Die Wahlen im Freistaat Bayern haben für ein politisches Erdbeben gesorgt. Die «ewige» Regierungspartei CSU ist abgestürzt, ebenso die SPD. Dafür triumphieren die AfD und vor allem die Grünen, die nun zweitstärkste Kraft im Landtag sind. Auch wenn sich die Kräfteverhältnisse unter dem Strich kaum verändert haben, ist der Erfolg der Ökopartei bemerkenswert.
Das zeigt sich bei einem genauen Blick auf die Resultate. In der Hauptstadt München – bislang eine SPD-Hochburg – eroberten die Grünen fünf der neun Direktmandate im Landtag. Zwei gehen an die jugendlich-dynamischen Spitzenkandidaten Katharina Schulze und Ludwig Hartmann. In den Städten mit mehr als 100'000 Einwohnern sind die Grünen zur stärksten Partei geworden.
Die Grünen vollziehen in Bayern damit nach, was sie im wirtschaftlich ebenfalls sehr erfolgreichen Nachbarland Baden-Württemberg vorgemacht haben. Dort sind sie die stärkste Kraft und stellen mit Winfried Kretschmann bereits seit 2011 den Ministerpräsidenten. Bei den letzten Wahlen 2016 steigerten sie ihren Wähleranteil noch einmal kräftig auf bundesweit einmalige 30,3 Prozent.
Zum Erfolg im prosperierenden und eher konservativen Süden Deutschlands haben mehrere Faktoren beigetragen. Weder Kretschmann noch Schulze oder Hartmann haben ein Image als Bürgerschreck, sie wirken vielmehr ausgesprochen mehrheitsfähig. Sie sind keine freudlosen und oberlehrerhaften Spassbremsen, sondern politisieren ausgesprochen lustvoll.
Zudem profitieren die deutschen Grünen von einem generellen Phänomen: Obwohl sie inzwischen in zehn Bundesländern in unterschiedlich «bunten» Koalitionen mitregieren und als nationale Partei bald 40 Jahre auf dem Buckel haben, strahlen sie immer noch eine gewisse Frische aus. Dies ganz im Gegensatz zu den Sozialdemokraten, die ziemlich verbraucht wirken.
Dafür gibt es mehrere Gründe: Die SPD leidet unter dem miesen Image der Grossen Koalition in Berlin. Sie wird in der Sozialpolitik von der Linken bedrängt, die ihr die Schröder-Reformen übel nimmt. Vor allem aber wirkt die SPD altbacken. Sie kann kaum brauchbare Rezepte für die grossen Herausforderungen wie Klimawandel, Migration und Digitalisierung vorweisen.
Das können auch die Grünen nur bedingt. Aber mit ihrer relativ unverbrauchten Ausstrahlung kommen sie bei einer jüngeren und urbanen Wählerschaft, die Multikulti mehr als Chance denn als Risiko betrachtet, wesentlich besser an. Für dieses Segment sind die Grünen auch das wirksamere Gegengift zu den rechten Brandstiftern der AfD als die SPD.
Ihre derzeitige Erfolgswelle beschränkt sich nicht auf Deutschland. Auch bei den Wahlen im Grossherzogtum Luxemburg am Sonntag waren die Grünen die grossen Gewinner. In der Schweiz sind sie ebenfalls im Aufwind. Seit Herbst 2015 haben sie in den Kantonsparlamenten 19 Sitze hinzugewonnen. Das ist die beste Bilanz hinter der klaren Siegerin FDP (plus 28 Sitze).
Bei den nationalen Wahlen in einem Jahr könnte sich dieser Trend fortsetzen. Das jüngste SRG-Wahlbarometer sagt den Grünen den stärksten Stimmenzuwachs aller Parteien voraus. Parteipräsidentin Regula Rytz sagt am Samstag in der NZZ, man wolle vier Sitze im Nationalrat hinzugewinnen und den Wähleranteil auf neun Prozent steigern.
2019 werde eine «Klimawahl», meinte Rytz weiter. Damit bezog sie sich nicht nur auf die Umwelt, sondern auch auf das politische und gesellschaftliche Klima. Und doch trifft sie damit einen weiteren wesentlichen Punkt. Die Grünen haben in der Vergangenheit immer wieder von Ereignissen wie den Atomkatastrophen in Tschernobyl 1986 und Fukushima 2011 profitiert.
Diese rückten mit der Zeit im kollektiven Gedächtnis in den Hintergrund. Beim Klimawandel ist das anders. Der heisse und trockene Sommer dürfte vielen Menschen klargemacht haben, dass eine Entwicklung im Gang ist, die nicht rückgängig gemacht werden kann. Die Voraussetzung für weitere Wahlerfolge der Grünen ist damit gegeben.