Niemand in Deutschland hat diese Regierung wirklich gewollt. Ausser vielleicht Angela Merkel. Nun dürfte es zu einer Neuauflage der grossen Koalition kommen, nachdem sich CDU und CSU mit der SPD am Mittwochmorgen auf einen Koalitionsvertrag geeinigt haben. Noch muss die SPD-Basis in einer Urabstimmung die GroKo absegnen, was kein Spaziergang werden dürfte.
Die Parteilinke um Juso-Chef Kevin Kühnert wird vehement gegen die schwarz-rote Regierung kämpfen. Sie hoffen auf die rund 20'000 Neumitglieder, die der SPD seit Jahresbeginn beigetreten sind. Die Begeisterung ist bei den Sozialdemokraten ohnehin gering. Zweimal haben sie bereits mit Angela Merkel koaliert, beide Male wurden sie von den Wählern abgestraft.
Wenn die SPD zustimmt, dann in erster Linie aus Angst vor noch grösseren Verlusten im Fall von Neuwahlen. In den Umfragen sitzt der Sozialdemokratie die AfD im Nacken. Aber auch das Verhandlungsergebnis kann sich aus Sicht der SPD durchaus sehen lassen. Sie konnte sich mit dem Aussen- und dem Finanzministerium zwei mächtige Ressorts unter den Nagel reissen.
Die personelle Besetzung erzeugt allerdings wenig Enthusiasmus. Aussenminister soll Martin Schulz werden, der als Kanzlerkandidat erst die Bundestagswahl verbockt und nun sein faktisches Versprechen gebrochen hat, die SPD in die Opposition zu führen. Als Finanzminister ist der Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz vorgesehen, der seit den G20-Krawallen angeschlagen ist.
Das zum «Heimatministerium» aufgewertete Innenressort übernimmt CSU-Chef Horst Seehofer, der aus dem heimatlichen Bayern mehr oder weniger ins ungeliebte Berlin vertrieben wurde. Die grossen Verlierer sind der bisherige Innenminister Thomas de Maizière, der mal als möglicher Merkel-Nachfolger galt, und vor allem der noch amtierende Aussenminister Sigmar Gabriel.
Sein Abgang ist besonders bitter, in den Umfragen ist Gabriel der beliebteste Politiker Deutschlands. Nun hat ihn Martin Schulz aus dem Amt bugsiert und sich damit nach Ansicht der FAZ auch dafür gerächt, dass ihm Sigmar Gabriel im Wahlkampf immer wieder dazwischengefunkt hat. Welche Rolle er in der SPD künftig spielen wird, ist offen, denn auch sein Verhältnis zur designierten neuen Vorsitzenden Andrea Nahles gilt gelinde gesagt als angespannt.
Eine Verliererin ist aber auch die Bundeskanzlerin. In der CDU macht sich laut deutschen Medien Unmut breit über Angela Merkels Konzessionen an die SPD. Vor allem der Verlust des Finanzministeriums wird kritisiert. Der Wirtschaftsflügel der CDU spricht von einem miserablen Verhandlungsergebnis. Man fürchtet eine zu «europafreundliche» Finanzpolitik.
Der Tenor in den Medien ist denn auch verhalten bis klar negativ, in Deutschland wie in der Schweiz. «Deutschland schreitet vorwärts in die Vergangenheit», lästert die NZZ. Sie bezeichnete die abermalige grosse Koalition als «Sackgasse» und verschweigt, dass die FDP eine mögliche und spannende Alternative namens Jamaika-Koalition mit CDU/CSU und Grünen verhindert hat.
Die grosse Koalition – falls die SPD-Basis ihr den Segen gibt – wird ihre Arbeit mit sehr geringen Erwartungen aufnehmen. Und genau das ist ihre Chance. Der Druck ist enorm, nicht einfach den wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands zu verwalten, sondern auch die Zukunft zu gestalten.
Die Voraussetzungen sind gar nicht schlecht. Der Ökonom Marcel Fratzscher bezeichnete das Bekenntnis zu Europa, Digitalisierung und Bildung als «drei grosse Erfolge, die ich für wichtig halte, auch wenn sicherlich viele offene Fragen bleiben». Fratzscher gilt als SPD-nah, er ist sich bewusst, dass Koalitionsverträge nur ein Stück Papier sind.
Die grosse Koalition habe bereits vor vier Jahren Fortschritte in Digitalisierung und für Europa versprochen und nicht geliefert, räumte er im Deutschlandfunk ein: «Jetzt muss sie liefern. Sie hat jetzt eine zweite Chance bekommen und jetzt muss sie wirklich endlich zeigen, dass sie diese Dinge auch umsetzen kann.» Das sei «dringend notwendig», so Fratzscher.
Das Duo Scholz und Schulz kann dem europäischen Einigungsprozess neuen Schub verleihen. Niemand aber ist so sehr zum Erfolg verdammt wie Angela Merkel. Das Image der einst mächtigsten Frau der Welt und Hoffnungsträgerin Europas hat in den letzten Monaten schwer gelitten. Wenn die Kanzlerin ihr «Erbe» retten will, muss sie die Weichen in die richtige Richtung stellen.
Merkels grosse Koalition hat eigentlich keine Chance, und genau darum kann sie es schaffen. Oder vielmehr: Sie muss es schaffen. Sonst droht bei der nächsten Bundestagswahl spätestens 2021 ein Ergebnis, das den Volksparteien keine Freude bereiten wird. Und Europa erst recht nicht.