Mit SwissCovid ist bald Schluss.
Nach dem 1. April verschwindet die App aus den App-Stores von Apple und Google, wie die Herausgeberin, das Bundesamt für Gesundheit (BAG), auf Anfrage bestätigt.
Das Schweizer Proximity-Tracing-System wird gestoppt. Zurück bleiben sehr viele offene Fragen.
Dieser Beitrag versucht, Antworten zu liefern. Doch bevor wir damit beginnen, geht's um dein Smartphone.
Im April, sagt BAG-Sprecherin Katrin Holenstein.
Ob die Verantwortlichen gleich am 1. April den Stecker ziehen werden – und die App aus dem App Store und dem Google Play Store verschwinden lassen, oder ein paar Tage später, spielt keine Rolle mehr.
Nein. Die BAG-Sprecherin schreibt:
Das ist laut BAG noch nicht klar (oder die Verantwortlichen wollen sich nicht in die Karten blicken lassen).
BAG-Sprecherin Katrin Holenstein:
Weil der Bundesrat auf Durchseuchung setzt.
Die BAG-Sprecherin formuliert es so:
Die Schweizer Landesregierung verfügt also (nach Absprache mit den Kantons-Verantwortlichen), dass alle wirksamen Massnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie abgeschafft werden. Und dann wird argumentiert, dass die Warn-App ohne diese Massnahmen nichts mehr bringe.
Nein. Im Gegenteil.
Ja. SwissCovid hat Leben gerettet, dies gilt insbesondere für die Zeit vor der Verfügbarkeit von Impfstoffen.
Unabhängige wissenschaftliche Studien haben einen positiven Effekt belegt. Demnach liessen sich zahlreiche Menschen testen, weil sie per App einen Warnhinweis erhielten. Dadurch wurden Corona-Infektionen frühzeitig erkannt und sehr wahrscheinlich auch viele Ansteckungen verhindert.
Dank Warnungen der App begaben sich Personen mit einem Ansteckungsrisiko etwa einen Tag früher in Quarantäne. Insgesamt hat SwissCovid gemäss Fachleuten einen relevanten Beitrag zur Pandemiebekämpfung geleistet.
Auch in finanzieller Hinsicht hat sich SwissCovid gelohnt: Für Entwicklung und Betrieb werden weniger als 10 Millionen Franken ausgegeben. Zum Vergleich: Corona hat die Schweiz gesamthaft mehr als 30 Milliarden Franken gekostet.
Nein.
Es wäre ein viel grösserer Effekt möglich gewesen. Sofern denn viel mehr Leute die App freiwillig genutzt hätten. Und auch beim Alarmieren von Drittpersonen harzte es aus unbekannten (persönlichen) Gründen: Viele gaben keinen Covidcode ein. Waren sie einfach nur zu bequem?
Die Verantwortlichen beim Bund und in den Kantonen müssen sich die unbequeme Frage stellen, warum sie einen beachtlichen Teil der Schweizer Bevölkerung nicht von den Vorteilen der SwissCovid-App überzeugen konnten.
Mangelte es der nicht-technikaffinen Bevölkerung an Vertrauen, an Information oder an Bildung? Sicher ist, dass schwere kommunikative Fehler (Stichwort «Maskenlüge») für Verunsicherung und Ärger sorgten. Zudem wurde SwissCovid, nachdem die Anfangseuphorie verpufft war, schnell einmal ziemlich stiefmütterlich behandelt seitens BAG und des obersten politischen Verantwortlichen, Bundesrat Alain Berset. An den Medienkonferenzen blieb die App unerwähnt.
Die notorisch tiefe Impfquote zeigte allerdings auch, dass viele Schweizerinnen und Schweizer mitten in einer schweren Krise nicht mit rationalen Argumenten zu überzeugen waren.
Bauchgefühl statt Wissenschaft.
Bund und Kantone patzten beim Bereitstellen und Betreiben der erforderlichen SwissCovid-Infrastruktur. Hier muss von einem phasenweisen Totalversagen gesprochen werden.
Die Koppelung an die kantonalen Contact-Tracing-Systeme führte zu folgenschweren Engpässen. Covidcodes wurden zu spät oder gar nicht zugestellt. Viele User resignierten.
Wegen der unterirdischen mangelhaften Digitalisierung des Schweizer Gesundheitswesens war es nicht möglich, einen automatisierten Datenaustausch zu realisieren. Hier machte sich auch das Fehlen einer sicheren digitalen ID bemerkbar.
So bietet SwissCovid im Gegensatz zur deutschen Corona-Warn-App nicht die Möglichkeit, PCR-Testergebnisse (automatisiert) in der App anzuzeigen. Dabei wäre es zum Beispiel sinnvoll gewesen, bei positivem PCR-Testresultat der betroffenen Person sofort einen Covidcode auszustellen.
Wenn man die Kommunikationsbemühungen des BAG, als Herausgeberin von SwissCovid, betrachtet, dann muss man davon ausgehen, dass die Verantwortlichen wohl schon im zweiten Corona-Jahr quasi kapituliert haben. Sinnbild dafür ist das verwaiste Twitter-Profil @SwissCovid.
Das werden wir sehr wahrscheinlich nie endgültig herausfinden. Aus mehreren Gründen:
* Es ist anzumerken, dass die Distanzschätzung per Bluetooth-Signal aus der Not heraus geboren wurde, weil kein besseres Verfahren zur Verfügung stand. In Zukunft könnte die Ultra-Breitband-Technologie (UWB) eine wichtige Rolle spielen. In einigen der heutigen Top-Smartphones, etwa von Apple und Samsung, ist bereits ein UWB-Chip verbaut, der es ermöglicht, den Abstand zwischen zwei Geräten auf den Millimeter genau zu bestimmen. Damit wäre auch ein sicherer Datenaustausch möglich. Allerdings haben es die Handyhersteller bislang versäumt, die UWB-Technologie konsequent in neue Mobilgeräte zu integrieren.
Die Idee, Mitmenschen freiwillig vor einer möglichen Ansteckung zu warnen und damit dazu beitragen, eine gefährliche Pandemie zu bekämpfen, hat sich bewährt.
Doch bei der technischen Umsetzung eines solchen Systems besteht gewaltiges Verbesserungspotenzial. Die Verantwortlichen beim Bund und in den Kantonen täten gut daran, die richtigen Lehren aus dem föderalismus-bedingten Corona-Daten-Schlamassel zu ziehen. Insbesondere gilt es, die Digitalisierung des Gesundheitswesens flächendeckend, sicher und datenschutzkonform voranzutreiben.
Die nächste Pandemie darf das Land nicht dermassen schlecht vorbereitet treffen. Darum sollte der Bund eine funktionstüchtige Seuchen-App vorbereiten, die auf den Erfahrungen mit SwissCovid und den Zertifikate-Apps aufbaut.
Aus Sicht des watson-Redaktors, der sich seit zwei Jahren intensiv mit Corona-Warn-Apps befasst, wäre es sinnvoll, verschiedene Funktionen (z.B. freiwillige Alarmierung, sichere Verwaltung von Zertifikaten, Buchen von Impfterminen etc.) in eine einzige, vom Staat betriebene App zu packen.
Dies haben etwa Deutschland und England mit Erfolg getan: Eine App, die im Alltag gebraucht wird, gerät nicht so einfach in Vergessenheit, sondern bleibt im öffentlichen Bewusstsein. Zudem können die User bei späteren Updates und durch Benachrichtigungen ermuntert werden, sinnvolle Zusatzfunktionen doch noch freiwillig zu aktivieren («Opt-in»).
Schliesslich gilt es auch noch an die Versäumnisse bei der grenzüberschreitenden Seuchenbekämpfung zu erinnern. Die Schweiz hatte als Nicht-EU-Mitglied massive Probleme, sich ins europäische System einzubringen. Der Bund kapitulierte wohl zu früh bei der sogenannten Interoperabilität: So wurde es von der Politik versäumt, den Datenaustausch mit weiteren Ländern vertraglich zu vereinbaren. Enttäuschendes Fazit: SwissCovid funktioniert weder in Österreich, noch in Italien, sondern nur in Liechtenstein und in Deutschland (und Frankreich blieb mit seiner eigenen App sowieso aussen vor).
Nein. Diese bösartige Bullshit-Behauptung Fehlinformation hat sich hartnäckig gehalten und es war sogar in Medienberichten von Überwachung die Rede.
Wahr ist: SwissCovid ist nach dem Prinzip der Datensparsamkeit konzipiert, wurde vom obersten Datenschützer des Landes für gut befunden und erfüllte auch alle Ansprüche und gesetzlichen Anforderungen bezüglich Datensicherheit.
Weder gab es gravierende technische Pannen, noch wurden seit der Lancierung IT-Sicherheitsprobleme publik.
Der rechtliche Grundrahmen für die Schweizer Covid-App endet gemäss dem heutigen Epidemiengesetz erst am 31. Dezember 2022. Die entsprechenden Verordnungen werden aber «voraussichtlich bereits per Ende März aufgehoben», wie die BAG-Sprecherin schreibt. Der Entscheid dürfte an der Bundesrats-Sitzung vom 30. März gefällt werden.
Konkret geht es um folgende Verordnungen:
Was ist dein persönliches Fazit zu SwissCovid? Was meinst du, hat die Schweiz in der digitalen Seuchenbekämpfung gepunktet, oder war die App ein Schuss in den Ofen?
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