Im Schlussspurt der Austrittsverhandlungen mit der EU hat die britische Premierministerin Theresa May den immer lauter werdenden Forderungen in ihrem Land nach einem zweiten Brexit-Referendum eine klare Absage erteilt. «Die Frage noch mal komplett neu zu stellen wäre ein Betrug im grossen Stil an unserer Demokratie», schrieb May in einem Gastbeitrag im «Sunday Telegraph».
Zuletzt hatten sich selbst Abgeordnete aus Mays Konservativer Partei für ein erneutes Referendum ausgesprochen, sollte das britische Parlament das Ergebnis der Austrittsverhandlungen mit Brüssel ablehnen. Eine Gruppe pro-europäischer Oppositionspolitiker versucht, das Thema beim Labour-Parteitag Ende September auf die Tagesordnung zu bringen.
Bislang lehnen die Spitzen beider grosser Parteien eine zweite Volksabstimmung grundsätzlich ab. Umfragen deuten aber darauf hin, dass es in der Bevölkerung unter Umständen eine Mehrheit für ein weiteres Referendum geben könnte.
Bislang ist nicht einmal klar, ob rechtzeitig bis zum EU-Austritt am 29. März 2019 ein Abkommen zustande kommt, über das abgestimmt werden könnte. Die Verhandlungen gehen nur schleppend voran. Damit droht ein Austritt ohne Abkommen – mit schwerwiegenden Konsequenzen.
Das Austrittsdatum noch einmal zu verschieben, kommt für den EU-Chefunterhändler Michel Barnier aber nicht in Frage. «Wir brauchen nicht mehr Zeit. Was wir brauchen, sind politische Entscheidungen», sagte der frühere französische Aussenminister und EU-Kommissar der «Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung». Die Gespräche müssten bis Mitte November abgeschlossen werden.
Ursprünglich hatten beide Seiten eine Einigung bis zum regulären Europäischen Rat Mitte Oktober angestrebt, damit genug Zeit bleibt, ein Abkommen zu ratifizieren. Werden die Gespräche bis Mitte November verlängert, wird ein EU-Sondergipfel nötig, damit das Abkommen termingerecht wirksam wird.
Sollte Grossbritannien ohne Abkommen ausscheiden, würden für den Warenverkehr von und nach Grossbritannien Zölle anfallen. Die Kontrollen könnten den Grenzverkehr am Ärmelkanal lahmlegen.
Besonders heikel wären Schlagbäume zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Republik Irland. Die Spannungen in der Ex-Bürgerkriegsregion könnten wieder aufflammen. Auch die rechtlichen Grundlagen zum Beispiel für Flüge zwischen Grossbritannien und dem Kontinent oder die Auszahlung privater Renten würden wegfallen.
Barnier forderte Unternehmen in der EU auf, ihre Vorbereitungen auf den Brexit zu beschleunigen, einen geordneten wie einen ungeordneten. «Im Transportsektor und bei den Wertschöpfungsketten zwischen dem Vereinigten Königreich und der restlichen Europäischen Union muss noch mehr getan werden.»
Auch May betonte, es sei wichtig, für einen Brexit ohne Abkommen Vorsorge zu treffen. Dennoch sei sie optimistisch, dass es auf Grundlage der britischen Vorschläge zu einer Einigung kommen werde. «Wir wollen mit einem guten Abkommen austreten und wir sind zuversichtlich, dass wir eines erreichen können», schrieb sie im «Sunday Telegraph».
Die britische Regierung fordert ein für ihr Land massgeschneidertes Abkommen mit privilegiertem Zugang zum EU-Binnenmarkt für einzelne Branchen. Für Brüssel ist nur ein herkömmliches Freihandelsabkommen denkbar.
Barnier erklärte, die Briten hätten die Wahl, nach dem Vorbild Norwegens in der Zollunion zu bleiben. Sie müssten dann aber auch alle damit verbundenen Regeln und Beitragszahlungen übernehmen. Eine Zollunion würde die Probleme mit der Nordirland-Grenze und dem Kontrollaufwand an den Grenzen lösen.
May machte deutlich, sie werde bei ihrem Plan keine Kompromisse eingehen, die nicht im nationalen Interesse ihres Landes lägen. Der auf dem Landsitz Chequers von ihrem Kabinett vereinbarte Plan sei «ein guter Deal für Grossbritannien». May betonte in dem Beitrag, die kommenden Monate seien entscheidend für die Zukunft des Landes. Sie räumte ein, dass noch viel zu verhandeln sei. (wst/sda/dpa)