Viele Menschen hatten das kleine Bauernmädchen erniedrigt und gequält. Später kamen die anderen, die Journalisten und Regisseure, die ihr ihre Geschichte stahlen und sie für ihre Zwecke verfälschten. 

Das war nun alles vorbei. 1996 und 1999 gewann Phoolan einen Sitz im indischen Parlament. Zum ersten Mal konnte sie für sich selbst sprechen. Zum ersten Mal konnte eine Mallah von all den Ungerechtigkeiten erzählen, die sie ein Leben lang erleiden musste.

Phoolan Devi nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis. Zu einem Prozess gegen sie kam es nie, weil so die Misshandlungen der Polizei und die Verfehlungen der Obrigkeit zur Sprache gekommen wären.
Phoolan Devi nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis. Zu einem Prozess gegen sie kam es nie, weil so die Misshandlungen der Polizei und die Verfehlungen der Obrigkeit zur Sprache gekommen wären.bild: via roadsandkingdoms
«Ich wollte beweisen, dass jeder von uns seine Würde hat, ungeachtet der Herkunft, der Kaste, der Hautfarbe oder des Geschlechts. Ich wollte ihnen sagen: Phoolan Devi ist ein Mensch. Denn dann würden sie es auch über andere sagen.»
Phoolan Devi

Am 25. Juli 2001 wird Phoolan Devi vor ihrem Abgeordneten-Bungalow in Delhi erschossen. Drei Männer, fünf Schüsse: drei in ihren Kopf und zwei in ihren Bauch. Der Haupttäter ist Sher Singh Rana. Er wollte den Tod der Thakur-Männer in Behmai rächen.

Nach seiner Flucht aus dem Gefängnis wird er 2014 zu lebenslanger Haft verurteilt. Zwei Jahre später lässt ihn der Oberste Gerichtshof von Delhi auf Kaution frei. 

Heute, 17 Jahre nach Phoolans Ermordung, werden in Indien 106 Vergewaltigungen am Tag gemeldet. Alle 14 Minuten wird eine Frau oder ein Mädchen vergewaltigt. Und das sind nur die Fälle, von denen man weiss. 

Das für den Artikel verwendete Buch
«Phoolan Devi: Ich war die Königin der Banditen. Ein legendäres Leben.»
Phoolan blieb ihr Leben lang Analphabetin und kam dennoch zu ihrer Autobiographie. Der Verleger Bernhard Fixot besuchte sie in ihrem Haus und erklärte ihr, was er vorhabe. Phoolan hatte sich bereits daran gewöhnt, dass man über sie schrieb. Nun aber hatte sie die Chance, ihre Geschichte selbst zu erzählen. Sie sprach sie auf Tonband und zwei Autoren machten sich daran, das Ganze in eine Form zu bringen. Das Buch wurde ihr vorgelesen und sie genehmigte jede Seite mit ihrer Unterschrift – die einzigen Worte, die sie schreiben konnte. 

Die «Top Ten» der gefährlichsten Länder für Frauen

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Die «Top Ten» der gefährlichsten Länder für Frauen
Platz 10: USA
quelle: ap/ap / ted s. warren
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PS: Hiermit verabschiede ich mich wieder einmal in meinen Kreativ-Urlaub, macht's gut ihr Lieben und bis im Dezember.

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47 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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milkdefeater
30.09.2018 15:40registriert Februar 2015
Ich wusste nicht dass diese Frau existierte. Beeindruckend.
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Garp
30.09.2018 16:43registriert August 2018
Das hat mich nun grad ziemlich mitgenommen.

Was für eine Kraft und was für ein tragisches Schicksal.

Danke Anna, packend geschrieben wie immer.
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BigE
30.09.2018 16:47registriert März 2016
Danke für diesen Bericht.
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