Ich bin einer von ihnen. Ein weisser, heterosexueller, nicht mehr ganz junger Mann. Damit gehöre ich zu jener Ausprägung der Gattung Homo Sapiens, die so ziemlich alles auf diesem Planeten verbockt hat. Seit einiger Zeit ist eine eigentliche Kampagne gegen den «alten weissen Mann» im Gang, geführt vorab von Feministinnen, aber auch von Männern, die sich für aufgeklärt halten.
Richtig Fahrt aufgenommen hat sie mit der #MeToo-Bewegung und seither so ziemlich alle gesellschaftlichen Bereiche erfasst: Politik, Wirtschaft, Kultur. Es ist nicht falsch: Wo man hinschaut, geben ältere weisse Männer den Ton an. Frauen und Angehörige von Minderheiten haben es nach wie vor schwer, sich durchzusetzen. Ist der Backlash dadurch gerechtfertigt?
Für die «Süddeutsche Zeitung» ist «alter weisser Mann» vor allem ein Slogan, «eine Chiffre für Rassismus, Patriarchat und Sexismus». Aber auch für Eurozentrismus und Imperialismus, sogar für Aufklärung, Idealismus und Rationalismus. «Er meint alles, was irgendjemandem schon einmal auf die Nerven gegangen ist und bietet damit Potenzial. Kaum ein Missstand, der sich nicht durch ihn begründen liesse.»
Das gilt für #OscarsSoWhite wie für Jubiläen. Als Zürich diese Woche den 200. Geburtstag von Alfred Escher feierte, dem «Gründervater» der modernen Schweiz, blieben die Einwände nicht aus. «Wenn man Escher als Pionier feiert, ist das die klassische Geschichtsschreibung der grossen weissen Männer», monierte der ETH-Historiker Bernhard C. Schär im «Tages-Anzeiger».
Durch Escher sei die Schweiz eingebunden worden «in die damalige Weltwirtschaft, die wesentlich auf Kolonialismus, Sklaverei und Zwangsarbeit beruhte», so Schär weiter. Missstände, für die Männer wie Alfred Escher verantwortlich waren. Schön und gut. Nur wird eine solche Sichtweise der komplexen Persönlichkeit des freisinnigen Multitalents in keinster Weise gerecht.
Und wie konsequent sind diese Feminist*innen in ihrem Kampf gegen die «Old White Guys»? Nicht besonders, wenn man ein anderes Ereignis dieser Woche betrachtet. Bernie Sanders will es noch einmal wissen. Der parteilose Senator will 2020 für die Demokraten als Präsidentschaftskandidat antreten. Bei seiner ersten Bewerbung 2016 hat er vor allem junge Amerikaner inspiriert.
Sanders ist aber auch 77 Jahre alt, weiss und ziemlich wohlhabend. Und er attackiert mit seiner Kandidatur nicht mehr die in mancher Hinsicht problematische Hillary Clinton, sondern eine ganze Reihe hochqualifizierter Frauen, die ähnliche Positionen vertreten: Elizabeth Warren, Kamala Harris, Kirsten Gillibrand, Amy Klobuchar. Feminist*innen müssten vor Wut schäumen.
Was aber findet man? Zum Beispiel diesen Tweet der Vorsitzenden der Sozialistischen Jugend in Österreich:
Gute Nachricht des Tages: Bernie Sanders hat innerhalb der ersten 24h 6 Millionen Dollar an Spenden eingenommen #feeltheburn #OurRevolution
— Julia Herr (@frauherr) 20. Februar 2019
Frau Herr mag nicht repräsentativ sein. Sie ist aber nicht allein. Auch in den USA melden sich Frauen, die Sanders unterstützen, obwohl er einer der alten weissen Männer ist.
Go on, call my feminist ass a Bernie Bro. Tell me I’m a bad woman for supporting the candidate whose platform I prefer and whose stances on my rights as a member of the LGBTQ community never needed to evolve because he always was with us. #BernieSanders
— cait (@thecaitiedays) February 19, 2019
Natürlich gibt es auch Gegenstimmen, die keineswegs erfreut sind:
Sorry Bernie. Even though I agree with you on most of your platform. I’m tired of old white men running our country.
— Kate (@Katemay100) February 21, 2019
Für die Rechten ist seine Kandidatur ein gefundenes Fressen. Und man hat Mühe, ihnen zu widersprechen:
Typical left wing: OLD WHITE MEN ARE THE PROBLEM! WE NEED TO TAKE THEM DOWN! THEY ARE HOLDING US BACK!
— Libertarian Thought🇺🇸 (@LibertyThought) February 21, 2019
Also typical left wing: @BernieSanders IS THE BEST CANDIDATE HE IS GOING TO SAVE THIS COUNTRY AND SEND US INTO OUR SOCIALIST FUTURE!
Bernie Sanders hat seine Verdienste. Seine vor vier Jahren als extrem betrachteten Forderungen sind in den Mainstream vorgedrungen. Die erneute Bewerbung für das Weisse Haus aber ist nichts als ein Egotrip. Vor allem ist sie mustergültig für das verpönte Verhalten der alten weissen Männer. Wenn Frauen diesem Möchtegern-Ladykiller applaudieren, disqualifizieren sie sich selbst.
Es ist ein Grundproblem derartiger Kampagnen, dass irgendwann ihre Doppelmoral auffliegt. Auch die «Süddeutsche Zeitung» stellt sich die Frage, ob es sich beim Kampfbegriff «alter weisser Mann» am Ende «um einen kleinmütigen und etwas boshaften Slogan handelt». Eine Utopie, ein inspirierendes Gegenmodell zum Bestehenden deute er eher nicht an.
Der Verfasser des Essays ist natürlich ein Mann. Recht hat er trotzdem. Wenn Frauen bei einem alten Knacker wie Bernie Sanders ihre feministischen Prinzipien über Bord werfen, kann man sich als nicht mehr ganz junger weisser Mann beruhigt zurücklehnen.