Pierre Maudet hat es allen gezeigt. Dem einstigen «Wunderknaben» und Beinahe-Bundesrat, der nach einer Verurteilung wegen Korruption tief gefallen war, gelang am Sonntag ein spektakuläres Comeback. Ohne Unterstützung durch die etablierten Parteien schaffte der ehemalige FDP-Politiker die Rückkehr in die Genfer Kantonsregierung.
Nun wird intensiv über das «Phänomen Maudet» und die Genfer Verhältnisse debattiert. Fast ein wenig unter ging ein wichtiger Nebenaspekt: Sein Erfolg trug zur Abwahl der grünen Staatsrätin Fabienne Fischer bei. Sie hatte sich erst zwei Jahre zuvor bei der Ersatzwahl gegen Pierre Maudet durchgesetzt, der sich für seine eigene Nachfolge beworben hatte.
Damit hat der Kanton Genf, der bei Sachabstimmungen oft einen Linksdrall aufweist, eine Regierung mit bürgerlicher Mehrheit. Und nicht nur er. In allen 26 Schweizer Kantonen haben seit Sonntag «die Bürgerlichen das Sagen», wie SRF berichtete. Nachdem Rotgrün 2022 schon die Mehrheit in der Waadt verloren hatte, ist Genf als letzte Bastion «gefallen».
Ist das ein Alarmsignal für Linke und Grüne – oder eine Rückkehr zur Normalität? «Wenn die Bürgerlichen keine Fehler machen, dann gewinnen sie im Normalfall», sagte der Politgeograf Michael Hermann gegenüber SRF. Nur wenn sie straucheln – siehe Pierre Maudet – oder nicht geschlossen antreten, habe die Linke eine Chance auf die Mehrheit.
In Genf brachte die bürgerliche Allianz nur drei ihrer fünf Kandidierenden ins Ziel. Die neue Mehrheit verdankt sie ausgerechnet dem «Spielverderber» Maudet. Allerdings hatten die Bürgerlichen in Genf auch schon den ganz grossen Coup geschafft. Vor exakt 30 Jahren eroberten sie alle sieben Sitze im Staatsrat, weil linksgrün heillos zerstritten war.
Das Beispiel zeigt, worauf es ankommt. Linke und Grüne sind bei einem Wählerpotenzial von plus/minus 30 Prozent auf maximale Geschlossenheit angewiesen. Die Rechten können sich ein gewisses Mass an Uneinigkeit leisten, und oft kommt es bei solchen Wahlen ohnehin auf die Persönlichkeit an. Auch dafür ist Pierre Maudet ein Paradebeispiel.
Im Zweifelsfall aber hilft es, wenn sich SVP, FDP und Mitte gegenseitig unterstützen und Sticheleien vermeiden. Das zeigt die zweite wichtige Wahl vom Sonntag im Kanton St.Gallen. Bei der Ersatzwahl für die Nachfolge von Paul Rechsteiner (SP) im Ständerat setzte sich SVP-Nationalrätin Esther Friedli deutlich gegen SP-Kandidatin Barbara Gysi durch.
Ständeratswahlen sind erst recht Persönlichkeitswahlen. Der Jurist Paul Rechsteiner ist ein Unikum und ein St.Galler «Urgestein». Als «Anwalt der kleinen Leute» hatte er sich trotz seines sehr linken Profils über die eigene Wählerschaft hinaus Respekt verschafft. Die gebürtige Zürcherin Barbara Gysi besitzt weder sein Charisma noch seinen «Stallgeruch».
Esther Friedli ist ebenfalls eine Zugezogene aus Bern und erst noch ein ehemaliges CVP-Mitglied. Ihr Trumpf ist die Verankerung im ländlichen Raum, der in St.Gallen über ein grosses Gewicht verfügt. Ihr Wahlkampf zielte vor allem darauf ab, die dortige Wählerschaft zu mobilisieren. Ausserdem vermied Friedli allzu pointierte und provokative Aussagen.
Sie zog damit die Lehren aus den Niederlagen früherer SVP-Kandidaten, darunter ihr Lebensgefährte Toni Brunner. Ist das auch das Erfolgsrezept für die nationalen Wahlen im Oktober? Der St.Galler Mitte-Nationalrat und Bauernpräsident Markus Ritter träumt von 15 zusätzlichen Sitzen im Nationalrat, wie er gegenüber dem «Tages-Anzeiger» erklärte.
Möglich machen soll es eine hohe Stimmbeteiligung auf dem Land. Und die neue Allianz des Bauernverbands mit Economiesuisse sowie dem Arbeitgeber- und dem Gewerbeverband. Sie tritt unter dem Namen «Perspektive Schweiz» auf und hat ihre Kampagne für die Wahlen Anfang Jahr auf dem Bundesplatz in Bern lanciert, zu einem sehr frühen Zeitpunkt.
15 Sitzgewinne für die Rechten sind ein Albtraumszenario für Rotgrün. Ob es in diesem Ausmass eintritt, kann man bezweifeln. St.Gallen ist ein sehr konservativer Kanton. Die Bürgerlichen haben im Kantonsrat eine erdrückende Mehrheit. Paul Rechsteiners Wahlsiege waren in gewisser Weise eine Anomalie. Mit Esther Friedli kehrt der Courant normal zurück.
Fraglich ist auch, ob die bürgerliche Geschlossenheit anhalten wird. Das Debakel der Credit Suisse erzeugt Risse im rechten Lager. Die FDP leidet unter ihrem Image als «Banken- und Bonzenpartei». Die SVP schürt solche Ressentiments, indem sie den «FDP-Filz» attackiert. Und davon ablenkt, dass sie selber immer ein offenes Ohr für die Bankenlobby hatte.
In der Mitte-Partei verfolgt man diese Vorgänge mit Sorge, vor allem den Formstand der FDP. Dabei gibt es beim Zeitgeist zweifellos eine tendenzielle Verschiebung vom ökologisch-progressiven ins konservative Lager. Dazu beigetragen haben in erster Linie die einschneidenden Krisen (Pandemie, Krieg) seit der letzten Wahl im Herbst 2019.
Ein Rechtsrutsch im Oktober wäre eine logische Folge. Die Mobilisierung wird eine wichtige Rolle spielen. Auch «Einzelkämpfer» Pierre Maudet hat es nur geschafft, weil er zu den Leuten ging. Laut einer Auswertung von RTS haben mehr als 6000 Genferinnen und Genfer nur ihn und sonst niemanden gewählt. Ohne diese Stimmen wäre er gescheitert.
Nein, das Beispiel zeigt, dass es richtig ist, wenn bei einem Potential von 30% keine linke Mehrheit in eine Regierung gehört.
Genau andersherum ist es in den Städten, da wäre eine rechte Mehrheit in der Regierung falsch.
Die Regierung sollte die Bevölkerung, die sie zu „führen“ hat repräsentieren.
In der Politik sollte es nicht um gewinnen oder verlieren gehen. Sondern darum, das „richtige“ zu tun, das was die Bevölkerung will.
Vier Organisationen, denen es nur darum geht den aktuellen Stand zu zementieren, so dass die gestrigen Profiteure auch morgen profitieren. Ihnen geht es nicht um eine Ausweitung der Glücksempfänger*innen.
....und während ich das schreibe, zögere ich zweifelsfrei SP- und Grüne-Politiker*innen zu wählen, ist die Gruppe der Esoteriker*innen, Wissenschaftsfeinde und Traumtänzer*innen dort doch viel zu gross.