Die Volksinitiative «Für eine faire Verkehrsfinanzierung» – im Volksmund besser bekannt als «Milchkuh-Initiative» – kommt als verkehrspolitisches Vehikel daher. Die Vorlage, über die am 5. Juni abgestimmt wird, ist aber in erster Linie finanzpolitischer Natur, denn sie würde die Geldströme rund um den Strassenverkehr entwirren. Konkret würden künftig die gesamten Einnahmen der Mineralölsteuer, also auch jene 50 Prozent, die derzeit in die allgemeine Bundeskasse fliessen, für Strassenprojekte eingesetzt werden können. Das macht pro Jahr zusätzlich rund 1,5 Milliarden Franken.
Abgesehen davon, dass damit ein Loch in der Bundeskasse entstehen würde, ist die entscheidende Frage: Braucht es diesen Zustupf überhaupt? Derzeit ist die Finanzierung der Nationalstrassen gesichert. In der Strassenkasse lagen gemäss Angaben des Bundesamts für Strassen (Astra) per Anfang 2016 noch 1,5 Milliarden Franken.
Doch diese Reserven schmelzen laufend weg. Einerseits wachsen die Ausgaben für die Infrastruktur wegen Verkehrswachstum und Sanierungs- und Ausbauprojekten. Andererseits sind die Einnahmen aus der Mineralölsteuer und dem Mineralölsteuerzuschlag, die seit Jahrzehnten nicht mehr der Teuerung angepasst wurden, rückläufig. Kurz: Ab 2018/2019 droht eine Finanzierungslücke.
Der Bund will die Lücke mit dem Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrs-Fonds (NAF) stopfen. Dieser würde neben neuen Einnahmen – gemäss Ständeratsvorschlag wird der Mineralölsteuerzuschlag um 4 Rappen pro Liter erhöht – auch die Automobilsteuer für Strassenbelange zweckbinden und die Mineralölsteuer stärker in die Strassenkasse fliessen lassen. Dies alles bringt jährlich insgesamt 650 Millionen Franken zusätzlich.
Für die Befürworter der Milchkuh-Initiative ist das nicht genug, sie haben den Jackpot im Visier. Und sie sehen eine Vielzahl von Netzergänzungen, die mit den zusätzlichen Geldern realisiert werden könnten. «Auto Schweiz» verweist auf Anfrage auf das strategische Entwicklungsprogramm bis 2040 und die darin zurückgestellten Projekte im Umfang von über 6,3 Milliarden Franken.
«Dass die Ingenieure in den Bundesämtern ihre Arbeit beschleunigen, wenn die finanziellen Mittel durch das Volk beschlossen werden, scheint mir nichts als klar», sagt Direktor Andreas Burgener dazu. Konkret geht es dabei etwa um Engpassbeseitigungen wie die Strecke Birrfeld–Wettingen inklusive vierter Baregg-Röhre oder die Erweiterung des Cholfirsttunnels. Auch für FDP-Nationalrat und Mitinitiant Hans-Ulrich Bigler muss «jetzt endlich die Infrastruktur, die man vor Jahrzehnten beschlossen hat, realisiert werden».
Die Gegner der Vorlage verweisen jedoch darauf, dass es keineswegs nur am Geld liege, wenn Projekte nicht oder nur verspätet realisiert werden – die Oberland-Autobahn in Zürich oder die Umfahrung Mellingen sind Beispiele. Grund für die zum Teil jahrzehntelangen Verzögerungen sind Planungsfehler und Einsprachen.
Auch Bundesrat Ueli Maurer schlug jüngst in die gleiche Kerbe, als er an einem Podium sagte, dass der Bund bei einem Zufluss von 1,5 Milliarden Franken in die Strassenkasse «wahrscheinlich über längere Zeit Mühe hätte, dieses Geld rechtzeitig zu verbauen».
Für den Finanzminister sind dafür einerseits die langwierigen Bewilligungsverfahren verantwortlich. Aber nicht nur: «Wir haben auch von der Bauindustrie her kaum die Kapazität, um das so schnell hochzufahren.» Auch für Nationalrat Matthias Jauslin (FDP, AG) ist klar: «Es ist eine Illusion zu glauben, dass man der Initiative zustimmen kann und es dann ab sofort keinen Stau mehr gibt.»
Das Astra will sich nicht zu einzelnen Strassenbauprojekten und dem Einfluss eines allfälligen Abstimmungs-Ja äussern. Mediensprecher Guido Bielmann sagt aber: «Grundsätzlich liegt es nicht am Geld, sondern am Mechanismus der Finanzierung.» Denn im aktuellen System sind gesprochene Gelder an ein Projekt gebunden. Wenn es dabei Verzögerungen gibt, sind diese blockiert. Der NAF hingegen weicht dieses Prinzip auf, indem die Mittel zu baureifen Projekten «verschoben» und damit schneller realisiert werden können. (aargauerzeitung.ch)