Schweiz
Kommentar

Coronavirus: Warum das BAG nicht an allem schuld ist

ARCHIVBILD ZUM UEBERSCHUSS VON 2,9 MILLIARDEN FRANKEN IN DER RECHNUNG DES BUNDES FUER 2018, AM MITTWOCH, 13. FEBRUAR 2019 - The Federal Palace in Berne, Switzerland, pictured in strong winds on March  ...
Die Schweiz ist auch in der Krise ein Bundesstaat. Bundesbern regiert nur sekundär.Bild: KEYSTONE
Kommentar

Die Kritik am BAG ist nur halb berechtigt – das grössere Problem heisst Föderalismus

Das BAG steht seit Wochen in der Kritik. Schuld an den Problemen ist nicht nur eine Behörde – sondern der an sich vernünftige Föderalismus, der zurzeit besser gelebt werden könnte.
18.08.2020, 09:0919.08.2020, 07:38
Mehr «Schweiz»

Vergangenes Wochenende bat mich ein befreundeter chinesischer Journalist, ihm zu erklären, wie die epidemiologische Lage in der Schweiz aussieht. Er habe von «Problemen» gehört und verstehe nicht, wie das in solch einem reichen Land möglich sei.

Er ist nicht der einzige mit diesem Eindruck. Hierzulande scheint vieles im Corona-Containment schief zu laufen. Die Pannenserie ist lang. Es fing an mit dem Maskenstreit, aus einem 109- wurde ein neunjähriges Opfer, zur Quarantäne gabs widersprüchliche Informationen. Der vorläufige Höhepunkt in der Kommunikationskrise war ein unter 30-jähriger Mann, der fälschlicherweise für tot erklärt wurde.

Das BAG-Kader um Stefan Kuster (Leiter Übertragbare Krankheiten) und Pascal Strupler (Direktor) steht seither unter Dauerbeschuss. In ihrer Haut will niemand stecken. Die Kritik am Krisenmanagement des Bundes ist nachvollziehbar. Grund für die Pannenserie ist aber nicht in erster Stelle das BAG, sondern die aktuelle Ausgestaltung des Föderalismus und welche Erwartungen wir an den Staat während einer Pandemie stellen.

Fakt ist: Das Virus, ob in Genf, Zürich oder am Walensee, ist dasselbe. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse gelten im Tessin gleich wie im Berner Jura. Die Probleme eines aufwändigen Contact Tracings nach Superspreading-Events sind dieselben, ob sie im Muotathal oder im Knonaueramt passieren.

Eine Pandemie schreit deshalb nach Koordination: Der Bund sollte Daten zentral sammeln, den Wissenschaftsdialog fördern, die Massnahmen koordinieren und zwecks Akzeptanz angleichen. Und er soll mit gemeinsamer Stimme kommunizieren, damit die Wissenschaft, die Bevölkerung und die Medien nicht bei 26 Kantonen einzeln nachfragen müssen.

So sollte es sein – doch das ist nicht ganz einfach.

Unser Land ist anders aufgebaut und zurecht stolz auf den Föderalismus. Die Kantone sind heute in vielen gesundheitlichen Fragen zuständig für die Bewältigung der Krise – so will es die besondere Lage, die der Bundesrat ausgerufen hat. Der Bund darf nur Verantwortung übernehmen, wenn es die Kantone von ihm verlangen.

Steht das BAG zurecht in der Kritik?

Die Kantone stehen wiederum in der Verantwortung, diese Hilfe zu verlangen und dem Bund klar mitzuteilen, welche Marschrichtung sie wollen. Und das ist bis heute nicht passiert. Stattdessen haben Bund und Kantone eine gegenseitige Erwartungshaltung, in der sie sich Fehler, Verantwortlichkeiten und Kompetenzen gegenseitig zuschieben – und gar Koordinationssitzungen aus zeitlichen Gründen fernbleiben.

So kam es zu Problemen beim Contact Tracing, das von den 26 Kantonen zunächst einfach so verlangt wurde. Einige Kantonen setzten auf Excel-Listen, andere auf die Rückverfolgungs-Spezialsoftware «Sormas».

So kam es, dass Kantone und Bund unterschiedliche Daten zu Ansteckungsorten publizierten, während die wissenschaftliche Taskforce über Datenmangel klagte.

Und so kam es auch, dass der Bund einen unter 30-jährigen Mann fälschlicherweise für tot erklärte, nachdem zuvor der zuständige Kanton Bern auf Anfragen von Medien und des BAG schwieg.

Hätten die Kantone und der Bund früher das Krisenmanagement angesprochen und nach gemeinsamen Lösungen gesucht, stände das BAG heute nicht dermassen in der Kritik. Um das Vertrauen zurück zu gewinnen, braucht es nämlich nicht viel:

Wenn sich der Bundesrat diese Woche mit den Kantonen trifft, dann sollten sie sich diese Punkte auf die Traktandenliste setzen. Die Schweiz sollte eine Vorbildfunktion in der weltweiten Pandemie werden – und nicht im Ausland für Pannenserien bekannt werden.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Schweizer Grossveranstaltungen von Corona betroffen
1 / 12
Schweizer Grossveranstaltungen von Corona betroffen
Ajla Del Ponte, Mujinga Kambundji, Salome Kora und Sarah Atcho an der Weltklasse Zürich 2019 im Letzigrund Stadion. Für dieses Jahr wurden die Finalwettkämpfe die eigentlich am 11. September stattgefunden hätten, bereits abgesagt. Die weltweite Corona-Krise liesse eine Durchführung des Events nicht zu, so die Veranstalter.
quelle: keystone / jean-christophe bott
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Interviewer treibt Trump mit Fakten in die Enge
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
110 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Lienat
18.08.2020 09:29registriert November 2017
Ich bin mit dem Autor einverstanden, dass Föderalismus an sich eine gute Sache ist. Grundsätzlich sollten aber Anliegen, welche landesweit lösbar sind, auch landesweit, d.h. auf Bundesebene oder koordiniert unter den Kantonen, gelöst werden. Das Paradebeispiel sind für mich die feuerpolizeilichen Vorschriften. Ein Feuer brennt nun wirklich in jedem Kanton genau gleich. Also ist es völlig absurd, dass jeder Kanton seine eigenen feuerpolizeilichen Vorschriften erlässt. Diese Mehrspurigkeit verursacht nur Unsicherheiten und Ärger.
40337
Melden
Zum Kommentar
avatar
Meiner Einer
18.08.2020 09:23registriert November 2018
Ich vermisse bei der Umfrage zum BAG die Auswahl "teilweise". Das antiquierte Fax-Meldewesen abzulösen hat das BAG selber verschlafen. Andererseits kann der Bund nichts dafür, wenn die Kantone in der ausserordentlichen Lage nach Selbstbestimmung schreien und dann zurück in der besonderen Lage nicht wissen, was sie mit der Selbstbestimmung anfangen sollen...
35121
Melden
Zum Kommentar
avatar
Der Buchstabe I (Zusammenhang wie Duschvorhang)
18.08.2020 09:33registriert Januar 2020
Bei einer NATIONALEN Kriese sollte halt einfach der BUND das Sagen haben.
32366
Melden
Zum Kommentar
110
Einfach die kuriosesten, hässigsten und lustigsten Wortmeldungen von der UBS-GV

Wir haben heute live von der Generalversammlung der UBS in Basel getickert. Wie erwartet meldeten sich dieses Jahr besonders viele Aktivisten und Aktivistinnen, Politikerinnen und Politiker und natürlich Aktionärinnen und Aktionäre zu Wort. Die Übernahme der Credit Suisse im vergangenen Jahr und die hohen Saläre von CEO Sergio Ermotti, der ganzen Geschäftsführung und auch des Verwaltungsrates sorgten für rote Köpfe und gaben zu reden.

Zur Story