Wie erhalten Fussballer einen Marktwert auf der Fussballdatenbank Transfermarkt? Wie sehr mischen sich da Berater mit ein und wie informieren sich Klubs selbst auf der Seite? Wir haben mit Thomas Lintz, dem Leiter International des Unternehmens gesprochen.
Thomas Lintz, wir staunen immer wieder, wie ihr Fussballern einen Marktwert geben könnt, von dem viele noch nie gehört haben. Mal ehrlich: Dä schätzt ihr einfach, oder?
Thomas Lintz: Auf keinen Fall. Das Ermitteln von Marktwerten ist bei jedem Spieler ein langer Prozess.
Aber ihr habt doch sicher so «Schubladen». Zum Beispiel ein Schweizer Linksverteidiger, 25 Jahre, 100 Ligaeinsätze, keine Länderspiele – der ist dann, sagen wir, 300'000 Franken Wert.
Nein, wir haben weder Schubladen noch Algorithmen oder so. Natürlich nehmen wir vergleichbare Spieler mit in Betracht, wenn ein Marktwert ermittelt wird. Aber Fussballer können nicht mit Autos verglichen werden. Es gibt viel feinere Unterteilungen als nur Modelle. Wir schreiben nicht einfach nur einen Wert rein, damit da mal was steht.
Dann erklären Sie mal den normalen Prozess beim Bestimmen des Marktwertes.
Wichtig ist zu wissen, dass wir mit den Marktwerten nicht versuchen, etwaige Ablösesummen vorherzusagen. Die Marktwerte werden von den Usern und Experten in einem Forum namens Marktwertanalyse diskutiert und vorgeschlagen. Das Forum wird von Moderatoren geleitet, die die Diskussion über die Marktwerte der Spieler begleiten und am Ende auf Basis der eingegangenen Vorschläge einen neuen Marktwert festlegen. Die entstandenen Marktwerte werden anschliessend von der Transfermarkt-Geschäftsführung geprüft und freigegeben.
Okay, aber was spielt da alles mit rein in dieser Analyse?
Viele Aspekte. Unter anderem sind die sportlichen Leistungen und das Alter des Spielers relevant. Ausserdem fliessen die Zukunftsperspektive des Spielers, die real existierende Nachfrage am Transfermarkt oder etwa bisher gezahlte Ablösesummen für den Spieler in die Kalkulation ein. Zudem gibt es Faktoren wie Prestige und marketingtechnische Aspekte, die allesamt Einfluss auf einen Marktwert haben können.
Was muss ich unter «marketingtechnischen Aspekten» verstehen?
Ein gutes Beispiel ist Neymar. Der wechselte für 222 Millionen Euro, seinen Marktwert haben wir aktuell bei 150 Millionen angesetzt. Er hat so etwas wie den «Superstar-Bonus». Man weiss, dass sich Neymar-Trikots gut verkaufen, das nützt dem Verein und ist daher für den Marktwert relevant. Aber Neymars Ablösesumme ist auch ein «Liebhaberpreis». Da gab es einen Scheich, der bereit war, die enorme Summe zu bezahlen. Das übernehmen wir in so einem Fall natürlich nicht 1:1 als Marktwert.
Wie geht ihr eigentlich mit diesen absurden Ablösesummen wie bei Neymar oder Kylian Mbappé um?
Wir versuchen, diese als Teil grösserer Trends, aber eben nicht 1:1 zu berücksichtigen. Da gehören auch die allgemein steigenden Ablösesummen dazu. Darum nochmals: Wir können nicht mit einem Schema arbeiten, sondern es ist für jeden Spieler ein Prozess, der abläuft.
Nochmals zurück zu den Usern und Experten, welche die Marktwerte zusammen diskutieren und bestimmen. Was sind das für Leute?
User kann jeder werden, der sich auf Transfermarkt ein Login erstellt. Die Moderatoren sind meist ehrenamtlich für uns tätig. Am Ende fliessen alle Marktwertvorschläge in unserer Zentrale in Hamburg zusammen, wo wir nochmals einen Blick drauf werfen, bevor sie online gehen.
Spielerberater sind nicht involviert? Die haben doch sicher ein Interesse an hohen Marktwerten ihrer Spieler.
Natürlich versuchen einige Berater, die Werte zu beeinflussen und kontaktieren uns. Wir handeln aber natürlich nicht, nur weil einer das wünscht. Aber: Wir diskutieren auch mit den Beratern gerne und hören uns die Argumente an. Das kann interessant sein und durchaus in Ordnung. Allerdings geht es da meist um Spieler aus kleineren oder unteren Ligen.
Das heisst, ihr besprecht euch mit Beratern?
Wie gesagt: Wir hören uns die Argumente an. Die Frage ist aber auch: Was bringt ihnen ein höherer Wert auf Transfermarkt wirklich? Es wird kaum ein Sportchef eines grösseren Klubs bei uns schauen, was ein Spieler für einen Wert hat und dann ein entsprechendes Angebot machen.
Erhaltet ihr auch Rückmeldungen von Vereinen betreffend Marktwerten?
Immer wieder mal, ja, mal positiv, mal negativ. Uns wurde aber auch schon gesagt, dass Vereine teilweise Informationen über den nächsten Gegner in einem der ersten Schritte auf Transfermarkt einholen. Das betrifft dann zum Beispiel Europa-Leauge-Spiele der ersten Runden. Einen Überblick über den Schlüsselspieler des Teams aus Kasachstan kann man sich sicher verschaffen. Allerdings: Wenn der Schlüsselspieler ein 35-jähriger Routinier ist, wird sein Marktwert nicht hoch sein.
Wie entscheidet ihr eigentlich, wann ihr welchen Spieler anpasst?
Grundsätzlich ist es so vorgesehen, dass eine Liga zweimal im Jahr einem kompletten Marktwert-Update unterzogen werden soll. Einmal in den Sommermonaten, einmal in der Winterpause. Dazwischen (Herbst- bzw. Frühjahrsmonate) werden nur vereinzelte Marktwertänderungen bei aussergewöhnlich formstarken/-schwachen Spielern durchgeführt.
Wenn ein Spieler wie Basels Raoul Petretta durchstartet, kann dies zu schrägen Situationen führen. Der Verteidiger weist bei euch noch einen Marktwert von 100'000 Euro aus (Update 12.7.17). Seither spielte er in der Champions League überzeugend, kommt in der Super League zum Einsatz und ist im Dunstkreis von Italiens U21.
Stimmt, da ist die Differenz aktuell zu gross. Wie gesagt, die neuen Werte für die Schweizer Teams kommen bald. Geplant ist, dass wir in Zukunft auch kleinere Ligen regelmässiger überprüfen. Aber ein zu kurzer Rhythmus macht auch keinen Sinn: Trifft ein Spieler in einer Partie dreimal und sitzt dann wieder auf der Bank, müssten wir wöchentlich neu beurteilen und wären zu grossen Schwankungen ausgesetzt. Zudem würde die Qualität leiden.
Dann sind wir gespannt auf die neuen Einschätzungen. Zum Abschluss doch noch eine Frage zu den Ablösesummen: Da wird ja meist nichts offiziell bekannt. Wie kommt ihr auf eure Werte?
Wo's offiziell ist, ist's einfach. Ansonsten werden ja doch meist Zahlen gehandelt. Mit der Zeit kriegt man ein Gefühl, welchen Quellen man da trauen kann und was stimmen könnte. Transfermarkt funktioniert ja ähnlich wie Wikipedia, da wird laufend angepasst. Um zurück auf Neymar zu kommen: Bei seinem Wechsel von Santos zu Barcelona war die Ablösesumme lange nicht klar. Aber mit all den Enthüllungen in den letzten Monaten wurden die Zahlen da konkret. Dann passen wir das natürlich rückwirkend an.