Der Prozess gegen die Anführer der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung bietet der spanischen Partei Vox eine perfekte Bühne für ihre rechtsextreme Ideologie. Vox tritt vor dem Obersten Gericht als «Popularankläger» auf.
«Das ist eine Besonderheit im spanischen Strafprozessrecht», sagt der Juraprofessor Julio Pérez Gil, der zu dem Thema promoviert hat. Diese erlaubt jedem Bürger und jeder Organisation, ein Strafverfahren anzustrengen und neben der Staatsanwaltschaft als Kläger aufzutreten - auch ohne von der mutmasslichen Straftat direkt betroffen zu sein.
Der Generalsekretär der rechtsextremen Partei und Anwalt Javier Ortega Smith sitzt im Gerichtssaal direkt neben dem Staatsanwalt und der Generalanwältin des Staates und darf nach ihnen die Beschuldigten und die Zeugen befragen. Der Prozess wird live im spanischen Fernsehen übertragen. Ausserdem hat der Popularankläger volle Akteneinsicht und kann sich in die Ermittlungen einschalten.
So verbuchte es Ortega Smith als Erfolg für Vox, dass der Ermittlungsrichter im März anordnete, Joaquim Forn, früher Mitglied der Regierung in Barcelona, in Untersuchungshaft zu behalten. Er entsprach damit der Forderung der Rechtsaussen-Partei. Die Staatsanwaltschaft hatte hingegen die Freilassung verlangt.
Vox nimmt in dem Verfahren ständig weit härtere Positionen als die Staatsanwaltschaft ein. Fordert diese 25 Jahre Haft für den ehemaligen katalanischen Vize-Regionalpräsidenten Oriol Junqueras und die Generalanwältin des Staates zwölf Jahre Haft, so will Vox ihn 74 Jahre hinter Gitter bringen.
«Die spanische Justiz unterstützt eine Kampagne der Rechtsextremen», klagte Junqueras in einem Radiointerview. «In anderen Ländern wie den Niederlanden, Belgien, Deutschland oder Dänemark wäre so etwas nicht möglich.»
Auch ein ranghoher Vertreter des Justizministeriums in Madrid, der nicht namentlich genannt werden will, nannte es «bedauerlich», dass dieser ausgesprochen heikle Prozess von der ultrarechten Partei für politische Stimmungsmache genutzt werden kann.
«Eine neue Partei kann die Popularanklage nutzen, um sich bekannt zu machen und eine einzigartige, kostenlose Bühne zu bekommen», sagt der Strafrechtler Rubén Martín de Pablos von der Anwaltskammer Madrid mit Blick auf die erst 2013 gegründete Vox.
Die rechtsextreme Partei war im Dezember bei der andalusischen Parlamentswahl in das Regionalparlament eingezogen - und damit erstmals eine ultrarechte Partei seit dem Tod des spanischen Diktators Francisco Franco im Jahr 1975.
Martín de Pablos verweist allerdings darauf, dass die Popularanklage seit 200 Jahren in allen spanischen Verfassungen festgeschrieben ist und auch einiges Gutes bewirkt hat: «Sie hat geholfen, zahlreiche Korruptionsaffären zu enthüllen», sagt der Anwalt. Auch das Verfahren gegen den früheren chilenischen Diktator Augusto Pinochet sei dadurch in Gang gekommen.
Die Popularanklage könne für politische «Propaganda» missbraucht werden, kritisiert auch Ignacio González Vega, der Sprecher des linksgerichteten Verbandes Richter für die Demokratie. Aber gravierende Konsequenzen fürchtet er dennoch nicht. «Schliesslich bestimmt ein unabhängiges und unparteiisches Gericht die Strafe.»
Bei der Verhandlung könne der Präsident den Anwalt von Vox auch unterbrechen, falls dieser «den Prozess als Lautsprecher für seine politische Ideologie benutzt», sagt der Präsident des Obersten Gerichtshofes, Carlos Lesmes.
«Parteien sollten von der Popularanklage ausgeschlossen werden», fordert indes der Vertreter des Justizministeriums. «Auch das würde nichts nützen», entgegnet Juraprofessor Pérez Gil. Dann könnten Einzelne oder der Partei nahestehende Verbände die Klage führen. Seine Forderung lautet deshalb: Die Popularanklage muss abgeschafft werden. (whr/sda/afp)