Die EU-Kommission hat diese Woche mit Unterstützung praktisch aller EU-Staaten die Anerkennung der Schweizer Börse auf ein Jahr befristet. Bundesbern liebäugelt im Gegenzug damit, die Ostmilliarde als Pfand zurückzubehalten. Sprachen zuvor alle von Tauwetter, regiert nun das Misstrauen. Wie konnte es so weit kommen?
Die Idee eines Rahmenabkommens stammt ursprünglich aus dem Schweizer Parlament. Es soll alle bilateralen Verträge unter einem Dach bündeln. Lange bleibt das Rahmenabkommen ein Wunsch des Parlaments. Der Bundesrat äussert sich skeptisch, erst 2009 nimmt er den Ball auf. Im Dezember 2008 greift die EU die Option in ihren Schlussfolgerungen auf. In der Folge wächst der Druck auf die Schweiz.
EU-Kommissions-Vizepräsidentin Viviane Reding sagt Ende 2012 unverblümt: «Der bilaterale Weg ist am Ende.» Seither pocht die EU immer stärker auf ein Abkommen, welches Fragen zur Übernahme von EU-Recht oder zur Streitschlichtung klären soll. Der damalige Schweizer Staatssekretär Yves Rossier nimmt kein Blatt vor den Mund und sagt, dass sein Land den EU-Gerichtshof als Schiedsgericht anerkennen wolle. Es folgt eine Welle der Empörung. Aussenminister Didier Burkhalter rudert zurück.
Im April dieses Jahres besucht Doris Leuthard EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in Brüssel. Zwei Traktanden stehen im Vordergrund: die Deblockade strittiger Dossiers sowie Fortschritte beim institutionellen Rahmenabkommen. Der Schweizer Seite ist augenscheinlich vor allem am ersten Punkt gelegen.
Leuthard triumphiert, denn sie kann Fortschritte vermelden: Im Juli willigt die EU ein, das für die Exportwirtschaft wichtige Abkommen über technische Handelshemmnisse zu aktualisieren, im August gibt sie grünes Licht für die Verknüpfung der Emissionshandelssysteme. Im Gegenzug erwartet Brüssel, dass Bern vorwärtsmacht bei den institutionellen Fragen.
Im Rennen um die Nachfolge von FDP-Bundesrat Didier Burkhalter kritisiert Kandidat Ignazio Cassis den Noch-Aussenminister und fordert, in der Europapolitik den Reset-Knopf zu drücken. Mit Erfolg: Cassis beerbt Burkhalter. Mit ihm liegt das Europadossier erstmals in den Händen eines Aussenministers, der das Verhältnis zu Brüssel nicht vertiefen, sondern blockieren will.
Leuthard krönt ihr Präsidialjahr Ende November mit dem Empfang Junckers in der Bundesstadt. Obwohl andere Bundesräte skeptisch sind, drängt sie darauf, die Ostmilliarde anlässlich von Junckers Besuch anzukündigen. Dadurch wird der Link erst hergestellt, der das Kohäsionsgeld an politische Forderungen knüpft.
Juncker aber kommt nicht der Milliarde wegen, sondern wegen der längst versprochenen Fortschritte beim Rahmenabkommen. Kaum ist Juncker wieder abgereist, treten Leuthard und Co. just dort wieder auf die Bremse. Die EU fühlt sich durch diese Hinhaltetaktik zum Narren gehalten. Sie reagiert am Donnerstag mit der Schikane.
Noch am selben Tag tritt Bundespräsidentin Leuthard im Kaiser-Kostüm vor die Presse und kritisiert die «Diskriminierung» durch die EU scharf. Sie kündigt Gegenmassnahmen an: Die Zahlung der Ostmilliarde soll neu beurteilt und die Stempelsteuer abgeschafft werden.
Letzteres – eine alte Forderung der Bürgerlichen – dient dazu, den Schweizer Finanzplatz zu stärken. Doch das Säbelrasseln sorgt für Zoff im Inland, die Parteien reagieren kritisch. Fazit: Krach mit der EU, Krach in der Schweiz.
Wie weiter?
Geht es so weiter wie zuletzt, bricht mit der EU die Eiszeit an und im Inland geht die Kakofonie weiter. Der Bundesrat muss innenpolitisch dringend die Reihen schliessen. An die Arbeit muss der neue Aussenminister Cassis, der bisher durch Abwesenheit und unbedarfte Äusserungen glänzte. Er muss jetzt ein Konzept liefern, wie das Verhältnis Schweiz - EU in geordnete Bahnen kommt. (aargauerzeitung.ch)