Die Hauptakteure der ausländischen Parteien, die in Syrien Krieg führen, sind Gas-Exporteure mit Interessen in einem von zwei umkämpften Pipeline-Projekten. Dabei geht es um die Ausbeute der weltgrössten Erdgasreserven, nämlich des Gasfeldes South Pars/North Dome, welches auf dem Grund des Persischen Golfs liegt und zum Teil dem Iran, zum Teil Katar gehört. Beide Länder begannen 1989 mit der Förderung.
2009 schlug Katar vor, eine Pipeline zu bauen, die Erdgas durch Saudiarabien, Jordanien und Syrien in die Türkei und nach Europa bringen sollte (siehe Karte). Es galt, hohe Produktions- und Verschiffungskosten zu senken und katarisches Gas auf dem europäischen Markt konkurrenzfähiger zu machen. Die westlichen Industrieländer unterstützen dieses Projekt mit der Absicht, Russlands Position im Energiesektor zu schwächen und die europäische Abhängigkeit von russischem Gas zu vermindern.
Russland versuchte, dies zu verhindern. Moskau machte sich stark für ein Konkurrenzprojekt, welches eine Pipeline vorsah, in der iranisches Gas durch den Irak und Syrien nach Latakia und weiter nach Europa gepumpt werden sollte. Die Russen sahen in einem Deal mit Iran und ihrem engen Verbündeten Syrien offensichtlich grössere Chancen für Einfluss auf die Preise, aber auch für die Vermarktung von Vorkommen am Kaspischen Meer und in Zentralasien.
Dieses Szenario beschreibt Mitchell Orenstein im vergangenen Oktober in «Foreign Affairs», einem der renommiertesten Hefte zur amerikanischen Aussenpolitik. Orenstein hat einen Lehrstuhl für Osteuropäische Politik an der University of Pennsylvania.
Assad weigerte sich, beim Katar-Pipeline-Projekt mitzumachen.
schreibt Orenstein. Assad ging schliesslich ein auf den Deal mit Iran. Im Juli 2011 wurde ein 10-Milliarden-Dollar-Projekt für eine Pipeline vom Iran durch den Irak und Syrien angekündigt, im Juli 2012 kam es zur Unterzeichnung des Abkommens.
Doch zu diesem Zeitpunkt hatte der sogenannte arabische Frühling die Verhältnisse im Nahen Osten bereits ins Schleudern gebracht. Fest steht, dass Katar bereits 2011 begonnen hatte, einen bewaffneten Aufstand zu finanzieren, um Assad zu stürzen, und dass mindestens Grossbritannien, USA, Frankreich und die Türkei in diese Pläne eingeweiht waren und sie unterstützten.
Selbstverständlich kann dies nicht monokausal auf den Konflikt um Pipelines und Erdgasvermarktung zurückgeführt werden. Der Pipeline-Streit war wohl nicht mehr als ein gewichtiger Faktor unter vielen, die Syrien in den Krieg trieben. Auch aus Saudiarabien flossen hohe Summen in den Aufbau von bewaffneten Einheiten. Die Strategie war, Syrien durch Terror zu destabilisieren, um einen Regimewechsel zu erreichen. Die Saudis schmiedeten seit langem Pläne zum Sturz Assads, weil sie den iranisch-schiitischen Einfluss in der Region eindämmen und die Achse Teheran-Damaskus-Hisbollah demontieren wollten.
Eine Schlüsselrolle spielte von Anfang an das NATO-Land Türkei. Man kann davon ausgehen, dass Präsident Erdogan sich von einer Pipeline durch die Türkei hohe Einnahmen an Transitgebühren ausrechnete, und dass er hoffte, die Abhängigkeit von russischen Energielieferungen zu mindern. Das mag einer der Gründe sein, warum er geradezu fanatisch den Sturz der Regierung Assad betrieben hat.
Die Türkei war ab 2011 Transitland und Transportdrehscheibe, über die Waffen und Kombattanten nach Syrien eingeschleust wurden. Das wird zwar von Ankara offiziell dementiert, doch die Beweise für die Zusammenarbeit türkischer Militärs und türkischer Geheimdienstleute mit radikal-islamischen Milizen in Syrien sind erdrückend. Sorgfältig dokumentierte Studien über diese Zusammenarbeit wurden zum Beispiel vorgelegt von Nafeez M. Ahmed, einem britischen Journalisten, der an der Sussex University lehrte und für den «Guardian» schrieb. Er berichtet, dass die Türkei dem sogenannten «Islamischen Staat» («IS») Öl abkauft und so für eine wichtige Einnahmequelle der Gotteskrieger sorgt. Den Wert der Öleinkäufe schätzt Ahmed laut zuverlässigen Quellen auf bislang rund eine Milliarde Dollar.
Die Regierung Barack Obama und ihre westlichen Alliierten waren zu einem sehr frühen Zeitpunkt des Konfliktes genauestens orientiert über den Terror dschihadistischer Milizen in Syrien. Wer die offiziellen Verlautbarungen des amerikanischen Aussenministeriums aufmerksam studiert, stösst zum Beispiel am 11. Dezember 2012 auf einen Pressetext, in dem es heisst, dass bereits im Jahr 2011 Terrorgruppen in Syrien operierten. Eine dieser Gruppen, die al-Nusra-Front, habe allein seit November 2011 die Verantwortung für 600 Angriffe übernommen. Im Wortlaut:
In derselben Pressemitteilung werden eine Reihe von radikal-islamischen Gruppen in Syrien aufgezählt, die per Executive Order zur Liste der «Foreign Terrorist Organizations» hinzugefügt werden.
Wenn dort festgestellt wurde, dass bewaffnete Extremisten seit November 2011 in Syrien operierten, dann heisst das nicht, dass sie im November 2011 vom Himmel gefallen wären. Wer auch nur rudimentäre Kenntnisse von Insurgency-Operationen hat, der weiss, dass es Monate wenn nicht Jahre dauert, bis eine aufständische Truppe rekrutiert, bewaffnet und ausgebildet ist. Es dauert nochmals geraume Zeit, bis sie Stützpunkte und Nachschubwege aufgebaut hat und in ihrem Operationsgebiet funktioniert. Es kann also kein Zweifel bestehen, dass die gezielte militärische Destabilisierung Syriens bereits 2011 in vollem Gange war, als in westlichen Medien noch täglich die Erzählung wiederholt wurde, Assad bombardiere friedliche Demonstranten.
Laut Mitchell A. Orenstein finanzierte allein Katar aufständische Milizen in Syrien von 2011 bis 2013 mit etwa drei Milliarden Dollar. Es bot jedem Deserteur der syrischen Armee überdies 50'000 Dollar Belohnung. Die amerikanische CIA trainierte «Rebellen» im US-Stützpunkt in Katar, und der katarische TV-Sender al-Djazeera verbreitete die Stimmen der syrischen Opposition.
Selbstverständlich wurden die Kämpfe nicht nur von aussen nach Syrien getragen, sondern es gab interne, historisch gewachsene Konflikte zwischen dem Machtgeflecht um Baschar al-Assad und vielfältigen oppositionellen Gruppen, Clans und Stammesführern. Früheres Unrecht und alter Hass zwischen ethnisch-religiösen Gruppen sind im Spiel. Der politische Tsunami des arabischen Frühlings war der Katalysator, der diese Konflikte zum Ausbruch brachte. Die Moslembrüder hatten nicht vergessen, dass die syrischen Streitkräfte 1982 ihren Aufstand in Hama blutig niedergeschlagen hatten. Eine Facebook-Seite unter dem Namen «Syrische Revolution 2011» war seit Anfang des Jahres 2011 aktiviert. Kaum jemand wusste, dass sie von Schweden aus eingerichtet worden war: von Leuten der in Syrien verbotenen Moslembruderschaft. (Vgl. Karin Leukefeld: Flächenbrand. Köln 2015. S.15)
Es gab Demonstrationen in verschiedenen Landesteilen, die von Polizei und Geheimdienstleuten im Keim erstickt wurden. Und es gab wirtschaftlich vernachlässigte und verelendete Randgruppen, die nur darauf warteten, sich dem Ruf zum Aufstand anzuschliessen, der in vielen Moscheen ertönte. Bei all dem taktierte Assad zwischen Repression und Reformangeboten. Repression war Wasser auf die Propaganda-Mühlen der Opposition, Reformangebote wurden dagegen von der bewaffneten Opposition in Bausch und Bogen abgelehnt.
Wenn die Lage innert Kürze zu einem blutigen Bürgerkrieg eskalierte, dann lag das daran, dass die Regierung in Damaskus keinen anderen Ausweg mehr sah, als den Terrorgruppen mit massiven militärischen Schlägen zu begegnen. Damit tat sie genau das, was diese Gruppen beabsichtigt hatten. Der Plan war aufgegangen. Die Opposition konnte der Weltöffentlichkeit ein Regime vorführen, welches mit Artillerie und Luftwaffe ganze Stadtviertel unter Feuer nahm.
Die öffentliche Wahrnehmung des Syrien-Konfliktes in westlichen Medien ist die Geschichte einer grossen Illusion und Desillusion namens arabischer Frühling. Es ist auch die Geschichte massiver Falschinformationen. Als der Konflikt im März/April 2011 ins Blickfeld der grossen Medien geriet, liessen die Gegner des Assad-Clans kein Mittel unversucht, um eine Wiederholung des Szenarios zu erreichen, das in Libyen zum Sturz Gaddafis geführt hatte.
«Ein Volk erhebt sich gegen den Tyrannen» so hiess die Propaganda-Parole. Ein Diktator massakriere unbewaffnete Demonstranten, so verlautete aus Washington, Paris, London, Riad und Ankara. So tönte es täglich auf allen Fernsehkanälen, und so konnte man es in grossen Tageszeitungen lesen. Es gab wohl keinen Radio-Moderator, keine Fernsehmoderatorin, die nicht den in Libyen erprobten Textbaustein «Der Diktator schiesst auf sein eigenes Volk» im Repertoire hatte. Im Sommer 2011 metastasierte die Story von der Unterdrückung friedlicher Oppositioneller zu einem wahren Medien-Taifun. Amnesty International forderte, das syrische Regime müsse vor den Internationalen Gerichtshof in den Haag gebracht werden, weil es versuche, «friedliche Proteste durch den Einsatz von Panzern und scharfer Munition zu ersticken.»
Das syrische Staatsfernsehen zeigte indessen niedergebrannte Gerichtsgebäude, die Ruinen von gesprengten Polizeistationen und Telefonzentralen, zeigte Bilder von Massenexekutionen in Dörfern, die in die Hand der Aufständischen gefallen waren. Es gab systematische Vertreibungen in Regionen, die von Schiiten, Alawiten oder mutmasslichen Sympathisanten Assads bewohnt waren. Wissenschafter, Ärzte, Ingenieure, Offiziere, Gemeindesvorsteher, die irgendwie in Verbindung mit der Regierung standen, wurden bedroht, vertrieben, ermordet.
In der westlichen Presse wurde all dies zunächst als billige Propagandalüge der syrischen Regierung betrachtet. «Das Regime behauptet, es sei Opfer einer Aggression radikal-islamischer Terroristen», war der Standard-Satz in Radio und Fernsehen. Doch bald kamen Zweifel auf. Dieselben Medien, die die «Rebellen» als heroische Kämpfer für Freiheit und Demokratie dargestellt hatten, gerieten in Erklärungsnotstand, als nach und nach bekannt wurde, dass in Syrien mehr als tausend verschiedene bewaffnete Gruppen operierten, viele von ihnen im Dunstkreis von al-Kaida. Es gab alle Sorten von Kombattanten, von simplen Kriminellen bis hin zu Kopfabschneidern, die sich auf den Koran beriefen und ihre Videos ins Internet stellten.
Die langjährige Nahost-Korrespondentin Karin Leukefeld lebte beim Ausbruch des Konfliktes in Syrien. In ihrem 2015 erschienen Buch «Flächenbrand» beschreibt sie, wie unabhängige Journalisten mundtot gemacht wurden, wenn sie sich den Bildern widersetzten, die die Leitmedien verbreiteten. Leukefeld bot dem deutschen Hörfunk im März 2011 eine Reportage an, in der sie Syrer und Syrerinnen zum arabischen Frühling befragte. Das Ergebnis war, dass der Rückhalt der Regierung Assad in der Bevölkerung grösser schien als erwartet und dass die Leute auf der Strasse sich mehrheitlich keinen Umbruch wie in Tunesien oder Ägypten vorstellen konnten.
Radio-Redaktionen in Deutschland lehnten den Bericht, der zuvor vereinbart worden war, entrüstet ab. Man beschied der Journalistin, dass sie sich gefälligst an den einschlägigen Agenturmeldungen zu orientieren habe, die besagten, dass Assad sein Volk unterdrücke und sich nicht mehr lange werde halten können.
«Agenturmeldungen, Blogs, die sozialen Medien und ‹Aktivisten› galten fortan als glaubwürdige Quelle für das Geschehen in Syrien», schreibt Leukefeld.
Ähnlich wie unabhängigen Journalisten erging es einigen westlichen Botschaftern in Damaskus, die dem aggressiven Kurs ihrer Regierung nicht folgen wollten. Die beiden französischen Journalisten George Malbrunot («Le Monde») und Christian Chesnot (Radio France) enthüllen ihrem Buch «Les chemins de Damas» geheim gehaltene Informationen über die französische Syrienpolitik der Regierung Sarkozy. Dort wird eine Szene geschildert, in der der französische Botschafter in Syrien, Eric Chevalier, bei einer Besprechung im Pariser Aussenministerium auf schockierende Art abgefertigt wurde, als er in Zweifel zog, dass es eine gute Politik war, den Sturz Assads zu betreiben.
Eine beherrschende Stellung als Informationsquelle hat seit Beginn des Konfliktes die in Coventry (nördlich von London) ansässige «Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte». Diese war zumindest in ihren Anfängen nicht mehr und nicht weniger als ein PR-Büro der Assad-Gegner. Vom ehemaligen CDU-Bundestagsabgeordneten Jürgen Todenhöfer wurde diese Beobachtungsstelle für Menschenrechte 2013 folgendermassen beschrieben: «Die besteht aus einem einzigen Mann, der mit ein oder zwei Teilzeitkräften zusammenarbeitet. Dieser Rami Abdul Rahman, der in Wirklichkeit Osama Ali Suleiman heisst (…) versorgt die ganze Welt mit Nachrichten, die besonders in den ersten zwei Jahren zu einem grossen Teil aus Märchen bestanden.»
Die Informationen, die Abdul Rahman bis heute verbreitet, stammen meist von «Aktivisten», deren Namen aus Sicherheitsgründen geheim bleiben müssen. Die «New York Times» berichtete (9.4.2013), dass der Mann nach seinen Angaben von der «Europäischen Kommission» und einem Land, welches er namentlich nicht nennen wollte, Unterstützung erhalte. Rahman, der nach seinen Angaben in Syrien mehrmals im Gefängnis sass, kam im Jahr 2000 als politischer Flüchtling nach London. Belegt sind seine Kontakte mit dem britischen Aussenminister William Hague. Zeitweise existierten mehrere Syrische Beobachtungsstellen für Menschenrechte in Grossbritannien, was auf interne Streitereien zurückzuführen war.
Im Februar 2012 traten auf Initiative des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy Vertreter von zahlreichen Staaten und internationalen Organisationen in Tunis zusammen, um eine Koalition zu bilden, die sich «Freunde Syriens» nannte. Sie wurde dominiert von den-NATO Staaten USA, Grossbritannien, Frankreich und Türkei sowie den Golfstaaten, die Assad militärisch bekämpften.
Da Russland und China sich weigerten, im UN-Sicherheitsrat grünes Licht für eine Wiederholung des Libyen-Szenarios zu geben, versuchten die «Freunde Syriens», Assad ohne Mandat der Vereinten Nationen mit politischem und militärischem Druck kurzfristig zu Fall zu bringen, wobei Wirtschaftssanktionen den Zusammenbruch noch beschleunigen sollten. Als Wortführerin der «Freunde Syriens» tat sich die amerikanische Aussenministerin Hillary Clinton hervor mit scharfen Angriffen gegen Assad und Drohungen gegenüber dem syrischen Alliierten Russland.
Im August 2013 traf ein Team von UN-Chemiewaffen-Spezialisten (OPCW) in Damaskus ein, um Vorwürfe über Giftgasangriffe in verschiedenen Landesteilen zu untersuchen. Einen Tag nach Eintreffen der UN-Spezialisten kam es nicht sehr weit von ihrem Hotel zu einem schweren Anschlag mit Sarin, bei dem mehrere hundert Menschen ums Leben kamen. Die syrische Opposition und die westlichen Regierungen, allen voran die Regierung in Washington, beschuldigten unverzüglich Assad. Sie taten dies, ohne Beweise zu haben und ungeachtet der unmittelbar einleuchtenden Logik, dass Assad wohl nicht recht bei Sinnen sein müsste, wenn er den UN-Giftgasexperten zur Begrüssung Giftgas vor die Füsse schiessen würde. Und dies ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, da Präsident Obama verkündet hatte, der Einsatz von chemischen Waffen sei «die rote Linie», deren Überschreiten nicht toleriert würde.
Obama hielt am 10. September 2013 eine Rede an die Nation, in der er sagte, die Regierung Assad habe «mehr als tausend Menschen vergast». Er machte explizite Anspielungen auf den Holocaust im Zweiten Weltkrieg. Er kündigte einen Militärschlag gegen Syrien an, wurde aber offenbar von seinen eigenen Geheimdiensten und Generälen davon abgehalten. US-Generalstabchef Dempsey warnte vor einer «ungerechtfertigten Aggression», die einen Flächenbrand im Nahen und Mittleren Osten auslösen würde.
Der militärische Geheimdienst Defense Intelligence Agency (DIA) hatte unter anderem im Juni 2013 in einem streng geheimen Papier darauf hingewiesen, dass die al-Nusra-Front eine Abteilung zur Produktion von Sarin habe und dabei von Agenten der Türkei und Saudiarabiens unterstützt werde. Innerhalb der Geheimdienste rumorte es, denn man hatte offenbar genug Hinweise, die nahelegten, dass die ideologisch bei al-Kaida angesiedelte al-Nusra Front den Anschlag verübt hatte, um einen Einmarsch der Amerikaner zu provozieren. Einige Geheimdienstleute entschlossen sich, gegenüber einem renommierten Journalisten wie Seymour Hersh auszupacken. (The red line and the ratline. London Review of Books. April 2014)
Baschar al-Assad selbst sagte nach dem Giftgasanschlag in einem Spiegel-Interview: «Obama hat nichts zu bieten als Lügen. Wir haben keine Chemiewaffen eingesetzt. Und das Bild, das sie von mir zeichnen als einem, der sein Volk umbringt, ist genauso falsch.»
Auch Russland, das als enger Verbündeter Syriens wohl über sehr gute Informationsquellen vor Ort verfügt, kam zu der Erkenntnis, dass nicht die Regierung Assad für den Anschlag verantwortlich war, sondern die Aufständischen. Wladimir Putin persönlich schrieb dies in einem Artikel in der «New York Times». Die führenden westlichen Medien liessen sich aber davon nicht beeindrucken, sondern folgten der amerikanischen Darstellung, der Täter sei Assad.
Als «Beweis» wurde auf den Bericht der UNO-Chemiewaffen-Experten hingewiesen. Diese hatten jedoch nicht die Aufgabe, die Täterschaft des Anschlags festzustellen, und taten dies nicht in ihrem Bericht. Sie weisen ganz im Gegenteil explizit darauf hin, dass ihre Untersuchung unter enormem Zeitdruck stattfand und dass sie in einem Gebiet recherchierten, das unter Kontrolle der Aufständischen stand. Ferner stellen sie fest, dass die Verhältnisse vor Ort nahelegten, dass Munitionshülsen und andere Beweistücke manipuliert worden sein könnten. Um all dies zu erfahren, hätte man allerdings den ganzen UN-Bericht und das Kleingedruckte sorgfältig lesen müssen. Die meisten Journalisten hatten offenbar dafür keine Zeit und folgten schnellen Pressemeldungen und Darstellungen westlicher Regierungen, die Assad als «Massenmörder» bezeichneten.
Die Experten der UN-Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (OPCW) haben inzwischen wiederholt festgestellt, dass aufständische Gruppen Chemiewaffen in Syrien einsetzen, zuletzt zum Beispiel Anfang November 2015. Die entsprechenden Berichte werden im allgemeinen von westlichen Medien ignoriert oder erscheinen als winzige Meldungen. Da gibt es offenbar Dinge, die man lieber nicht so genau wissen will.
Der amerikanische Vizepräsident Joe Biden sprach 2014 in einer Rede in der Universität Havard mit erstaunlicher Offenheit über die Ausgangslage bei Beginn des Syrien-Krieges:
Auf dieser Weise seien auch al-Nusra und al-Kaida ausgerüstet worden und «die Gotteskrieger, die aus allen Teilen der Welt kommen.» (Vgl. Leukefeld S.202 u.a.)
Was Biden bei dieser Gelegenheit unerwähnt liess, ist die Tatsache, dass Washington von Anfang an beteiligt war an der Destabilisierung Syriens. So organisierte zum Beispiel das CIA-Personal in Benghasi den Transport von libyschen Waffen nach Syrien, wie bei einer Untersuchung des US-Kongresses zur Ermordung des amerikanischen Botschafters in Benghasi ans Licht kam.
Michael Lüders, langjähriger Nahost-Korrespondent der Hamburger Wochenzeitung «Die Zeit» hat vor kurzem ein Buch veröffentlicht, das den Titel trägt: «Wer den Wind sät …Was westliche Politik im Orient anrichtet.» Lüders kommt zu dem Schluss:
Lüders gibt zu bedenken, dass es in den meisten arabischen Staaten keine Mittelschichten gibt, die stark genug wären, der Macht der Clans und Stämme, dem Einfluss von Religion und Ethnie ein neues, eigenes Narrativ, eine neue Identität entgegenzusetzen.
Lüders entlastet die Regierung Assad nicht von dem Vorwurf, sie habe in der Krise keine andere Lösung als Panzer und Luftbombardierungen gesucht. Dennoch hält er fest: «Es war ein grosser Fehler, Assad um jeden Preis stürzen zu wollen. Spätestens nach den Erfahrungen im Irak, in Afghanistan und in Libyen sollte klar geworden sein, dass sich ein demokratisches Modell von aussen nicht erzwingen lässt. Nüchtern besehen kam der syrische Aufstand mindestens zehn Jahre zu früh. Die Bedingungen für einen Machtwechsel waren nicht gegeben.»
Anmerkung der watson-Redaktion
Die vorliegende Kommentar von Helmut Scheben zum Syrienkonflikt entspricht in keiner Weise der Haltung der watson-Redaktion. Wir würden den Artikel in dieser Form inzwischen auch nicht mehr publizieren. Warum, steht in der Entgegnung von watson-Autor Philipp Löpfe: «Syrien – ein Spielball der Mächte? Wie watson auf einen Putin-Troll hereingefallen ist». In Zukunft werden wir unsere Kontrollen bei Fremdartikeln noch verstärken.