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Die idiotischen Anspielzeiten und die gefährliche Arroganz der Hockeymacher

Zugs Viktor Stalberg gegen Zuerichs Torhueter Lukas Flueeler und Phil Baltisberger (r) im zweiten Eishockey Playoff-Viertelfinalspiel der National League zwischen den ZSC Lions und dem EV Zug, am Dien ...
Die Playoff-Partien wie hier ZSC gegen Zug beginnen alle erst um 20.15 Uhr.Bild: KEYSTONE
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Die idiotischen Anspielzeiten als Zeichen der gefährlichen Arroganz der Hockeymacher

Alle Partien beginnen nun um 20.15 Uhr. Es ist einer der dümmsten und gefährlichsten Entscheide unserer Hockeymacher. Es geht um viel mehr als nur eine halbe Stunde.
15.03.2018, 19:1216.03.2018, 08:49
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Wer will, kann es so sehen: Das Klagen über die um eine halbe Stunde nach hinten verschobenen Anspielzeiten ist Gejammer auf allerhöchstem Niveau. Denn Hand aufs Herz: Was ist eine halbe Stunde gemessen an der Ewigkeit?

Wer es boshaft mag, kann darauf hinweisen, welches Theater es einst um die Rückverschiebung der Anspielzeiten gegeben hat. Schon fast ist vergessen, dass einst die NLA-Spiele traditionell um 20.15 Uhr begonnen haben. Als nun der Spielbeginn in den 1970er-Jahren um eine Viertelstunde auf 20.00 Uhr vorverschoben wurde, brach ein Sturm der Entrüstung los. Geht nicht! Die Zeit reicht nicht mehr, um unter der Woche vom Büro ins Stadion zu gelangen. Oder um rechtzeitig nach dem Melken noch nach Langnau zu kommen.

Die Bieler Fans der Tribune Sud feuern ihre Mannschaft an, im ersten Eishockey Playoff-Viertelfinalspiel der National League zwischen dem HC Biel und dem HC Davos, am Samstag, 10. Maerz 2018, in der T ...
Die Bieler Fans beim Heimspiel gegen den HC Davos.Bild: KEYSTONE

Was wir daraus ersehen: Wir ändern nur ungern unsere Gewohnheiten. Wenn wir uns daran gewöhnt haben, dass ein Spiel um 19.45 Uhr beginnt, dann ärgern wir uns, wenn nun auf einmal alles um eine halbe Stunde verschoben wird. Auch andere Gewohnheiten des Tagesablaufes geraten so durcheinander.

Der Stadionbesuch ist keine «Pflicht» mehr

Der Besuch eines Eishockeyspiels ist ein Teil unseres Freizeitverhaltens. Keine Notwendigkeit. Der «Freizeitmarkt» ist heute so vielfältig wie nie zuvor in der Geschichte unseres Landes. Das führt dazu, dass wir sehr leicht von einer Zerstreuung zur anderen überwechseln können. Oder uns den Besuch im Stadion sparen. Wir können die Spiele ja auch im Fernsehen live erleben.

Der Berner Torlueter Leonardo Genoni, laeuft ein zum ersten Eishockey Playoff-Viertelfinalspiel der National League zwischen dem SC Bern und dem Geneve Servette HC am Samstag, 10. Maerz 2018, in der P ...
Viel Show vor dem Spiel des SC Bern gegen Servette am letzten Samstag.Bild: KEYSTONE

Heute springt ein Kunde viel schneller ab als in den 1970er- oder 1980er-Jahren. Die emotionale Bindung an ein Hockeyteam ist im breiten Publikum viel weniger stark als vor 30 Jahren. Interesse schon. Das Geschehen rund um einen Klub auf allen Kanälen verfolgen auf jeden Fall.

Aber die Pflicht der Wahlfahrt ins Stadion ist nicht mehr so ausgeprägt. Die Notwendigkeit auch nicht. Noch nie hatte ich die Möglichkeit, so viel über «meinen» Sport, das Spiel «meiner» Mannschaft oder das Befinden «meines» Spielers zu erfahren, ohne ins Stadion zu gehen, wie heute. Es braucht nicht mehr viel, um mich dazu zu bringen, eben nicht mehr ins Stadion zu gehen.

Die Verschiebung der Spiele um eine halbe Stunde ist grober Unfug und Ausdruck der Arroganz und Selbstüberschätzung unserer Hockeymacher. Die Ausrede, die TV-Anstalten (in diesem Falle unseres staatstragenden Fernsehens und «MySports») hätten das so diktiert, ist nachgerade lächerlich und zeugt darüber hinaus von miserablen Verhandlungen.

Arroganz und Selbstüberschätzung auf Kosten der Zuschauer

Wer ein Produkt (in diesem Falle unser Hockey) vertritt, für das TV-Anstalten und Vermarkter bereit sind, im Jahr um die 35 Millionen zu bezahlen, befindet sich in einer starken Position – und kann die Anspielzeiten sehr wohl bestimmen.

Zuschauer verfolgen das Geschehen im Eishockey Meisterschaftsspiel der National League zwischen dem EHC Biel und den SCL Tigers, am Samstag, 9. September 2017, in der Tissot Arena in Biel. (KEYSTONE/P ...
Die Zuschauer sind die Opfer der neuen Anspielzeit.Bild: KEYSTONE

Es wäre ein Leichtes gewesen, wenn unsere Hockeymacher (ich will jetzt nicht polemisieren und einzelne Namen nennen) am Verhandlungstisch gesagt hätten: «Ja, okay. Aber leider geht es nicht. Unsere Kunden wollen, dass wir um 19.45 Uhr beginnen. Darauf müssen wir Rücksicht nehmen.» Der TV-Deal wäre deswegen nicht geplatzt und es wäre kein Franken weniger bezahlt worden.

Wir sehen daraus: Unsere Hockeymacher haben in ihrer Arroganz und Selbstüberschätzung bei der Ausarbeitung der TV-Millionen-Verträge gar nicht mehr an ihren wichtigsten Kunden gedacht. An die Zuschauerinnen und Zuschauer.

Am Ende des Tages sind die Männer und Frauen, Buben und Mädchen im Stadion wichtiger als die TV-Anstalten. Denn wo kein Publikum ist, da ist keine TV-Kamera, da ist keine Medienpräsenz, da ist kein Interesse der Werbeindustrie. Ohne Not dieses Publikum durch die Verschiebung der Anspielzeiten zu verärgern, ist eine «Todsünde».

Die Zuschauerzahlen in der National League:

Erst recht in der Schweiz, in einer Kultur, in der Pünktlichkeit und Berechenbarkeit, Arbeit und Verlässlichkeit einen hohen Stellenwert haben. Wenn ich am nächsten Tag zur Arbeit muss, dann spielt es mir eine Rolle, ob ein Spiel um 19.45 Uhr oder erst um 20.15 Uhr beginnt. Dass nun die Partien ausgespielt werden ist hingegen kein Problem: Wenn sich eine Partie bis nach Mitternacht hinziehen sollte, so wird der Erlebniswert die Verspätung bei weitem aufwiegen. Und es ist ja die Unabwägbarkeit des Sportes, die wir lieben, die wir nicht beeinflussen können, die zum späteren Feierabend führt.

Die Werbeindustrie reagiert sensibel, wenn auf einmal weniger Zuschauerinnen und Zuschauer ins Stadion kommen. Nächste Saison ist die Hockey-Kundschaft wieder zu respektieren und die Anspielzeit während der ganzen Saison auf 19.45 Uhr festzusetzen. Für sämtliche Spiele. Egal ob live am Fernsehen oder nicht.

Das Büro steht Kopf, wir sind im Playoff-Fieber:

Video: Angelina Graf

Alle Playoff-Topskorer seit der Saison 2002/03

1 / 21
Alle Playoff-Topskorer seit der Saison 2002/03
Saison 2020/21: Jan Kovar, EV Zug , 13 Spiele, 15 Punkte (1 Tor, 14 Assists)
quelle: keystone / urs flueeler
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24 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Knety
15.03.2018 20:04registriert Mai 2016
„Oder um rechtzeitig nach dem Melken noch nach Langnau zu kommen.“
Langnau durfte natürlich nicht fehlen in diesem Artikel. 😂🤣
1916
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00892-B
15.03.2018 21:09registriert Januar 2018
Eifach öpis, Chlöisu.

"Wenn ich am nächsten Tag zur Arbeit muss, dann spielt es mir eine Rolle, ob ein Spiel um 19.45 Uhr oder erst um 20.15 Uhr beginnt. Dass nun die Partien ausgespielt werden ist hingegen kein Problem: wenn sich eine Partie bis nach Mitternacht hinziehen sollte, so wird der Erlebniswert die Verspätung bei weitem aufwiegen."

Chabis. Gibt es tatsächlich Leute, welche sich über die Abschaffung des Penaltyschiessens und damit verbunden potentiell ewige Spiele freuen und gleichzeitig wegen dieser halben Stunde Spielverschiebung fast ein Temesta brauchen?
14524
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nödganz.klar #161
15.03.2018 20:07registriert Februar 2018
ähm Klaus, ich finde 20:15 voll okay. Zudem fehlen mir die Argumente in dem Beitrag, weshalb nun 19:45 so viel besser ist. Je nach Distanz zum Auswärtsspiel ist man froh, um 30min mehr Zeit... aber das kennt der Bratwurstbürlibier-Heimstadion-Fan halt nicht.
7022
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24
Alles eine Frage der Dosierung – spielen die Refs im Final eine Rolle?
Die Schiedsrichter waren während der Qualifikation meistens gut und berechenbar und während der Playoffs bisher sogar sehr gut. Die grosse Bewährungsprobe folgt ab heute im Final zwischen den ZSC Lions und Lausanne.

Wer eine lose Umfrage über die Qualität der Schiedsrichter macht – am Stammtisch, bei Sportchefs oder Managern –, bekommt in der Regel Antworten, die zwischen «miserabel» und «völlig ungenügend» tendieren. Die Beurteilung wird natürlich stark vom Ausgang des vorangehenden Spiels beeinflusst – alle sind ja mehr oder weniger Sympathisanten eines Klubs und alle gehören halt hin und wieder oder manchmal auch meistens zu den Verlierern.

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