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Bundesratswahl: Ignazio Cassis kann sich fast nur selber schlagen

Ignazio Cassis, Nationalrat, rechts und Bixio Caprara, President der FDP Tessin, links, sprechen mit Journalisten an der Medienkonferenz zur Bundesratskandidatur der FDP am Dienstag, 11. Juli 2017 in  ...
Ignazio Cassis und FDP-Chef Bixio Caprara (l.) äussern sich am Dienstag zur Einerkandidatur.Bild: KEYSTONE/TI-PRESS
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Alles spricht für Cassis – er kann sich fast nur selber schlagen

Ignazio Cassis soll nach dem Willen der Tessiner FDP in den Bundesrat gewählt werden. Seine Chancen sind exzellent. Für ihn sprechen das Fehlen einer überzeugenden Alternative und die Konstellation im Parlament.
14.07.2017, 06:5615.08.2017, 11:17
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Im Vatikan gibt es eine Redensart: Wer als Papst ins Konklave geht, kommt als Kardinal wieder heraus. Oder anders gesagt: Wer als Favorit für ein hohes Amt gehandelt wird, dem bleibt die Krönung häufig versagt. Diese Erkenntnis trifft nicht nur für Papstwahlen zu. Auch bei einem eher profanen Ereignis wie einer Bundesratswahl sind die Favoriten verschiedentlich gestolpert.

Ignazio Cassis ist sich dessen bewusst. Seit Didier Burkhalter vor einem Monat überraschend seinen Rücktritt aus dem Bundesrat bekannt gab, gilt der 56-jährige Arzt, Nationalrat und Chef der FDP-Bundeshausfraktion als Topfavorit für die Nachfolge. Seit Dienstag ist er dies mehr denn je. Der Vorstand der Tessiner FDP hat beschlossen, ihn als einzigen Kandidaten zu nominieren.

Bis zur Wahl, die vermutlich am 20. September stattfinden wird, sind es noch mehr als zwei Monate. Cassis muss mit Störmanövern rechnen. Vorgeworfen wird ihm seine Rolle als Krankenkassen-Lobbyist. Dennoch gibt es drei gute Gründe, warum es dieses Mal klappen und der Favorit aus Montagnola sich am Ende die Krone aufsetzen kann:

Die Taktik

Die italienische Schweiz will nach 18 Jahren zurück in die Landesregierung. Die Tessiner Freisinnigen haben deshalb frühzeitig ihren Anspruch angemeldet. Die Delegiertenversammlung dürfte die Einerkandidatur von Cassis am 1. August abnicken. Taktisch ist dies geschickt, die Tessiner sind möglichen Konkurrenten aus der Westschweiz damit um mindestens einen Schritt voraus.

Die Konzentration auf einen Kandidaten ist ebenfalls eine kluge Strategie, auch wenn der «Blick» dagegen polemisiert. Mehrere Kandidaten könnten als Zeichen der Schwäche interpretiert werden, sagte FDP-Kantonalpräsident Bixio Caprara. Oder als Jekami, denn Cassis gehört im Bundeshaus zu den Schwergewichten, während die möglichen Alternativen dort kaum bekannt sind.

Die Konkurrenz

Prominente Stimmen aus der Westschweiz haben nach Burkhalters Rücktritt zur Verteidigung seines Sitzes aufgerufen. Das Problem ist nur, dass kaum überzeugende Konkurrenten für Ignazio Cassis in Sicht sind. Offiziell beworben hat sich noch niemand. Dabei verfügt die FDP in der Romandie über vielversprechende Talente. Für sie ist die Zeit aber wohl nicht reif.

FDP Fraktionschef Ignazio Cassis, FDP-TI, links, beraet sich mit Isabelle Moret, FDP-VD, an der Fruehlingssession der Eidgenoessischen Raete, am Montag, 13. Maerz 2017 im Nationalrat in Bern. (KEYSTON ...
Isabelle Moret (r.) könnte Ignazio Cassis herausfordern.Bild: KEYSTONE

Der 33-jährige Walliser Nationalrat Philippe Nantermod hat verzichtet, ebenso der Neuenburger Regierungsrat und frühere Nationalrat Laurent Favre (44), der laut «NZZ am Sonntag» über grossen Rückhalt in der FDP-Fraktion verfügt. Die Walliser und die Neuenburger FDP wollen laut «Blick» den Anspruch des Tessins respektieren. Gleiches gilt für die Jurassier.

Es bleiben Freiburg und Waadt, die beide schon im Bundesrat vertreten sind, sowie Genf. Dort stehen Nationalrat Christian Lüscher und Regierungsrat Pierre Maudet im Vordergrund. Lüscher aber ist ein streitbarer Typ, der kürzlich mit seiner Attacke auf einen Journalisten für Aufsehen sorgte. Der 39-jährige Maudet soll nach dem Willen seiner Kantonalpartei als Zugpferd für die kantonalen Wahlen 2018 dienen. Er hält sich zu einer Kandidatur bislang bedeckt.

Der Freiburger Nationalrat und Bauernverbands-Direktor Jacques Bourgeois ist interessiert, aber kaum eine valable Alternative zu Ignazio Cassis. Bleibt die Waadtländer Nationalrätin Isabelle Moret, die sich bis Ende Juli entscheiden will. Bei einer Absage könnte Regierungsrätin Jacqueline de Quattro einspringen. Für beide spricht der Frauenbonus. Aber will das Parlament wirklich eine zweite Person aus der Waadt neben Guy Parmelin wählen und das Tessin desavouieren?

Die sieben bisherigen Tessiner Bundesräte

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Die sieben bisherigen Tessiner Bundesräte
Flavio Cotti (CVP) gehörte dem Bundesrat von 1987 bis 1999 an.
quelle: keystone / martin ruetschi
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Die Wahlarithmetik

Ignazio Cassis ist kein strammer Rechter, dennoch ist die Linke nicht begeistert über seine Kandidatur. In der Debatte über die Altersvorsorge 2020 hat der FDP-Fraktionschef mit seinem forschen Vorgehen viel Geschirr zerschlagen. SP-Präsident Christian Levrat liess im Interview mit der «NZZ am Sonntag» durchblicken, dass er ein FDP-Ticket mit zwei Frauen bevorzugt.

Das Problem ist nur: Für Machtspiele à la Blocher-Abwahl fehlen der SP in der Bundesversammlung die Verbündeten. Der Anspruch der Freisinnigen auf den Burkhalter-Sitz ist trotz Spekulationen in den Medien unbestritten, insbesondere bei den Bürgerlichen. Die SVP wird ihren wichtigsten Bündnispartner in Bern nicht brüskieren, und die CVP will keine Retourkutsche riskieren.

SVP-Präsident Albert Rösti sagte dem «Tages-Anzeiger», seine Partei werde bei zwei gleichwertigen Kandidaturen den Tessiner Bewerber vorziehen. Ähnliche Wortmeldungen gibt es aus anderen Parteien. Insbesondere bei Deutschschweizer Politikern scheint die Einsicht verbreitet, dass die Svizzera Italiana nun an der Reihe ist.

So gut wie alles spricht somit dafür, dass Ignazio Cassis bald die Bezeichnung Bundesrat vor seinen Namen setzen darf. Ausser man findet eine Leiche in seinem Keller, oder er schiesst einen kapitalen Bock. Das aber ist wenig wahrscheinlich. Cassis hat bereits angekündigt, dass er sich im Abstimmungskampf über die Rentenreform zurückhalten will.

Wer soll Didier Burkhalter ersetzen?

Das wird die Medien in den nächsten Wochen nicht an mehr oder weniger abseitigen Planspielchen hindern. Die Tessiner Kantonsregierung aber kann den Merlot für die Bundesratsfeier reservieren. Ohnehin trifft die oben erwähnte Redensart nicht immer zu. Joseph Ratzinger galt 2005 als Favorit für die Nachfolge von Papst Johannes Paul II. und wurde auch gewählt.

Video: srf/SDA SRF
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