Nils lerne ich kurz vor meinem 18. Geburtstag kennen. Am Dörflifest im Niederdorf. Er ist mit einer Horde Typen unterwegs, ich mit acht Freundinnen. Ich finde Nils auf den ersten Blick gut. Er scheint aber mehr Gefallen an meiner Kumpanin Sandra zu finden. Alles Taktik, wird er später sagen.
Nach ein paar Umwegen wird Nils meine erste grosse Liebe. Wir erleben den puren Wahnsinn: erster Sex, erste Pärli-Ferien und erstes Zusammenwohnen inklusive. Wir sind uns sicher: Wir heiraten, machen Babys und kaufen uns einen Labrador-Welpen.
Die Wende kommt im verflixten siebten Jahr in Form eines Mannes, in den ich mich verliebe. Ich beichte Nils meine Gefühle, er tickt aus, wirft meine Schminke und meine Kleider aus dem Fenster und schickt mir einen Monat lang abwechselnd Hass- und liebestrunkene Suff-SMS.
Das ist jetzt zehn Jahre her.
Vor zwei Jahren schlägt mir Facebook Nils als Freund vor. Ich, etwas wehmütig, schicke ihm einen Friendrequest. Wir chatten ein bisschen hin und her. Er hat eine Freundin, macht Karriere und hat sich soeben ein Cabriolet gekauft.
Unser Kontakt verflüchtigt sich wieder.
Bis er sich neulich aus dem Nichts meldet. Er sei wieder Single. Ob wir aus nostalgischen Gründen ins Papa Joe's im Niederdorf Chicken Wings essen wollen. Wir wollen.
Ein paar Tage später sitzen wir draussen auf den Holzbänken, auf denen wir anno dazumal die Finger nicht voneinander lassen konnten. Von dieser Magie ist heute nichts mehr spürbar.
Auch unser Gespräch ist holprig.
Ich: «Wie geht es deiner Familie?»
Er: «Gut. Mein Bruder hat zwei Kinder, meine Schwester eine Kleiderboutique. Meine Eltern reisen viel. Deine Familie?»
Ich: «Alles bestens. Alle gesund, happy, irr, nervig, lustig, fantastisch, chaotisch!»
Er: «Cool.»
Ich: «Beruflich bist du ja jetzt da, wo du immer hin wolltest: Du verdienst viel Geld, hast ein Cabriolet, wann kommt das Golfen?»
Er: «Die Platzreife habe ich seit zwei Jahren.»
Logisch haben wir uns in den letzten zehn Jahren verändert und weiterentwickelt. Aber dass wir heute quasi rein gar nichts mehr gemeinsam haben, ist irritierend.
Nach ein paar Margaritas werden wir lockerer. Und ehrlicher. So haut er mir unsere Trennung noch einmal um die Ohren. Und erzählt mir von weiteren Frauen, die sein Herz gebrochen haben. Und dann noch von ein paar, bei denen er verbrannte Erde hinterliess.
Mit einem easy Alkohol-Pegel schlendern wir zum Bürkliplatz, wo wir Halt auf dem Riesenrad machen. Hoch über den Lichtern der Stadt knistert es ein birebitzli zwischen uns. Vielleicht ists aber auch nur der Alk.
Nils begleitet mich nach Hause. Ob ich ihm meine Dachterrasse zeigen will. Ich will. Wir kaufen zwei Dosen Bier und machen es uns gemütlich. Während er spricht, frage ich mich, ob ich ihn noch attraktiv finde. Und wie es sich wohl anfühlen würde, ein Jahrzehnt nach dem letzten Sex noch einmal Sex zu haben.
Weil ich Fragen dieser Art ungern unbeantwortet lasse, unterbreche ich Nils’ Redeschwall, um ihn zu küssen. Während ich auf Vollgas setze, küsst er mich nur ganz fein, fast zögerlich.
Wir können es nicht abstreiten. Wir haben uns im letzten Jahrzehnt nicht nur angezogen in sehr verschiedene Richtungen entwickelt.
Kann doch nicht sein, denke ich mir und zieh den Guten aus. Was früher wie am Schnürchen lief, entpuppt sich jetzt als eine komplexe Angelegenheit. Bis wir beide nackt sind, hat er meine Haare in meinem Kleid eingeklemmt und ich habe den obersten Knopf seines Hemdes abgerissen.
Nach knapp 30 Minuten sitzen wir bei der Zigi danach in meiner Küche. Die Ernüchterung steht uns ins Gesicht geschrieben. Er müsse morgen um 10 irgendwo sein, er gehe langsam, sagt er. Nils holt zu drei Küsschen aus, ich will ihm einen auf den Mund geben. Endlich lachen wir. Und lachen. Und reissen Sprüche. Über den miesen Sex, den wir gerade hatten.
Dann, er hat die Schuhe schon an, schaut er mich an und sagt:
Zwei Stunden später haben wir seine Aussage bestätigt. Zwei Mal.
Adieu
Dann schick sie per Mail an Emma: emma.amour@watson.ch