Den Namen Charlie Kirk kannten bis Mittwochabend in unseren Gefilden nur wenige. In den USA war der 31-jährige Aktivist und Influencer eine prominente Figur der MAGA-Bewegung. Mit seiner Organisation Turning Point USA (TPUSA) konnte er letztes Jahr zahlreiche junge Menschen – vor allem Männer – für die Wahl von Donald Trump mobilisieren.
Auf seinen diversen Kanälen verbreitete Kirk Trump-Propaganda. In einem seiner letzten Einträge behauptete er, die Unterschrift auf dem schlüpfrigen Brief zum 50. Geburtstag des Sexualstraftäters Jeffrey Epstein stamme nicht vom Präsidenten. Gleichzeitig suchte er immer wieder das Streitgespräch mit politischen Gegnern, etwa an Universitäten.
Das dürfte ihm zum Verhängnis geworden sein. Bei einem Auftritt an der Utah Valley University am Mittwoch wurde Charlie Kirk durch einen Schuss in den Hals ermordet. Zwei Personen wurden kurzzeitig verhaftet, aber wieder freigelassen. Der Attentäter, der vermutlich von einem Dach auf Kirk gefeuert hatte, ist nach wie vor flüchtig.
Die Parallelen zum Attentat auf Donald Trump vor einem Jahr bei einem Wahlkampfauftritt in Butler im Bundesstaat Pennsylvania sind offensichtlich, wobei der Schütze damals getötet wurde. Der Präsident äusserte sich erst betroffen über die Ermordung seines Gefolgsmanns. Etwas später im Weissen Haus ging Trump in gewohnter Manier wieder zum Angriff über.
In einer Videobotschaft beschuldigte er die «radikale Linke», mit ihrer Rhetorik zu Kirks Tod beigetragen zu haben. Wobei man das Adjektiv «radikal» wohl streichen könnte. Denn als weitere Beispiele für Gewaltopfer nannte er Republikaner wie den Abgeordneten Steve Scalise, der 2017 schwer verletzt wurde, oder Wirtschaftsführer wie Brian Thompson.
Kein Wort verlor er zum Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 (die Beteiligten sind für ihn «Patrioten», er begnadigte sie am Tag seiner zweiten Vereidigung) oder den jüngsten Attentaten. Erst vor drei Monaten versuchte ein evangelikaler Abtreibungsgegner, im Bundesstaat Minnesota mehrere demokratische Politiker zu erschiessen.
John Hoffman, ein Senator im Parlament von Minnesota, und seine Frau überlebten knapp, die Abgeordnete Melissa Hortman und Ehemann Mark hingegen starben. Der Attentäter wurde nach einer zweitägigen Fahndung gefasst. Präsident Trump äusserte sich bestürzt, doch seine Reaktion war nicht vergleichbar mit jener auf den Tod von Charlie Kirk.
Politische Gewalt traf in den letzten Jahren auch Republikaner wie Scalise, der während eines Baseballtrainings angeschossen wurde. Doch öfter richtete sie sich gegen linke Politiker. So kam es im April zu einem Brandanschlag auf die Residenz von Josh Shapiro, dem demokratischen Gouverneur von Pennsylvania.
Vor drei Jahren wurde Paul Pelosi in seinem Haus in San Francisco mit einem Hammer attackiert und schwer verletzt. Der Angreifer, ein Kanadier mit Hang zu Verschwörungstheorien, hatte es eigentlich auf dessen Ehefrau abgesehen, die demokratische Spitzenpolitikerin Nancy Pelosi, doch sie weilte zum Zeitpunkt des Anschlags in Washington.
Das gravierendste politische Attentat in der jüngeren Geschichte ereignete sich 2011 in Phoenix (Arizona), als ein Attentäter auf eine Gruppe Menschen feuerte, darunter die demokratische Kongressabgeordnete Gabrielle Giffords. Sechs Personen starben, darunter eine Neunjährige und ein Bundesrichter, während Giffords wie durch ein Wunder überlebte.
Seither engagiert sie sich für schärfere Waffengesetze. «Beide Parteien wurden ins Visier genommen, und beide Parteien haben die moralische und patriotische Pflicht, etwas dagegen zu unternehmen, dass Waffengewalt noch mehr Leben kostet», hielt sie am Mittwoch in Anspielung auf die Ermordung der Hortmans und von Charlie Kirk fest.
Dabei weiss Gabrielle Giffords, dass dies Wunschdenken ist. Während die Demokraten seit Jahr und Tag schärfere Waffengesetze fordern, wehren sich die Republikaner konsequent dagegen. Selbst Kirk verteidigte eisern das Recht auf Waffenbesitz. Die damit verbundenen Todesfälle müsse man in Kauf nehmen.
Er hatte wohl nicht damit gerechnet, dass es ihn selbst treffen würde. Dabei sind die USA ein gewalttätiges Land, auch in der Politik. Vier US-Präsidenten wurden mit Schusswaffen ermordet, darunter Abraham Lincoln und John F. Kennedy, die heute als Lichtgestalten verehrt werden. Die beiden anderen Opfer waren James Garfield und William McKinley.
Als besonders übles Jahr ging 1968 in die Geschichte ein. Damals wurden innerhalb weniger Wochen der Präsidentenbruder Bobby Kennedy – der Vater des heutigen Gesundheitsministers – und die Bürgerrechtsikone Martin Luther King erschossen. Die jüngsten Attentate lassen einen Rückfall in diese finstere Zeit befürchten.
Auf Donald Trump gab es 2024 gleich zwei Attentatsversuche. Dennoch tut der Präsident nichts für eine Deeskalation. Er giesst im Gegenteil Öl ins Feuer, etwa wenn er mit dem Einsatz des Militärs in weiteren Städten wie Chicago droht. Oder wenn er die Demokraten für den Mord an einer Frau in einem Bus in Charlotte (North Carolina) verantwortlich macht.
Ob Trump und die Republikaner ebenso empört wären, wenn der Täter nicht schwarz und das Opfer weiss gewesen wären, sondern umgekehrt? Die Frage beantwortet sich fast von selbst. Die Ermordung von Charlie Kirk dürfte dem Präsidenten jedenfalls einen weiteren Vorwand liefern, um die USA in Richtung eines autoritären Staates «umzubauen».
Man muss nicht das Schreckgespenst einer Diktatur heraufbeschwören. Tatsache ist jedoch, dass es kaum Widerstand gegen Trumps autokratische Reflexe gibt, auch nicht vom Obersten Gerichtshof. Dieser erklärte diese Woche «Racial Profiling» bei der Fahndung der Einwanderungsbehörde ICE nach papierlosen Migranten – vorab Latinos – für zulässig.
Es sind in mancher Hinsicht gefährliche Zeiten in Amerika. Noch ist unklar, welches Motiv der Schütze hatte, der Charlie Kirk getötet hat. Doch in einem derart polarisierten Land mit einem Möchtegern-Diktator an der Spitze wird es weitere Fälle politischer Gewalt geben.
Genau. Das Land spalten und einen Bürgerkrieg anzetteln.
Als Präsident gäbe es da genau einen einzigen Job... einen und beruhigen.
Aber er hat überall nur miserable Ergebnisse.
Divided States of America.