Ich hab gewusst, dass das irgendwann passiert. Dass dieses Netflix nur ein fieser, flüchtiger Flirt ist und keine echte Beziehung will. Dass da alles ausser Eigenproduktionen (oder vielleicht nicht einmal die?) nur temporär zu Gast ist. Aber ich hätte nie damit gerechnet, dass es ausgerechnet dann passiert, wenn ich verliebt bin. Und wenn ich zudem so anständig bin, mein Netflix-Abo zu bezahlen.
Doch dann kam alles anders. Und das war so: Mein Liebesleben und ich waren über Neujahr in Marseille, draussen pustete der Mistral die Möwen von Dächern und die Austern von den Felsen (nein, tat er nicht, falsches Bild). Drinnen hatten wir das beste Wifi der westlichen Welt.
Eines Nachmittags, als wir vom scharfen Wind müde geblasen nach Hause kamen, hatte ich mein Liebesleben endlich so weit, dass es ohne Protest mit mir «Freaks and Geeks» («Voll daneben, voll im Leben») schaute. Wenigstens die erste Folge. Ich hatte monatelang gestürmt. Eine Highschool-Serie aus dem vorsintflutlichen Jahr 1999 also, die Netflix wundersamer Weise im Angebot hatte.
«Freaks and Geeks» spielt Anfang der 80er-Jahre und geht so: Grosse und kleine Schülerinnen und Schüler machen Quatsch mit der Liebe und mit Drogen, sind im Sport schlecht oder super, halten sich für Rockstars, verkleiden sich als Punks, haben blöde oder lustige Eltern, sind cool, schön, dumm, hässlich, altklug, übersmart, fernsehsüchtig, bekifft – auf jeden Fall nicht Mainstream.
Dann waren wir wieder zuhause. Und immer, wenn wir nach einem Tag besonders frustriert oder geschafft von der Arbeit kamen, sagten wir: «Eine Folge von den lustigen Kindern?» Vor ein paar Tagen hätten wir sie dringend nötig gehabt. Aber sie waren weg. Wieso? Weil eine Lizenz abgelaufen war? Weil ausser uns niemand schaute?
Wir sahen uns zur Piraterie gezwungen. Und da muss ich jetzt sagen: Selbst schuld, Netflix. Ich war vor Jahren in Berlin an einer Netflix-Veranstaltung gewesen und hatte all die Macher gefragt, was sie denn so über die Schweiz denken würden, wo es nicht verboten sei, ihre Produkte runterzuladen. «Dann stehlen Sie doch auch Ihre Kleider! Verlassen Sie das Restaurant, ohne die Rechnung zu bezahlen! Arbeiten Sie doch gratis!», tobte Regisseur Eli Roth («Hemlock Grove»). Aber muss er sich wundern? Muss er nicht.
Lasst mich dies erklären: Von aussen gesehen ist die Serie nicht sooo besonders, aber die Rohlinge, die dadurch geborgen wurden, sind längst zu Superstars geworden. Okay, jetzt wird's ein bisschen nerdig.
Jason Segel (Marshall in «How I Met Your Mother») hatte da seinen ersten grossen Job (er schmiss dafür die Schule), ebenso Seth Rogen, James Franco und John Francis Daley («Bones»). Judd Apatow – der Produzent von «Girls» und Regisseur von Komödien wie «40 Year Old Virgin» und «Trainwreck» – war ausführender Produzent und gelegentlich Regisseur. Paul Feig («Bridesmaids») hatte das Ganze erfunden und viele Episoden geschrieben. Lesli Linka Glatter, die Hauptregisseurin von «Homeland», die ihren Job unter David Lynch bei den ersten «Twin Peaks»-Folgen erlernt hatte, gehörte zum Regieteam.
Der Schauspieler Martin Starr erhielt später als Gilfoy eine grosse Rolle in «Silicon Valley», «Freaks and Geeks»-Hauptdarstellerin Linda Cardellini wurde zur wichtigsten Geliebten von Don Draper in «Mad Men», der erst 14-jährige Shia LaBoeuf lag eine Folge lang als armes Opfer im Spital, Ann Dowd, die eine White-Trash-Mutter spielte, hat heute Hauptrollen in «The Leftovers» und «Handmaid's Tale».
Doch vor allem waren es die Jungs, die Karriere machten, Segel, Franco, Rogan, Apatow und Feig, kein Wunder, denn «Freaks and Geeks» war die Geburtsstunde der «Bromance», mit der Apatow später so erfolgreich wurde, mit der Erkenntnis also, dass auch heterosexuelle Männerfreundschaften im Kern warmherzig, weich und zärtlich sind.
Dieses Warme, Weiche, Zärtliche wurde nun so grosszügig über das ganze «Freaks and Geeks»-Personal ausgeschüttet, dass man den Machern alle andern Fehler gerührt verzeiht, das mangelhafte Timing, die krepierenden Pointen, die grundsätzliche Verschwatztheit. Die Tatsache, dass sie es nie zu einer zweiten Staffel brachten, ja, dass nicht einmal alle der 18 existierenden Folgen ausgestrahlt wurden.
Fest steht: Ohne sie gäbe es keine «Big Bang Theory» und kein «Silicon Valley» und auch die «Friends»-Nachfolge «How I Met Your Mother» müsste ohne Marshall und seine «Sandwiches» auskommen. «Freaks and Geeks» ist eine Herzensangelegenheit. Aber vielleicht ja nur meine.