Kate Losse weiss, wie Mark Zuckerberg tickt – das gehörte quasi zu ihrem Jobprofil. Als ehemalige Redenschreiberin des Facebook-Chefs und eine der ersten Mitarbeiterinnen des sozialen Netzwerks war die Amerikanerin entscheidend am Aufstieg der Firma beteiligt. Seit ihrem Abgang wünschen ihr einige ehemalige Mitarbeiter allerdings einen Platz in der Hölle.
Frau Losse, Sie kennen Facebook wie nur wenige andere. Ist das soziale Netzwerk Fluch oder Segen für die Gesellschaft?
Kate Losse: Weder noch. Ich denke, Menschen zu vernetzen, ist eine gute Sache. Darin ist Facebook spitze. Menschen können darüber ihre Ideen auf der ganzen Welt verbreiten. Doch eines lässt sich nicht abstreiten: Je stärker Facebook gewachsen ist, umso grösser sind die Probleme geworden. Fake News, politische Einflussnahme oder der Datenschutz sind riesige Herausforderungen, die Facebook erst noch lösen muss.
Gerade der Daten-Skandal um Cambridge Analytica hat gezeigt, dass persönliche Informationen nicht sicher sind. Ist es naiv, Facebook zu vertrauen?
Der Fall hat zumindest offengelegt, dass das System missbraucht werden kann. Ich glaube aber, dass Facebook daraus gelernt hat.
Wäre nicht mehr Misstrauen angebracht? In Ihrem Buch erwähnen Sie ein Masterpasswort, über das Facebook-Mitarbeiter Zugang auf jeden Account erhalten. Klingt nicht sehr sicher.
Zu jener Zeit war ein solcher Zugang bei den meisten Webportalen verbreitet und absolut üblich. Dass es heute noch ein Master-Passwort gibt, glaube ich nicht.
Kritik kommt auch vom ehemaligen Whatsapp-Erfinder und von den Co-Gründern des Foto-Netzwerks Instagram. Sie bemängeln die Unternehmensstrategie, insbesondere die viele Werbung und haben mittlerweile gekündigt. Verliert Mark Zuckerberg gerade seine besten Mitarbeiter?
Die Abgänge sind zweifellos einschneidend, gerade Instagram ist für Facebook enorm wichtig geworden. Allerdings kündigen die meisten Gründer von Start-ups, nachdem sie ihre Firma verkauft haben. Die Instagram-Gründer sind sogar verhältnismässig lang geblieben.
Die Jungen nutzen heute lieber Instagram. Hat Facebook die besten Zeiten bereits hinter sich?
Das hängt davon ab, wen man fragt. Menschen, die schon 2007 begeisterte Facebook-Nutzer waren, sind mit den Veränderungen der letzten Jahre vielleicht unzufrieden und wünschen sich die alten Zeiten zurück. Doch neue Features wie beispielsweise der Newsfeed waren für den kommerziellen Erfolg wichtig. Jetzt kommt es darauf an, was Facebook von Instagram lernt. Es wird spannend zu beobachten sein, ob Facebook nun mehr wie Instagram wird, oder ob es sich zu etwas ganz anderem entwickelt.
Mit Fake News und der politischen Werbung, die über Facebook verbreitet werden, steigt auch die soziale Verantwortung. Verdankt Donald Trump seine Wahl zum US-Präsidenten auch Facebook?
Das ist schwierig zu beantworten. Oft wird vergessen, dass politische Werbung auf Facebook nicht verboten ist. Vielen Menschen ist aber nicht bewusst, dass sie personalisierte Informationen erhalten, die ihre Wahl beeinflussen sollen. Sie glauben, die Informationen kämen zufällig und seien eine akkurate Abbildung der Realität.
Liegt es in der Verantwortung der Nutzer, sich über die Algorithmen zu informieren oder sollte Facebook das Vorgehen klarer ausweisen?
Mehr Transparenz wäre sicher hilfreich. Nutzer sollten Klarheit haben, wer hinter einer politischen Empfehlung steht und warum man genau diese Information erhält. Eine gute Idee wäre es auch, wenn die Nutzer ihre Einstellungen so ändern könnten, dass sie mehr Beiträge von politisch Andersdenkenden erhalten. Doch dafür müsste Facebook ein Teil seiner Macht abgeben. Das machen sie im Valley aber nicht gerne.
In Ihrem Buch erwähnen Sie, dass Zuckerberg gerne Sätze wie «Firmen sollten über Länder» von sich gibt. Zeigt das seinen Machthunger?
Ich denke nicht, dass er damit meint, Firmen sollten über der Politik stehen. Er ist kein rücksichtloser Anführer. Er sprach in Meetings auch gerne von Revolution oder darüber, den Markt zu dominieren. Das kann für Nicht-Amerikaner einschüchternd klingen, in den USA sind solche Ausdrücke aber positiv behaftet. Es geht darum, erfolgreich zu sein.
Sie haben eng mit Zuckerberg zusammengearbeitet. Was motivierte ihn?
Mark geht es nicht ums Geld. Seine Vision war es immer, die Menschen zu vernetzen. Das Geld, das er damit verdient, ist für ihn nur ein netter Nebeneffekt. Er will Grenzen einreissen und die Welt verändern.
Was war 2005 Ihre Motivation bei der damals kleinen Firma Facebook anzufangen.
Ich war genauso wie Mark fasziniert davon, Menschen zu vernetzen. Was mir gefiel, war, wie gut organisiert und einfach Facebook aufgebaut war. Dagegen war MySpace (das damals dominante soziale Netzwerk; Anm. d. Red.), ein grosses Durcheinander. Für mich ist diese Unordnung der Grund, warum MySpace nie zu einem Massenphänomen geworden ist. Die Nutzer waren überfordert.
In Ihrem Buch prangern Sie den Sexismus im Silicon Valley an. Wie war es für Sie, als eine der ersten Frauen bei Facebook?
Im Valley gibt es sehr viel maskuline Energie. Der Sexismus, der daraus resultiert, ist allerdings nicht sofort ersichtlich. Bei der #Metoo-Debatte geht es meistens um Übergriffe von Männern auf Frauen. Das sind schlimme Einzelschicksale. Im Valley ist der Sexismus mehr ein strukturelles Problem. Gerade in der Informatik wird den Frauen oft weniger zugetraut. Das habe ich zu Beginn oft festgestellt.
Was raten Sie Frauen, die in einer von Männer dominierten Firma arbeiten?
Es ist wichtig, sich immer bewusst zu machen, dass die eigene Arbeit gleich viel wert ist, wie jene der männlichen Kollegen. Ausserdem sollte man seine Rechte kennen und Unterstützung anfordern, wenn man sie braucht. Ich glaube noch immer, dass man weit kommt, wenn man mit anderen respektvoll umgeht und ihnen zu verstehen gibt, dass man das auch von ihnen erwartet.
Würden Sie gerne wieder in einer grossen Tech-Firma arbeiten?
Es wäre komisch, wieder zu Facebook zurückzukehren, zu jener Firma, die ich als kleines Start-up in Erinnerung habe. Das Schöne an kleinen Unternehmen ist, dass man über den ganzen Geschäftsbereich Bescheid weiss und zu allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einen direkten Draht aufbauen kann. Das ist heute bei Facebook oder anderen grossen Unternehmen kaum mehr möglich.
Zuckerberg wird als möglicher US-Präsidentschaftskandidat gehandelt. Würden Sie ihn wählen?
Über Politik haben wir kaum miteinander gesprochen. Keine Ahnung, ob er als Demokrat oder Republikaner antreten würde. Deshalb kann ich auch nicht sagen, ob ich ihm meine Stimme geben würde.
Sie glauben, dass er für die Republikaner antreten könnte?
Nun, das Silicon Valley ist politisch gespalten. Facebook hat sowohl Geld an die Demokraten als auch an die Republikaner gespendet, zuletzt sogar mehr an die Republikaner. So eindeutig ist die Sache also nicht.
Sie waren Zuckerbergs Ghostwriterin. Was war die grösste Herausforderung?
Das Schwierige war, seine Vision in verständliche Worte zu fassen. Wie kann man den Leuten erklären, dass Facebook die Welt auf eine gute Art und Weise verändern und vernetzen will? Das ist abstrakt und nicht gerade einfach.
Ist Mark Zuckerberg ein guter Redner?
Früher hatte er einen speziellen Stil, alles andere als blumig, ziemlich abstrakt, aber sehr präzis. Er sprach ein bisschen, wie wenn man programmiert. Ich versuchte, seine Reden in diesem Stil zu schreiben. Wenn ich heute wieder einmal eine Rede von ihm höre, merke ich, dass sich sein Stil und sein Vokabular verändert haben. Er versucht nun, nicht nur die Technik-Szene anzusprechen, sondern die breite Öffentlichkeit. Ausserdem scheint er bei einem Auftritt besser vorbereitet zu sein.
Also ist er nicht mehr so authentisch wie früher.
Das würde ich nicht sagen, er hat sich einfach weiterentwickelt.
Für wen würden Sie heute gerne eine Rede schreiben?
Die Politik ändert sich rasend schnell. In den USA streben gerade viele junge Politiker nach oben. Denken Sie nur an die 28-jährige Demokratin Alexandria Ocasio-Cortez aus New York. Oder an die Schauspielerin Cynthia Nixon, ein Star aus der Serie «Sex and the City». Sie wäre spannend. Allerdings ist Nixon gerade als Gouverneurskandidatin gescheitert.
Ist es schwieriger, für das andere Geschlecht zu schreiben, wie Sie es bei Zuckerberg getan haben?
Nein, denn es geht um ein gutes Gehör und die Sprache. Ich habe Mark jahrelang im Büro gehört, ich wusste, wie er spricht, welche Wörter er benutzt. Deshalb war es nicht so schwierig für mich, seine Reden zu schreiben.
Eine unkonventionelle Art zu reden, hat Donald Trump. Wie bewerten Sie ihn aus Sicht einer Redenschreiberin?
Spannend sind für mich die Unterschiede zu seinem Vorgänger. Obama war sehr staatsmännisch, klassisch und hat die Leute erreicht. In den USA gibt es aber auch Menschen, die mit Trumps Art zu reden viel mehr anfangen können. Sie fühlen sich verstanden, gerade weil er nicht staatsmännisch spricht, sondern wie jemand von der Strasse, wie ein Nachbar. Die Stärke eines guten Redners ist es, eine Verbindung zu den Menschen herzustellen und sie zu inspirieren. Das gelingt Trump.
Warum haben Sie 2010 Facebook verlassen?
Ich habe meine Zeit sehr genossen, es war wahrscheinlich der beste Moment, um bei Facebook zu arbeiten. Mir war aber schon 2010 klar, dass der Druck von aussen bald grösser werden wird, dass die Meinung, dass soziale Netzwerke nur Gutes tun und viel Spass bringt, bald zu Ende gehen würde. Doch davon will die Facebook-Kultur am liebsten nichts hören. Das war ein Grund.
Ein Mitarbeiter aus dem PR-Büro von Facebook schrieb Ihnen, nachdem Sie es gewagt hatten, Sheryl Sandberg, die Co-Geschäftsführerin öffentlich zu kritisieren: «Es gibt einen speziellen Ort in der Hölle für Menschen wie dich.» Wie gehen sie mit solchen Anfeindungen um?
Ich habe einen fundierten Artikel über das Thema Feminismus im Silicon Valley geschrieben. Dass Facebook dermassen plump reagiert hat, überrascht mich nicht. Ähnlich fiel doch letzte Woche die Reaktion aus, als ein Whatsapp-Gründer die Firma kritisiert hatte. Die Facebook-Mitarbeiter werden nervös, wenn sie die Kommunikation über die Firma nicht mehr kontrollieren können.
Ist Zuckerberg offen für Kritik?
Fast niemand traut sich, Mark zu kritisieren. Sie müssen verstehen, es geht um Macht. Mark ist auf einem ganz anderen Level angekommen. Er ist mächtiger und reicher als fast jeder andere in den USA – vielleicht sogar der Welt. Es ist nicht so, dass man heute mit ihm in einem Meeting sitzt und sagt: «Ich finde deine Idee schlecht, wir sollten es anders machen.»
Haben Sie das früher getan?
Es gab Momente, in denen ich sagte «das ist keine gute Idee». Da ging es aber nicht um die Ausrichtung der Firma, sondern um kleinere Probleme. Man muss vorsichtig sein, was man kritisiert.
Letzte Frage: Welche Vorurteile von der Schweiz haben sich in Ihrem Besuch hier bestätigt.
Wenn ich mir die Schweiz anschaue, sehe ich das gelobte Land. Ich nehme an, dass es nicht ganz so ist, aber mir scheint, als seien hier tatsächlich alle neutral, höflich und kommen gut miteinander aus. Ganz anders als derzeit in den USA. Für mich als Amerikanerin ist das ein schönes Erlebnis, geradezu eine Erleichterung. (aargauerzeitung.ch)